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Cum-Ex: Beweise für Treffen zwischen Olaf Scholz und Christian Olearius


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Interner Cum-Ex-Schriftverkehr
"Scholz, der Jesus von der Alster"


Aktualisiert am 02.12.2023Lesedauer: 5 Min.
Olaf Scholz hat offenbar doch klare Erinnerungen an Banker-Gespräch (Quelle: IMAGO / Bernd Elmenthaler (Montage))Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz hat offenbar doch klare Erinnerungen an Banker-Gespräch (Quelle: IMAGO / Bernd Elmenthaler (Montage)) (Quelle: IMAGO / Bernd Elmenthaler)
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Der Bundeskanzler will sich in der Cum-Ex-Affäre an Treffen mit einem Privatbanker nicht erinnern können. Ein interner Vermerk des Bundesfinanzministeriums beweist jetzt das Gegenteil.

Dreimal hat sich der heutige Bundeskanzler und frühere Erste Bürgermeister Hamburgs in den Jahren 2016 und 2017 mit dem Privatbanker Christian Olearius getroffen – mindestens. Zugegeben hat Scholz dies immer erst, nachdem Medien berichtet und Treffen öffentlich gemacht hatten. Brisant ist das, weil dem Banker später Steuerbetrug vorgeworfen wurde. Es geht um mehr als 100 Millionen Euro und die Frage, ob Scholz Einfluss auf das Steuerverfahren genommen hat.

Streit gibt es unter anderem darüber, ob sich Olaf Scholz an die Inhalte der Gespräche mit Olearius erinnern kann. Scholz sagt, er könne sie nur aus den Medienberichten rekonstruieren, eigene Erinnerungen habe er keine. Er wurde dazu mehrfach in unterschiedlichen Gremien befragt, in Sitzungen des Finanzausschusses und auch im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg.

Doch das ist offenbar gelogen. Unveröffentlichte Dokumente aus dem Bundesfinanzministerium, die t-online vorliegen, zeigen: Scholz wusste immer, was er mit Olearius besprochen hatte.

Ungünstig für Scholz

Alles dreht sich um eine Finanzausschusssitzung am 1. Juli 2020. Zu diesem Zeitpunkt war nur eines der insgesamt drei Gespräche bekannt, die Scholz mit dem Cum-Ex-Banker Olearius geführt hatte. Kurz zuvor hatten der NDR und "Die Zeit" über dieses eine Treffen berichtet. Sie stützten sich in ihrer Berichterstattung auf die Tagebucheinträge von Christian Olearius – der Banker hatte das Treffen zuungunsten von Scholz dort notiert.

Was Scholz bei dieser Finanzausschusssitzung genau zu dem Treffen sagte, ob er sich an die Gesprächsinhalte erinnerte, das wurde nicht öffentlich. Denn seine Aussage zu dieser Frage fand im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung statt, das Protokoll wurde "eingestuft". Das heißt, es wurde als geheim eingestuft. "VS-Vertraulich", stand oben auf dem Protokoll: Verschlusssache.

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"Amnesie Olaf"

Als dann mehrere Monate später die zwei weiteren Treffen mit Olearius bekannt wurden, wieder durch Medienberichte, berief Scholz sich in einer weiteren Finanzausschusssitzung im September 2020 und auch im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss im März 2021 auf Erinnerungslücken. An Gesprächsinhalte zu den Treffen könne er sich nicht erinnern. Doch spätestens hier wurde die zunächst geheime Finanzausschusssitzung wieder interessant.

Was sind Cum-Ex-Geschäfte?

Bei Cum-Ex-Geschäften werden Aktien rund um den Dividendenstichtag hin- und her verschoben. Für viele Finanzämter ist aufgrund der Schnelligkeit der Geschäfte nicht mehr ohne Weiteres zu erkennen, auf welche Verkäufe Kapitalertragssteuer anfällt und auf welche nicht. So ist es möglich, dass sich manche Anleger Kapitalertragssteuer zurückerstatten lassen, die sie nie gezahlt haben. Dieses Vorgehen ist strafbar. Diese Cum-Ex-Geschäfte haben dem deutschen Fiskus und damit den Bürgern mehrere Milliarden Euro Schaden zugefügt. Sie gelten insgesamt als "Größter Steuerraub der deutschen Geschichte".

Denn es mehrten sich die Gerüchte, dass Scholz in der geheimen Sitzung vom Juli 2020 Erinnerungen an das damals bekannte Gespräch geäußert hatte. Auch deshalb hatten manche Teilnehmer der Sitzung schon frühzeitig darauf gedrängt, dass das Protokoll der Sitzung öffentlich, die Verschlusssache also "entstuft" werde. Zum Beispiel der damalige Linken-Abgeordnete Fabio De Masi, der heute parteilos ist. Doch die CDU, damals mit in der Regierung, zog zunächst nicht mit. Erst eine Woche vor der Bundestagswahl, zu einem Zeitpunkt, als die Umfragewerte gut für Olaf Scholz waren, änderte die Partei ihre Meinung – aber erst nach der Wahl wurde das Protokoll freigegeben.

Zunächst erinnert er sich offenbar

Medien berichteten Ende 2021 über dessen Inhalt. Und tatsächlich: Scholz hatte laut Protokoll in der Sitzung über Erinnerungen an das eine Treffen mit Olearius gesprochen. Wörtlich im Protokoll antwortete er auf eine Frage von Fabio De Masi: "Man habe über viele Dinge gesprochen. [...] Er habe sich lediglich die Sicht der Dinge von Christian Olearius angehört." Der Skandal war da: Scholz hatte über Monate gelogen. So sahen es zumindest die CDU, die Linke und die Grünen. Doch die SPD baute schnell einen Verteidigungswall um ihren damaligen Finanzminister, der sich anschickte, Kanzler zu werden.

Keine eigenen Erinnerungen

Denn Scholz hatte laut Protokoll einen weiteren, wichtigen Satz zu den Treffen und seinen Erinnerungen gesagt: "Diese Sicht der Dinge sei mittlerweile pressebekannt." Er bezog sich damit, so die Argumentation der SPD, auf die Berichterstattung zu Olearius' Tagebucheinträge über das damals bekannte Treffen mit Scholz. Er habe also keine eigenen Erinnerungen, sondern nur die, die er durch die Berichterstattung der Medien erlangte. Und schon hatte er angeblich nicht mehr gelogen.

Es ist ein Beispiel für die Kommunikationsstrategie des heutigen Kanzlers und der SPD: immer nur das zugeben, was öffentlich bekannt ist und im Zweifel abstreiten. Interne Dokumente aus dem Bundesfinanzministerium, die t-online vorliegen, zeigen jetzt, dass auch die oben beschriebene Darstellung gelogen ist.

Unveröffentlichte Dokumente

Das ehemalige Mitglied des Bundestages Fabio De Masi hat durch einen Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz diverse Akten aus dem Bundesfinanzministerium bekommen und t-online zur Verfügung gestellt. Ein Dokument trägt den Namen: "Zur Berichterstattung von SZ, Panorama und Die Zeit über Cum Ex und die Warburg Bank". Dieses Dokument wurde von einem leitenden Mitarbeiter des Bundesfinanzministeriums erstellt und an die Leitungsebene versendet. Die Welt berichtete zuerst über die Dokumente.

Wer genau es geschrieben hat und an wen es gegangen ist, das teilt das Ministerium weder in der Antwort an De Masi noch auf Anfrage von t-online mit. In dieser Zeit war der damalige Staatssekretär und heutige Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt öffentlich der größte Verteidiger von Scholz. Er verbrachte ganze Nächte im Onlinedienst Twitter (heute X) und formulierte Angriffe auf Kritiker.

Eigene Erinnerungen

Das Dokument ist Teil der Vorbereitung einer Finanzausschusssitzung am 9. September 2020. Also gut zwei Monate nach der fraglichen Sitzung, auf der Scholz nach der Wahrnehmung vieler Abgeordneter genaue Erinnerungen an die Treffen mit Olearius gehabt haben soll. Und auch in diesen vorbereitenden Dokumenten ist die Rede von Erinnerungen.

So heißt es wörtlich: "Richtig ist, dass ich mich auch mit Christian Olearius und Vertretern der Warburg Bank wiederholt getroffen habe". Und: "In den Gesprächen habe ich mich nicht zu dem Verfahren geäußert oder gar Handlungen in Aussicht gestellt". Keine Rede davon, dass er sich bei diesen Erinnerungen auf die Presseberichterstattung stützt. Und es gibt noch einen weiteren Beleg, dass Scholz ganz genau wusste, was er mit dem Banker besprochen hatte.

Die Rolle der Tagebücher

Denn in einem detaillierten Part des Dokuments steht wörtlich: "Er hat keine Auskünfte über seine Einschätzung zu dem Sachverhalt gegeben. So ist es auch in den öffentlich zitierten Tagebuchaufzeichnungen von Herrn Olearius klar nachzulesen." In der Vorbereitung der Sitzung bezieht sich Scholz also explizit nicht auf die Tagebucheinträge, nutzt sie nur als Beleg, dass seine eigene Erinnerung an den Gesprächsverlauf korrekt sein soll.

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Das sei besonders spannend, sagt Fabio de Masi, weil er dann in der September-Sitzung erstmals selbst von Erinnerungslücken spreche: "Erst in letzter Minute erfolgte ein Strategiewechsel. Scholz führte bei der dritten Befragung im Bundestag plötzlich die berühmte Erinnerungslücke ein."

"Jesus von der Alster"

Auch vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Hamburg am 30. April 2021 sprach Scholz von Erinnerungslücken. Für diese, laut Strate, Falschaussage zeigte ihn der renommierte Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate an. Ermittelt wird aber nicht. Für De Masi ist das – erst recht jetzt nach Bekanntwerden dieser Dokumente – "ein Unding". Auch die Begründung der Staatsanwaltschaft kritisiert er: "Die politisch weisungsgebundene Hamburger Staatsanwaltschaft hat nur nicht ermittelt, weil sie sagt, dass Scholz die Erinnerung im Bundestag nur vorgetäuscht haben könnte", so De Masi: "Mit anderen Worten: Es wird nur nicht wegen Falschaussage gegen Scholz ermittelt, weil er ja womöglich im Bundestag gelogen hat. Und dort wäre eine Lüge nicht strafbar."

Früher seien Politiker schon wegen des falschen Briefpapiers zurückgetreten, heute "dürfen Bundeskanzler ein Parlament belügen". Scholz gelte in Hamburg offenbar als "Jesus von der Alster", fasst De Masi zusammen. "Mit ein bisschen Demenz!"

Das Bundesfinanzministerium, aus dessen Leitungsebene das Dokument stammt, und auch das Bundespresseamt antworteten auf Anfrage von t-online bis zuletzt nicht zur Sache.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Informationsfreiheitsgesetz-Anfrage von Fabio de Masi
  • Protokoll der Finanzausschusssitzung vom 01. Juli 2020
  • Protokoll der Finanzausschusssitzung vom 04. März 2020
  • Protokoll des Hamburger Untersuchungsausschusses zu Cum-Ex
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