Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Problemfall AfD Brandmauern allein reichen nicht
Verbieten oder Brandmauern bauen? Gegen die AfD lässt sich am besten mit dem Selbstbewusstsein einer erprobten Demokratie angehen.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die AfD zu bekämpfen. Man kann juristisch gegen sie vorgehen, man kann sie dem Verfassungsschutz überlassen, man kann rhetorisch mit ihr umgehen oder mit dem Selbstbewusstsein einer seit vielen Jahrzehnten etablierten Demokratie.
Juristisch zurückschlagen?
Der "Spiegel" plädiert in einem Leitartikel für ein Verbot – und zwar auf Landesebene, genauer gesagt in Thüringen. Das ist ein schlauer Schachzug, denn die Gesamtpartei vom Bundesverfassungsgericht sanktionieren zu lassen, wäre ungleich schwieriger. Leichter könnte der thüringische Landesverband rund um Björn Höcke und seinen Trupp verboten werden, zumal man Höcke laut Gerichtsbeschluss einen Faschisten nennen darf.
Die Frage ist natürlich, ob dieser juristische Partikularismus eine politische Auseinandersetzung ersetzen könnte. Nach aller Erfahrung mit der Partei: wohl eher nicht. Zumal die Vertreter der AfD ihren Extremismus geschickter handhaben und eben beispielsweise nur noch selten von einem Austritt aus der Europäischen Union fantasieren. Und: Mehr Distanz zu den USA und größere Nähe zu Russland fordert auch Sahra Wagenknecht, der eine Art linke AfD vorschwebt.
Verfassungsschützer vorschicken?
Wer auch immer sich mit der AfD befasst, findet in Thomas Haldenwang einen Chronisten der rasanten Entwicklung der Rechten. "Wir sehen eine erhebliche Anzahl von Protagonisten in dieser Partei, die immer wieder Hass und Hetze verbreiten gegen Minderheiten aller Art hier in Deutschland", sagte er nach dem Europa-Parteitag der AfD.
Für ein Teil- oder Gesamtverbot der AfD müsste der Bundesverfassungsschutz, dem Haldenwang vorsteht, die Grundlage liefern. Er erweckt den Eindruck, dass er sich es zutraut. Damit ist der oberste Verfassungsschützer zur Hassfigur der AfD aufgestiegen.
Rhetorische Keule?
Haldenwangs Öffentlichkeitsarbeit in allen Ehren, aber eigentlich sollte jemand in seiner Funktion mehr Zurückhaltung üben. Stattdessen füllt er eine Lücke, die Politiker aller Parteien haben entstehen lassen. Denn die Auseinandersetzung mit der AfD obliegt dem Bundeskanzler oder Vorsitzenden wie Christian Lindner und Friedrich Merz. Merz hat in Verkennung der Prioritäten die Grünen als Hauptgegner identifiziert.
Ja, das Heizungsgesetz ist ein Herzensanliegen von Robert Habeck und wurde in sonderbarer Ignoranz für die Außenwirkung formuliert. Kritik daran ist berechtigt. Aber etliche AfD-Gründerfiguren, wie beispielsweise Alexander Gauland, sind nicht zufällig der CDU entsprungen, und die AfD ist in Konkurrenz zu ihr gegründet worden. Dazu ist die AfD in Sachsen, Sachsen-Anhalt der Thüringen zu fester Größe aufgestiegen – in Ländern, in denen die CDU nach der Wende als Volkspartei Triumphe gefeiert hatte. Die AfD ist ihr Hauptgegner.
Vor diesem historischen Hintergrund genügt es bestimmt nicht, Brandmauern gegen die AfD zu errichten. Außerdem ist es ziemlich dämlich, wenn ein Parteivorsitzender der CDU Mauern aufbauen möchte. Diese markige Rhetorik kommt in Ostdeutschland nicht besonders gut an. Am Sonntag war es 62 Jahre her, dass eine Mauer das eine kleine Deutschland vom anderen großen Deutschland getrennt hat. Hat kein Berater seinen Meister auf diese Symbolik hingewiesen?
Selbstbewusste Selbstkritik!
Es ist überfällig, dass Vertreter aller Parteien in die Länder ausschwärmen, in denen in einem Jahr Wahlen anstehen. Dazu zählen auch besserwisserische Landesfürsten wie Henrik Wüst (CDU), Daniel Günther (CDU) und Markus Söder (CSU). Sie sollten zuhören und richtigstellen. Sie sollten sich sagen lassen, warum CDU, SPD, FDP, Grüne und Linke hier dramatisch an Vertrauen verloren haben, und könnten für ihre Lösungen der Probleme werben, im Kleinen wie im Großen.
Gemerkt, dass sie zusammen an Autorität und Überzeugungskraft verlieren, haben sie ja. Das gilt für die drei Parteien in der Bundesregierung ebenso wie für die CDU in der Opposition und die an der eigenen Bedeutungslosigkeit arbeitende Linke. In Berlin haben alle Parteien zuletzt selbstvergessen operiert, als gäbe es keine Außenwelt. Diese Phase sollte vorüber sein. Besser wär’s.
Es hängt entscheidend davon ab, in welchem Gemütszustand die AfD bekämpft wird. Empörung darüber, dass es sie gibt, hilft nicht weiter. Juristische Konfrontation ist ein letztes Mittel. Aber zuerst und vor allem kommt es auf die politische Auseinandersetzung an. Und das Selbstbewusstsein der Demokraten schadet bestimmt nicht. Vor allem dann nicht, wenn es von einer gewissen Demut begleitet wird.
- Ein Meinungsbeitrag von Kolumnist Gerhard Spörl