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Corona-Aufarbeitung: FDP fordert Enquete-Kommission – Grüne widersprechen


Streit über Corona-Aufarbeitung
"Das hat nichts mit Verschwörungstheorien zu tun"

Von t-online, ann, job, dm

Aktualisiert am 26.03.2024Lesedauer: 4 Min.
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Angela Merkel mit Maske: Die Kanzlerin hat viel durchgesetzt. (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de via www.imago-images.de/imago)

Muss die Corona-Politik weiter aufgearbeitet werden? Unbedingt, sagt die FDP – und erhält Unterstützung aus der Opposition. Doch eine Regierungspartei widerspricht.

Das Coronavirus hielt Länder weltweit ab Anfang 2020 in Schach und die Politik in Atem. Aus der Angst vor einem Massensterben folgten in Deutschland ab März nie dagewesene Einschränkungen. Darunter: Schul- und Betriebsschließungen, Abstandsregeln, Maskenpflicht, Ausgangssperren und Zutrittsverbote für Ungeimpfte.

Nie griff die Politik härter in das Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger ein. Nie musste sie unter Druck rascher reagieren. Und nie löste sie mehr Kritik aus, spaltete die Gesellschaft in jene, die Verständnis hatten und jene, die protestierten. Diese Spaltung hält in Teilen bis heute an – die aktuelle Diskussion nach der Veröffentlichung von Akten aus dem Robert-Koch-Institut aus der Pandemiezeit sind dafür nur ein Beleg.

Ist die Pandemiezeit ausreichend aufgearbeitet? Die FDP im Bundestag findet: nein. Die Liberalen fordern eine sogenannte Enquete-Kommission, die das politische Handeln in der Zeit analysieren und bewerten soll. Und sie erhalten Unterstützung von großen Teilen der Opposition.

"Das muss dringend aufgearbeitet werden"

"Wir haben drei Jahre in einem gesellschaftlichen Zustand gelebt, der dringend aufgearbeitet werden muss", sagte Andrew Ullmann, Arzt und gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, zu t-online. "Außerdem werden wir weitere Pandemien erleben, auf welche wir uns entsprechend vorbereiten müssen."

Doch Ullmann kritisiert: "Leider ist der Zuspruch seitens der Koalitionspartner bislang noch ausgeblieben." Aus seiner Sicht sei "nicht erklärlich", woher der Widerstand rührt. "Trotz hoher Arbeitsbelastung können wir als Parlamentarier doch nicht das Notwendige liegen lassen, weil wir die Mehrarbeit dafür scheuen."

Enquete-Kommissionen können auf Antrag eines Viertels der Bundestagsabgeordneten eingerichtet werden und bestehen aus Abgeordneten sowie Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis. Sie erarbeiten einen Abschlussbericht und sprechen in der Regel Empfehlungen für die Gesetzgebung aus.

SPD-Landesregierung unterstützt Vorschlag

Auch in der Kanzlerpartei gibt es Zustimmung. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), sagte am Dienstag zu t-online: "Ich halte eine Aufarbeitung – in welcher Form auch immer – für wichtig, um für die Zukunft zu lernen und auch, um den Riss zu kitten, der zwischen Befürwortern und Gegnern der Corona-Maßnahmen entstanden ist."

Die Regierungschefin, die 2022 selbst an Corona erkrankte, betonte zudem die außergewöhnliche Situation, in der die politischen Verantwortlichen damals ihre Entscheidungen trafen. "Politik und Gesellschaft standen während der Corona-Pandemie vor nie da gewesenen existentiellen Fragen um Leben und Tod." Den Regierungen von Bund und Ländern sei wichtig gewesen, "auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse, Entscheidungen zu treffen".

Grüne befürchten Missbrauch

Die Grünen sind gegen ein solches Gremium – und argumentieren dabei nicht mit Mehrarbeit. Sie warnen vor den möglichen Gefahren. "Eine Enquete-Kommission oder gar ein Untersuchungsausschuss wäre jetzt das falsche Instrument und würde vor allem für parteipolitische Profilierung missbraucht werden", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Janosch Dahmen, zu t-online. "Das hilft niemandem."

Solche Gremien würden von jenen besonders laut gefordert, "die sich erkennbar über die andauernde, unabhängige, wissenschaftliche Aufarbeitung hinwegsetzen wollen, um mit populistischen Parolen politische Duftmarken zu setzen", kritisierte Dahmen. "Als Arzt und Politiker finde ich es vor dem Hintergrund der unzähligen Opfer falsch, die Aufarbeitung der Pandemie nun für die anstehenden Wahlkämpfe instrumentalisieren zu wollen."

Dahmen betonte, es sei richtig, die gewonnenen Erfahrungen aus der Pandemie systematisch auszuwerten. Das geschehe bereits in diversen Gutachten, Stellungnahmen und Studien. Und es sei gut, dass "der Bundeskanzler nun auch ein interdisziplinäres, wissenschaftliches Nachfolgegremium des Corona-Expertenrates eingesetzt hat", das "nach vorne gerichtet konkrete Antworten darauf liefern soll, wie unser Gesundheitswesen widerstandfähiger und besser vorbereitet werden kann".

FDP-Politiker Ullmann widerspricht Dahmens Vorwurf der drohenden parteipolitischen Instrumentalisierung: Die systematische Fehleranalyse sei von entscheidender Bedeutung in der wissenschaftlichen Forschung, die Übertragung auf Maßnahmen im Kontext der Corona-Pandemie angemessen, sagte Ullmann. "Dieser Ansatz hat nichts mit der Unterstützung von Verschwörungstheorien zu tun, sondern sorgt für eine bessere Vorbereitung auf zukünftige Pandemien, ansonsten werden sich Fehler wiederholen."

Union will Enquete-Kommission, AfD und BSW noch mehr

Mit der Union hat sich auch die größte Oppositionspartei, die zur Hochzeit der Pandemie regierte, der Forderung nach einer Enquete-Kommission angeschlossen. Etwa hält der CDU-Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt, Rainer Haseloff, eine Aufarbeitung für richtig. Dem Nachrichtenportal t-online sagt Haseloff: „Die Aufarbeitung eines so einschneidenden Ereignisses wie der Covid-19-Pandemie ist sicher sinnvoll. Wir starten selbst am 4. April eine Kommission, die Erkenntnisse zu den in Sachsen-Anhalt ergriffenen Maßnahmen zusammentragen und Handlungsempfehlungen für kommende pandemische oder epidemische Situationen erarbeiten soll."

Es gehe dabei darum, wie erfolgreich getroffene Maßnahmen waren und welche Unterschiede in der Wirkung gab, erklärt der CDU-Politiker.

Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge, sagte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Es braucht jetzt endlich eine systematische Aufarbeitung der Corona-Politik."

Die Linke plädiert bereits seit Monaten für eine Kommission zur Aufarbeitung. "Diese Enquete-Kommission muss klären, welche Maßnahmen richtig und notwendig waren, welche bei einem ähnlichen Fall nicht wiederholt werden dürfen und ob es wesentlich weniger beeinträchtigende Alternativen zu den getroffenen Entscheidungen gibt", sagte Linken-Politiker Gregor Gysi t-online.

Als Beispiele nennt Gysi Maßnahmen, die zu Schulausfall und Isolierung von Kindern geführt hätten, sowie generelle Fragen einer Impfpflicht. "Die Enquete-Kommission hätte viel zu tun", so Gysi weiter. Der Bundestag sei verpflichtet, all dies aufzuarbeiten und der Bevölkerung entsprechende Auskünfte zu erteilen. Von der Unionsspitze im Bundestag habe es auf den Linken-Vorschlag geheißen, man sei für eine Enquete-Kommission in der nächsten Legislaturperiode. "Wir werden darauf auf jeden Fall zurückkommen."

Derweil wollen Teile der Opposition noch weiter gehen: Die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht fordern nicht nur eine Kommission, sondern einen Untersuchungsausschuss. Auch er kann von einem Viertel der Abgeordneten beantragt werden, untersucht aber explizit "mögliche Missstände" in der Regierung wie Verwaltung sowie "mögliches Fehlverhalten" von Politikern.

"Eine Enquete-Kommission reicht nicht aus", sagte Sahra Wagenknecht der Nachrichtenagentur dpa. "Notwendig ist ein Untersuchungsausschuss, um die Zeit mit den größten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik zu beleuchten." Auch der AfD-Gesundheitspolitiker Martin Sichert ruft zu einem solchen Ausschuss auf: "Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was damals wirklich passierte."

Verwendete Quellen
  • Anfragen an FDP-Politiker Andrew Ullmann, Janosch Dahmen
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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