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Skurrile Löwenjagd in Berlin: Das ist doch völlig irre


Meinung
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Lehre aus skurriler Löwenjagd
Das ist doch völlig irre

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 24.07.2023Lesedauer: 4 Min.
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Eine Löwin fletscht die Zähne. (Quelle: Wolfgang Kaehler)
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Wildtiere wie der Wolf werden Nutztieren zunehmend gefährlich – und dem Menschen auch. Doch so hart es auch klingt: Sie haben in einer Kulturlandschaft wie Deutschland nichts zu suchen.

Diese Löwenjagd von Kleinmachnow – was war das jetzt eigentlich? Ein Drama, eine Groteske, eine Farce?

Hundertschaften von Polizisten mit Hunden, Drohnen, Helikoptern und Wärmelbildkameras jagten über fast zwei Tage einer angeblichen Löwin in den idyllischen Vorstadtsiedlungen von Berlin hinterher, Gefahrengebiete (wie mein Stadtteil Lichterfelde) dehnten sich immer weiter aus – bis sich Fachleute das diffuse Beweisvideo genauer anschauten, sich immer mehr die Frage stellte: Wenn diese Löwin angeblich ein Wildschwein gerissen hat, wieso findet sich dann kein Fitzelchen von einem Kadaver? Wieso keine Spuren, wieso kein Kot?

Video | Spur stammt von Pflanzenfresser – nicht von Löwin
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Quelle: dpa

Jedenfalls wurde die Jagd nach der Löwin im Forst von Kleinmachnow mit dem guten Gefühl beendet, dass nicht einmal ein Wildschwein zu Schaden gekommen ist, geschweige denn ein Hund oder gar ein Mensch. Und die kostspielige Jagd nach der Chimäre machte immerhin deutlich, dass der Mensch keine Kosten und Mühen scheut, wenn ein Raubtier durch seinen Lebensraum streift, das auch ihm gefährlich werden kann.

Ach ja? Ist das so?

Es gibt auch das glatte Gegenteil. Manchmal scheut der Mensch weder Kosten noch Mühen, um gefährliche Raubtiere wieder in einen Lebensraum zu locken, aus dem der Mensch sie verdrängt hatte. Seit zehn Jahren wird zum Beispiel der Braunbär in den Alpen wieder flächig angesiedelt. 50 Exemplare, vor allem in Südtirol und im Trentino, sollen dort inzwischen wieder leben – mit weitschweifigen Ausflügen bis in die Bayerischen Alpen.

Irgendwie ist da was schief

Im April zahlte ein 26-jähriger Jogger dafür mit seinem Leben. In einem beliebten und frequentierten Wandergebiet naher der Gemeinde Caldes im Trentino wurde er von einem Braunbären angefallen und getötet.

Irgendwie ist da was schief: Ganz Berlin steht unter Anteilnahme der Weltöffentlichkeit Kopf, weil ein potenziell menschenfressendes Wildtier sich in einem Wald im Südwesten rumtreibt, und in den Alpen werden Bären, die nicht so putzig sind, wie sie aussehen, vorsätzlich angesiedelt, geschützt und auf die Schafe und Kühe der Almen losgelassen?

Und von Norden und Osten drängt der Wolf herein in die Kulturlandschaft Deutschland und ist auf diesem Zug (und mit Unterstützung von Wiederansiedlungsprogrammen) ebenfalls schon bis zu den Alpen vorgedrungen.

Ungefähr 1.500 Wölfe durchstreifen inzwischen in rund 160 Rudeln wieder die deutschen Wälder. Risse von Nutztieren, vor allem von Schafen und Kühen, werden den Besitzern entgolten. Hoher Aufwand wird für Schutzzäune und anderes betrieben. Alleine in Niedersachsen kostet der Herdenschutz jedes Jahr einen zweistelligen Millionenbetrag. Ihr mythisches Tier lassen sich die Deutschen etwas kosten. Viele freuen sich an seiner Rückkehr, als handele es sich beim Wolf um einen frei laufenden Schäferhund.

Ein Lob auf den niedersächsischen Umweltminister

Dolly musste erleben, dass das nicht so ist. Dolly, so hieß nicht nur das erste Klonschaf der Welt, das mit sechs Jahren starb, sondern auch das Lieblingspony der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf dem heimischen niedersächsischen Hof, das mit 30 Jahren starb. Weil es von Wölfen angefallen und aufgefressen wurde. Man hätte denken können, dass dieser Vorfall vergangenes Jahr die Wende bringt. Hat er aber nicht. (Was im Übrigen für Frau von der Leyen spricht, denn persönliche Betroffenheit sollte keine Richtschnur für politisches Handeln sein.)

Aber jetzt tut sich doch was. Just in den Tagen der Jagd nach dem imaginierten Löwen von Kleinmachnow berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unter der Überschrift "Eine Wende in der Wolfspolitik" Bemerkenswertes aus Niedersachsen, einem der drei Bundesländer mit der größten Population an Wölfen.

Der dortige Umweltminister, Christian Meyer von den Grünen, hat etwas getan, was Politiker leider viel zu selten nur tun: Er hat seine Meinung im Lichte einer neuen Lage geändert. Bislang oberster Wolfsschützer des agrarisch geprägten Niedersachsen, lässt Meyer jetzt (ebenso wie schon länger der dortige Ministerpräsident Stephan Weil) Raum für den kontrollierten Abschuss von Wölfen.

Das Konzept, immer nur den sogenannten Problemwölfen nachzustellen, sei gescheitert. Es gebe längst zu viele Wölfe im Land, um gezielt einen für den Abschuss auszuwählen. Wenn in einer Region Wölfe trotz aller Schutzvorkehrungen Nutztiere reißen, dann solle "zeitlich und örtlich begrenzt" gejagt werden dürfen. "Adaptives Wolfsmanagement" nennt er das.

Kolumnist Christoph Schwennicke
t-online-Kolumnist Christoph Schwennicke (Quelle: Antje Berghäuser)

Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".

Es darf keine Rolle spielen, ob Tiere gut schmecken

Meinetwegen soll es so heißen. Fest steht jedenfalls: In einer Kulturlandschaft (und Deutschland ist von oben bis unten, von Westen bis Osten eine einzige große Kulturlandschaft) haben Raubtiere, die dem Menschen oder seinen großen Nutztieren gefährlich werden können, nichts zu suchen.

Es liegt im Wesen einer Kulturlandschaft, dass der Mensch in den Bestand der Wildtiere eingreift. Bei Rehen und Wildschweinen hat damit auch kaum jemand ein Problem. Vielleicht, weil sie so gut schmecken. Aber man darf nicht danach auswählen, was sich auf dem Teller gut macht (Kormorane und Biber, von beiden gibt es inzwischen viel zu viele in Deutschland, sollen übrigens auch ausgezeichnet schmecken).

Wenn es zu viele Tiere einer Art gibt, die die Kulturlandschaft schädigen (die Rehe, weil sie die jungen Bäume verbeißen, die Wölfe, weil sie neben Rehen auch die bequemer zu erlegenden Schafe und Kühe fressen), dann muss mit einem Gewehr eingegriffen werden.

Erst recht, wenn es sich um Raubtiere handelt, die dem Menschen selbst gefährlich werden können. Um es mit einem abgewandelten Wort zu sagen, das dem Sozialphilosophen Thomas Hobbes zugeschrieben wird: Der Mensch muss dem Wolf ein Wolf sein. Und kein Futterbereitsteller.

Sonst könnte man auch den Säbelzahntiger aus aufgetautem Genmaterial klonen wie das Schaf Dolly und durch unsere Wälder ziehen lassen, wie er das früher einmal tat.

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