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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wo sollen 17 Milliarden herkommen? Habeck-Experte lehnt populäre Lösung ab
Wie kommt die Ampel aus der Haushaltskrise? Viele liebäugeln mit dem erneuten Aussetzen der Schuldenbremse 2024. Doch nun wächst die Zahl der Skeptiker.
Könnte die Bundesregierung die Schuldenbremse nächstes Jahr einfach erneut aussetzen, um sich aus der Haushaltskrise zu befreien? Das ist eine der wichtigsten Fragen, die derzeit immer mitschwingt, wenn die Ampel eine Lösung aus der Misere sucht. Und die Frage ist umstritten, nicht nur unter Ökonomen und Juristen, sondern auch in der Ampelkoalition selbst.
SPD-Chefin Saskia Esken fordert seit Tagen offensiv, die Schuldenbremse auch 2024 erneut auszusetzen. Sie ist der Ansicht, ein Ausrufen der Notlage, das dafür nötig wäre, ließe sich mit der andauernden krisenhaften Lage begründen, etwa dem Krieg gegen die Ukraine. Auch bei den Grünen gibt es große Sympathien für diese Lösung. Die FDP hingegen ist sehr skeptisch.
"Ökonomisch nicht ganz überzeugend"
Am Dienstag nun hat sich auch der Chef des unabhängigen Wissenschaftlichen Beirats beim Wirtschaftsministerium von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) als Skeptiker zu erkennen gegeben. Am Rande der Vorstellung eines neuen Gutachtens des Beirats sagte der Ökonom Eckhard Janeba: "Mein Eindruck ist, dass 2024 die Notlage zu begründen schwierig wäre. Ich würde es auch für ökonomisch nicht ganz überzeugend halten."
Es sei natürlich ein Stück weit eine juristische Frage, sagte Janeba. Aber aus seiner Sicht müsse eine Lösung innerhalb des Haushalts gefunden werden – und nicht über die Notfallregel.
Der Ökonom begründete seine Haltung auch mit einer neuen Expertise des Bundesrechnungshofs. Der hatte in einer Stellungnahme für die Anhörung des Haushaltsausschusses am Dienstag sogar angezweifelt, ob die nachträgliche Aussetzung der Schuldenbremse für dieses Jahr verfassungsgemäß sei. Der Etat 2023 bleibe "verfassungsrechtlich äußerst problematisch", so die Einschätzung.
Ökonom Janeba argumentierte nun, der Bundesrechnungshof habe damit ja angedeutet, dass schon die Notfallregel 2023 möglicherweise kritisch zu sehen sei. "Ich glaube, für 2024 gilt das dann umso mehr."
Woher sollen die 17 Milliarden kommen?
Die Frage, ob sich die Schuldenbremse auch nächstes Jahr aussetzen ließe, könnte mitentscheidend für eine Lösung der Haushaltskrise sein. (Mehr zur Schuldenbremse und wie sie funktioniert, lesen Sie hier.) Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verhandelt die Regierung seit Wochen darüber, wie die akut fehlenden 17 Milliarden Euro fürs nächste Jahr aufzutreiben sind.
SPD und Grüne sind der Ansicht, dass sich nicht die ganze Summe durch Einsparungen im Haushalt erzielen lässt. Der realistischste Weg für die Restsumme wäre dann das erneute Aussetzen der Schuldenbremse. Denn das könnte die Ampelkoalition mit ihrer Mehrheit durchsetzen.
Für zwei der diskutierten Alternativen – ein Sondervermögen Klimaschutz und eine Reform der Schuldenbremse – bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und damit die Unterstützung der Union. Denn beide Lösungen erfordern eine Grundgesetzänderung. Vielen erscheint das aber allein wegen des Zeitdrucks keine realistische Option für das nächste Jahr zu sein.
Gute Nachrichten für Habeck
Für die mittelfristige Perspektive hatte Ökonom Eckhard Janeba hingegen am Dienstag gute Nachrichten für Habeck mitgebracht. Der unabhängige Beirat spricht sich in einem neuen Gutachten für eine Reform der Schuldenbremse aus – genau wie der Vizekanzler auch.
Die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form setze Fehlanreize für zu geringe staatliche Investitionen, argumentieren die Ökonomen. Sie schlagen deshalb eine Reform vor, die öffentliche Investitionen von der Schuldenbremse ausnimmt: eine "Goldene Regel plus".
Anders als in ähnlichen Konzepten soll nach den Vorstellungen des Beirats jedoch eine unabhängige Institution darüber wachen, dass es sich bei einer vorgeschlagenen Ausgabe auch wirklich um eine echte Investition handelt.
Zudem soll die Ausnahme von der Schuldenbremse nur für Nettoinvestitionen gelten, also für die Bruttoinvestitionssumme minus der Abschreibungen. So soll sichergestellt werden, dass tatsächlich nur zusätzlich geschaffene Werte bevorzugt behandelt werden und nicht etwa auch die schlichte Instandhaltung von Infrastruktur und anderen Sachwerten.
- Pressekonferenz des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz am 5. Dezember 2023