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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Rede zu Mannheim Weidel schürt mit erfundener Faeser-Erklärung Empörung
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel empört sich über eine angebliche Pressemitteilung von Innenministerin Nancy Faeser – und fällt dabei auf ein KI-Fake eines Parteifreundes herein.
In der Stadthalle in Kirchheimbolanden sprangen die Menschen begeistert auf, um mitten in der Rede Alice Weidel frenetisch Beifall zu klatschen. "Eine Schande!", hatte die AfD-Vorsitzende sich empört. "Widerwärtig", sagte sie mehrfach – und das Publikum stimmte zu. Diese Empörung galt einer angeblichen Pressemitteilung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser zu dem Anschlag in Mannheim auf den extremistischen Islamkritiker Michael Stürzenberger durch einen afghanischen Geflüchteten. Ein Polizist ist weiterhin dem Tod nahe. Doch die behauptete Pressemitteilung gab es nie.
Die AfD-Bundessprecherin hat bei dem Pfalz-Treffen der AfD Donnersberg einen Text als Faeser-Rede ausgegeben, den ein anderer AfD-Politiker per künstlicher Intelligenz hatte schreiben lassen. Als das auffiel und zunehmend Kreise zog, verschickte Weidel am Abend eine Erklärung: "Da sind wir bei der Recherche einem Fake aufgesessen."
ChatGPT lieferte Formulierungen als Aufreger
Das "Fake" hatte Reimond Hoffmann erstellt, Schriftführer in Weidels Landesverband Baden-Württemberg und dem rechten Rand innerhalb der AfD zuzurechnen. Er hatte ChatGPT den Auftrag erteilt, für Faeser eine Pressemitteilung zu schreiben. Dabei hatte er klare Vorgaben gemacht, was Inhalt der Erklärung sein soll. In der Pressemitteilung sollte stehen, dass Faeser den Angriff "auf einen Rechtsextremisten" verurteilt und dazu aufrufe, Videos der Tat nicht zu teilen, weil das Persönlichkeitsrechte des Täters verletze, die Gesellschaft spalte und der AfD helfe.
Die Künstliche Intelligenz lieferte einen Text mit den vorgegebenen Formulierungen, die Weidel dann vorlas. So trug sie aus der erfundenen Pressemitteilung die Passage vor: "Faeser betonte zudem, dass die Verbreitung des Videos extremistischen Gruppen, insbesondere der AfD in die Hände spielen könnte." Weiter stand in dem Fantasietext, Faeser habe erklärt, mit Teilen gebe man diesen Gruppen eine "Plattform, ihre Hetze und Propaganda zu verbreiten. Das dürfen wir nicht zulassen."
Weidel erklärte dann mit sich überschlagender Stimme, was die AfD ihrerseits nicht zulassen werde: "Dass solche Leute weiter in den Ämtern sitzen." "Es bringt uns alle zu Recht auf die Palme", fasste sie zusammen. "Wie lange wollen die da oben uns noch verarschen? Mit dieser Verarsche muss irgendwann Schluss sein." Sie warf also der Innenministerin "Verarsche" vor auf der Grundlage einer erfundenen Pressemitteilung, die sie für echt ausgab.
AfD hat Weidel-Rede aus dem YouTube-Kanal genommen
Diese Szenen sind im offiziellen Kanal der AfD nicht mehr zu sehen, dort ist das Video nicht mehr abrufbar. Auf verschiedenen Plattformen kursieren aber weiterhin zahlreiche Kopien ohne Hinweise, dass es sich um ein Fake handelt. Eine Kopie auf YouTube mit dem Titel "Weidel zerstört Faeser wegen Stürzenberger" kam bis zum frühen Sonntagmorgen bereits auf mehr als 250.000 Abrufe mit mehr als 4.000 Kommentaren. Dem Kanalinhaber dürfte die Empörung ansehnliche Werbeeinnahmen von YouTube bringen.
Auf X ging Weidel auf die peinlichen Details nicht näher ein und schrieb, es tue ihr leid. Der "Tenor" bleibe richtig, so Weidel. Faeser sei im Amt fehl am Platz, weil sie sich noch damit brüste, schon immer vor solchen Tätern gewarnt zu haben, sie aber trotzdem unbehelligt gewähren lasse. Tatsächlich ist Faeser nach ihrer echten Stellungnahme auf X selbst von dem grünen Europa-Abgeordneten Erik Marquardt gerügt worden: Das sei "vielleicht gut gemeint", aber sehr unglücklich formuliert. "Die Bevölkerung erwartet zu Recht, dass die Politik solche Attentate verhindert und nicht nur vor solchen Gefahren warnt."
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Die falsche Pressemitteilung hatte Alice Weidel von ihrem Handy abgelesen. Die Ursprungsversion hatte Reimond Hoffmann als Screenshot auf X verbreitet. Der Text ist mit einem kaum zu erkennenden Wasserzeichen "SATIRE" unterlegt. Am Kopf ist noch das Kommando an ChatGPT zu lesen.
Im Tweet dazu hatte er geschrieben, er habe als "treuer Bürger" ChatGPT die Erklärung schreiben lassen, um "der Regierung zu helfen". Mit dem Tweet zusammen konnte man die vermeintliche Faeser-Erklärung kaum für echt halten. Es ist unklar, ob Weidel nur einen Teil des Screenshots und nicht den Tweet kannte.
Pikant ist, dass Weidel das Fake Hoffmann zu verdanken hat, der zu einem Lager von Weidel-Gegnern gehört, das auf Fehler der Vorsitzenden förmlich wartet. Hoffmann hatte den Landesparteitag im Februar abbrechen wollen, bei dem die Weidel-nahe Führungsspitze schließlich eine Mehrheit für die Wiederwahl bekam.
Scharfmacher Hoffmann setzt häufiger künstliche Intelligenz ein, um etwa Bildmotive erstellen zu lassen. Er hatte etwa ein Bild eines blonden Ehepaars mit drei kleinen blonden Kindern erstellen lassen, von denen eines ein Gewehr hält. "Wir sorgen dafür, dass unbescholtene Menschen weiterhin ihre Familie und ihr Haus verteidigen können." Zu dem Faeser-Fake schrieb er am Wochenende auf X, er habe es nicht an Weidel weitergegeben.*
*Der Text wurde an dieser Stelle mit der Hoffmann-Reaktion aktualisiert.
- Eigene Recherche
- twitter.com: Tweet Alice Weidel