Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ampel zittert Dann wäre es wohl vorbei
Am Mittwoch wird es ernst für die Ampel: Das Verfassungsgericht urteilt über ihren 60-Milliarden-Trick. Läuft es richtig schlecht, könnte es das gewesen sein mit der Regierung.
Es war Frühjahr 2022, als klar wurde, dass es schiefgehen könnte. Dass die findige Idee der Ampelregierung, wo sie mehr Geld für ihre teuren Wünsche herbekommt, an den schnöden Paragrafen der Verfassung scheitern könnte.
In jenen Wochen im Frühling traten verschiedene Experten im Haushaltsausschuss des Bundestages auf. Die einen Ökonomen, die anderen Verfassungsrechtler. Einige hatten wenig Bedenken, andere warnten die Parlamentarier eindringlich. Und jetzt, in diesen Tagen, denkt mancher Ampelpolitiker an die Experten von damals zurück und fragt sich: Haben wir richtig entschieden?
Der Haushaltsausschuss hatte damals über die 60-Milliarden-Euro-Frage zu befinden: Stimmen wir zu, die ungenutzten Notkredite aus der Corona-Zeit umzuwidmen und in einen Sondertopf zu verschieben? So hatte es sich die Ampelregierung ausgedacht, um mehr Geld für Klimaschutz zu haben. Mit ihrer Mehrheit im Bundestag setzte sie die Operation dann durch. War es ein genialer Schachzug? Oder doch illegal? Darüber entscheidet am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht.
Läuft es richtig schlecht für die Ampel, klafft plötzlich eine riesige Lücke von 60 Milliarden Euro in ihrer Finanzplanung. Und das in Zeiten, in denen mancher Koalitionär ohnehin am Spardruck zu verzweifeln scheint. Es wäre der Super-GAU. Schwer vorstellbar, dass die streitlustige Ampel sich dann friedlich einigt, welche Ausgaben entbehrlich sind. Es könnte der Anfang vom Ende der Koalition sein.
Aber so schlimm muss es nicht kommen.
Sie brauchten das Geld
Die Ampel war jung und brauchte das Geld. So könnte man die Zeit damals beschreiben. Als die Bundesregierung 2021 ins Amt kam, waren die Kassen leer und die Wirtschaft angeschlagen von der auslaufenden Corona-Krise. Die Ampel aber wollte "mehr Fortschritt wagen", einen Aufbruch schaffen. Und der kostet eben meist: Geld. Viel Geld.
Die Bundesregierung fand es deshalb ganz logisch, die ungenutzten 60 Milliarden in den Klima- und Transformationsfonds zu verschieben, den KTF: Immerhin werde das Geld weiterhin dazu eingesetzt, die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzumildern, hieß es zur Begründung. Mit Investitionen in die Zukunft nämlich, zum Beispiel in den Klimaschutz, für die in der Pandemie weder Zeit noch Geld geblieben sei.
Das Problem: Für die Corona-Notkredite wurde damals die Schuldenbremse ausgesetzt. Im Falle von Naturkatastrophen wie einer Pandemie, für die niemand etwas kann, ist das ausdrücklich vorgesehen. Die Union aber argumentierte, die Naturkatastrophe Corona sei ja nun vorbei. Trotzdem wolle die Bundesregierung die 60 Corona-Milliarden behalten und erst später ausgeben. Das gehe nicht, fand die Union – und zog vors Bundesverfassungsgericht.
Einen Eilantrag lehnten die Richter in Karlsruhe Ende vergangenen Jahres zwar ab – wegen der potenziell gewaltigen Auswirkungen der vorläufigen Entscheidung auf die Ampelpolitik. Das Verfassungsgericht schloss aber nicht aus, dass die Umwidmung problematisch sein könnte. Im Juni gab es eine mündliche Anhörung, nach der sich nun auch einige Ampelpolitiker keine Prognose zutrauen. Am Mittwoch nun wird es mit der endgültigen Entscheidung in Karlsruhe ernst.
"Lindners Story ist schlicht fake"
Für die Opposition ist die Sache klar. "Christian Lindners Story von der Einhaltung der Schuldenbremse ist schlicht fake", sagt Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg t-online. Der Finanzminister häufe "riesige Schuldenberge an" und buche sie am regulären Haushalt vorbei in Sonderschuldentöpfe, wie bei den 60 Milliarden Euro. "Die hat Christian Lindner zweckentfremdet und außerdem auf weitere Haushaltsjahre umgebucht, obwohl er diese für Corona ungenutzten Kredite eigentlich Ende 2021 hätte verfallen lassen müssen."
Middelbergs Erwartungen für Mittwoch sind eindeutig: "Wir hoffen, dass das Verfassungsgericht dies als Umgehung der Schuldenbremse erkennt und die Ampelregierung zur Ehrlichkeit und Transparenz in der Haushaltspolitik ermahnt."
Käme es so, hätten vor allem Robert Habeck und die Grünen ein Problem. Der Großteil der insgesamt über 211 Milliarden Euro im KTF ist für Programme seines Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz vorgesehen. Der KTF stellt das Geld für die Förderung von Heizungen und die Gebäudesanierung bereit, er enthält Geld für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft, den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Elektromobilität. Selbst die Bahn und der Halbleiterproduzent Intel bekommen Geld aus dem Fonds.
Es gibt jedoch verschiedene Szenarien, die am Mittwoch denkbar sind.
Szenario 1: Die Ampel darf sich freuen
Es ist das Szenario, auf das die Ampelpolitiker hoffen. Das Bundesverfassungsgericht könnte der Argumentation der Bundesregierung folgen, dass die Auswirkungen der Corona-Krise durchaus mit längerfristigen Investitionen in die Zukunft bekämpft werden dürfen. Die 60 Milliarden Euro würden im KTF bleiben.
Möglich, dass die Richter der Bundesregierung noch mit auf den Weg geben, sich bei den Ausgaben aus dem KTF künftig streng an den Verwendungszweck des Fonds zu halten. Aber das wäre ein kleines Übel.
Szenario 2: Die 60 Milliarden sind weg
Es wäre der Worst Case, das Horrorszenario der Ampel. Die Richter könnten der Argumentation der Union folgen und sagen: Die 60 Corona-Milliarden waren nur für die Bewältigung der Naturkatastrophe gedacht. Indem die Ampel sie umgewidmet und in einen langfristigen Fonds verschoben hat, umgeht sie die Schuldenbremse.
Kurz vor der Bereinigungssitzung im Bundestag, in der am Donnerstag die letzten Details des knappen und komplizierten Haushaltes verhandelt werden sollten, würde dann ein riesiges Loch in der Ampelplanung klaffen. In der Ampel macht das Wort Nothaushalt die Runde.
Nur waren die Haushaltsverhandlungen der Ampel schon jetzt unglaublich kompliziert. Wie das mit 60 Milliarden Euro weniger aussehen würde, mag man sich da kaum ausmalen. Und die Schuldenbremse jetzt plötzlich doch auszusetzen, nur weil man in Karlsruhe verloren hat und noch knapper bei Kasse ist, scheint keine gute Begründung zu sein. Gut möglich, dass ein solcher Streit die Ampel tatsächlich zerreißt.
Szenario 3: Mehr oder weniger schlimm
Es gibt aber noch eine dritte Variante: zwar kein Worst Case, aber auch kein Schulden-Freifahrtschein. Das Verfassungsgericht könnte die Ampel "bedingt rügen", heißt: Der Bundesregierung wird zwar gestattet, Teile oder gar die vollen 60 Milliarden im KTF zu nutzen. Aber es wird festgelegt, dass Schulden in Zukunft nicht mehr über Jahre mitgenommen oder zweckentfremdet werden dürfen.
Sollte das Bundesverfassungsgericht der Ampel nicht die vollen 60 Milliarden zugestehen, stellt sich allerdings die Frage: Wie wird definiert, worauf verzichtet oder was zurückgezahlt werden muss? Würde neu bewertet, was aus dem KTF finanziert werden darf? Das könnte bedeuten, dass etwa die zehn Milliarden Euro für die Ansiedlung des Chip-Riesen Intel zurückgezahlt werden müssten.
Schon eine solche Teilrückzahlung würde für die Ampel einen Rückschlag bedeuten. Der KTF ist komplett ausgebucht, einfach weglassen kann die Ampel eigentlich nichts – zumindest nicht ohne erneuten Streit über die Prioritäten. Und das Urteil könnte noch Folgen an anderer Stelle haben.
Etwa beim Wirtschaftsstabilisierungsfonds, dem WSF, einem weiteren Schattenhaushalt. 83 Milliarden Euro hatte der Bund in diesem Jahr für die Strom- und Gaspreisbremse eingeplant. Benötigt werden nach Zahlen des Wirtschaftsministeriums nun nur etwa 32 Milliarden. Grüne und SPD würden die nicht ausgegebenen 50 Milliarden gerne anderweitig ausgeben. Finanzminister Christian Lindner hielt bislang dagegen.
Je nachdem, wie am Mittwoch das Urteil ausfällt, könnte sich das mit dem munteren Milliarden-Umwidmen künftig erledigt haben. Und damit auch der Streit – zumindest an dieser Stelle.
- Eigene Recherchen
- bundesverfassungsgericht.de: Beschluss vom 22. November 2022 - 2 BvF 1/22
- bundesregierung.de: Milliardeninvestitionen in Energiewende, Klimaschutz und Transformation