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Antisemitismus in Deutschland: Rabbiner warnen vor "Scharfmachern"


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Antisemitismus in Deutschland
Die Scharfmacher übernehmen das Kommando

MeinungEin Gastbeitrag von Avichai Apel, Zsolt Balla und Yehuda Pushkin

22.05.2024Lesedauer: 3 Min.
Räumung des pro-palästinensischen Protestcamps vor dem ReichstagVergrößern des Bildes
Zugriff: Die Berliner Polizei räumt das pro-palästinensische Protestcamp vor dem Reichstag. (Quelle: dpa)

Entsetzen über den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und Sorge um die Zivilbevölkerung im Gazastreifen machen den Dialog in Deutschland fast unmöglich. "Die Scharfmacher haben das Kommando", mahnen drei hochrangige Rabbiner.

Dialog ist eines der wichtigsten Grundprinzipien einer demokratischen Gesellschaft. Dem anderen zuzuhören, sich mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen, gemeinsam nach der besten Lösung zu suchen: All das ist nötig, wenn wir ein friedliches Zusammenleben einer zunehmend heterogenen und auseinander driftenden Gesellschaft gut organisieren wollen.

Dialogformate haben auch jahrhundertelang verfeindete Religionsgemeinschaften nach vorne gebracht. Da ist der Dialog zwischen Katholischer Kirche und Judentum zu nennen, der schon vor knapp 60 Jahren in die vatikanische Erklärung Nostra Aetate mündete, die den Hass auf Juden verurteilte: Gerade den, der durch die Kirche fast 2.000 Jahre verbreitet worden war.

Und der Dialog von Imamen und Rabbinern war ein Schlüssel dazu, das angespannte Verhältnis zwischen Muslimen und Juden zumindest auf der Ebene der Verantwortlichen zu verbessern. Das gemeinsame Gespräch hilft, auch wenn am Ende nicht aller einer Meinung sind.

Quelle: Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD)
Quelle: Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) (Quelle: Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD))

Über die Autoren

Die Rabbiner Avichai Apel (Frankfurt), Zsolt Balla (Leipzig) und Yehuda Pushkin (Stuttgart) führen den Vorstand der 55 Mitglieder umfassenden Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) an. Das Rabbinat für Deutschland mit Sitz in Köln wurde 2003 als Organ des Zentralrates der Juden gegründet. Es setzt sich für das jüdische Leben sowie Erhalt jüdischer Tradition und Vorschriften hierzulande ein.

Der Nahostkonflikt, namentlich der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, stand schon immer wie der sprichwörtliche Elefant im Raum zwischen uns, trennte uns. Doch auch über dieses Thema konnte man sprechen, vorsichtig zumindest.

Wir waren auf einem guten Weg. Doch dann kam der 7. Oktober. Das größte Pogrom gegen Juden seit der Shoah. Ein Massenmord, der Juden überall wie ein Schmerz in alle Glieder fuhr.

Und es folgte der Krieg Israels gegen die Hamas in Gaza, die Bilder von zerstörten Häusern, von fliehenden Menschen, die nicht wussten, wohin sie gehen sollten. Plötzlich verstummten die leisen, die nachdenklichen Töne. Die Lautsprecher, die Scharfmacher übernahmen das Kommando. Sichtbar und hörbar sind sie dieser Tage überall, auf unseren Straßen und Plätzen in den Städten, bei Besetzungen von Universitäten, in den sozialen Netzwerken.

"Diese Angst ist real"

Nicht alle Proteste sind gewalttätig. Aber zumindest verbal sind sie es. Sie sind einseitig, radikal und leider auch antisemitisch. Dass sich jüdische Studierende und Juden überhaupt in Deutschland zusehends unwohl fühlen, sich nicht mehr trauen, als Juden wahrgenommen zu werden, das ist keine Einbildung, das ist keine Übertreibung. Nein, diese Angst ist real.

Hören wir also auf, uns in die Tasche zu lügen. Bei den Protesten gegen Israel und dem Umgang mit ihnen geht es nicht um die Frage der Meinungsfreiheit. Es geht ganz sicher nicht um Dialog und Diskurs.

Nein, es geht um Deutungshoheit, ums Rechthaben und auch um das Aufwiegeln zur Gewalt.

Wir alle wissen: Rechthaberei führt oft genau zum Gegenteil dessen, was man eigentlich erreichen will, nämlich, das Gegenüber zu überzeugen. Die radikalen Protestaktionen, die wir neuerdings in den USA, in europäischen Ländern und jetzt auch an deutschen Universitäten erleben, sind nicht dazu da, dem Frieden in Nahost einen Schritt näherzukommen. Sie setzen nicht auf Dialog, sondern auf das Niederbrüllen und Verächtlichmachen von Andersdenkenden. Und das Verächtlichmachen der Opfer des 7. Oktober.

"Die Entführten können sich nicht wehren"

Die Entführten, die vergewaltigten Frauen, sie können sich nicht gegen den massiven Hass wehren, der ihnen da entgegenschlägt. Sie und ihre Angehörigen können den Marschierern, die fanatisiert sind oder gedankenlos Slogans wie "From the River to the Sea, Palestine will be free" oder "Yalla, yalla, Intifada" rufen, alleine nichts entgegensetzen.

Wer Dialog einfordert, wie die Lehrenden an Berliner Hochschulen das getan haben, meint es vielleicht gut. Er sollte die Aufforderung aber nicht nur an die Universitätsleitungen oder die Polizeibeamten richten, sondern vielleicht auch einmal versuchen, auf die Studierenden einzuwirken, die an den Protest-Camps teilnehmen. Denn ein Dialog mit Menschen, die Dialogangebote kategorisch ablehnen, die einem nicht auf Augenhöhe begegnen wollen, ist unmöglich.

Dialog kann nicht erzwungen werden. Die Einhaltung von Recht und Gesetz und der Schutz von Menschen gegen Verleumdung und tätliche Angriffe hingegen schon. Unsere Demokratie ist in Gefahr, wenn wir die Dialogbereitschaft verlieren. Aber sie ist noch mehr in Gefahr, wenn wir Radikalen und Gewaltbereiten die Straßen und Universitäten überlassen.

Sicher, die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie muss geschützt werden. Aber die Menschenwürde steht über der Meinungsfreiheit. Das gilt auf dem Uni-Campus ebenso wie auf der Straße.

Verwendete Quellen
  • Gastbeitrag der Rabbiner Avichai Apel (Frankfurt), Zsolt Balla (Leipzig) und Yehuda Pushkin (Stuttgart), Vorstandsmitglieder der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).
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