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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sparmaßnahmen der Bundesregierung "Plötzlich platzt das alles weg"
Das Bundesfamilienministerium muss laut dem Haushaltsentwurf von Christian Lindner sparen. Die zuständige Ministerin setzt beim Elterngeld an. Das aber trifft Mütter und Väter hart.
Um die Schuldenbremse einzuhalten, holt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in seinem Haushaltsentwurf für 2024 zum Rundumschlag aus: In fast allen Bundesministerien soll fortan weniger Geld zur Verfügung stehen – besonders im Bundesfamilienministerium unter Lisa Paus (Grüne) soll gespart werden. Statt der geplanten zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung soll Paus nur zwei Milliarden erhalten und auch beim Elterngeld stehen Kürzungen an.
Paus reagierte: Sie will die geplante Einkommensgrenze für das Elterngeld halbieren. Konkret heißt das: Künftig sollen nur noch Paare mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von bis zu 150.000 Euro die Leistung erhalten. Zuvor lag die Grenze bei 300.000 Euro. So will das Familienministerium rund 500 Millionen Euro pro Jahr einsparen.
Laut Paus würden rund 60.000 Familien in Deutschland keinen Anspruch mehr auf die Lohnersatzleistung während der Elternzeit haben, wie sie in einem Interview mit der Sendergruppe ntv/RTL angab.
Elterngeld seit 16 Jahren nicht an die Inflation angepasst
"Das hat sehr viel Angst verursacht", sagt Sandra Runge von der Organisation "Petition Elterngeld hoch!" im Gespräch mit t-online. Zusammen mit ihren Mitstreiterinnen Nancy Koch und Dani Weckmann stellte die zweifache Mutter und Anwältin für Arbeitsrecht am Montag gerade ihre Petition für eine Erhöhung des Elterngeldes vor, als die Pläne der Bundesregierung bekannt wurden.
Mit mehr als 66.000 Unterzeichnern stellen Koch, Weckmann und Runge darin folgende Forderungen:
- Eine Erhöhung der Elterngeldbeträge: Der Mindestbetrag soll von 300 Euro auf einen "armutsfesten Satz" erhöht werden; der Höchstbetrag von 1.800 Euro auf 2.400 Euro, was einem Inflationsausgleich von 35 Prozent entspräche.
- Eine Erhöhung der Grenzwerte: Die Grenze, unterhalb derer das Elterngeld 67 bis 100 Prozent des Einkommens beträgt, solle ebenfalls der Inflation angepasst werden und von 1.200 Euro auf 1.600 Euro steigen.
- Einen regelmäßigen Inflationsausgleich: Das Elterngeld soll regelmäßig an die Inflation angepasst werden.
Als Begründung führen die drei Frauen an, dass das Elterngeld seit nun mehr als 16 Jahren nicht erhöht wurde und so angesichts der Inflation zunehmend seinen ursprünglichen Wert eingebüßt hat. "Es ist nur noch ein Viertel von dem, was es ursprünglich mal war", sagt Koch.
"Eine Frau schrieb mir, sie sei so wütend, dass sie Wehen bekommt"
Schon während der Präsentation, kurz nachdem der "Spiegel" am Montag über die Pläne der Bundesregierung berichtet hatte, gingen bei ihr die Nachrichten über die geplanten Kürzungen ein. "Die Situation war völlig absurd. Auf der einen Seite waren wir stolz und hatten es endlich mit unserer Petition in den Bundestag geschafft. Und gleichzeitig bekamen wir von diesem Dämpfer mit", sagt Koch.
Immer wieder reiben sich die beiden Frauen während des Gesprächs die Augen, können nicht fassen, was geschehen ist. "Sechs Monate lang haben wir uns neben unserer Lohnarbeit und der Kinderbetreuung dafür eingesetzt, und dann das", sagt Runge. "Das ist ein fatales Signal", findet auch Koch.
Seit Montagabend haben sich bereits zahlreiche Frauen an die Organisation gewandt. "Eine Frau schrieb mir, sie sei so wütend, dass sie gleich Wehen bekommt", berichtet Runge. Sie lacht nur kurz auf, denn die Situation, in der sich viele Eltern nun befinden, ist prekär. "Man muss sich mal in eine Schwangere hineinversetzen: Seit Monaten haben sich Paare ein bestimmtes Modell überlegt, wie sie Erwerbsarbeit, Geburt und die Fürsorgearbeit organisieren und plötzlich platzt das alles weg."
"Das zementiert Rollenbilder"
Frauen, die eine Schwangerschaft planten, schrieben ihnen, dass sie nun in Teilzeit gehen würden, um zusammen mit ihrem Partner nicht über die Grenze von 150.000 Euro Bruttojahreseinkommen zu kommen. "Einige Frauen sagten auch, dass sie ein zweites oder drittes Kind damit gestrichen haben. Einfach weil es finanziell nicht mehr geht", so Runge.
Wieder andere berichteten, dass der Mann, nun da das Paar kein Elterngeld mehr bekommt, keine Elternzeit mehr nehme. "Die Mutter bleibt dann zu Hause und kümmert sich um das Kind." Der Mann ginge weiter arbeiten. "Das zementiert alte Rollenbilder", sagt Runge. "Das Elterngeld hatte damals das Ziel, Geschlechtergleichstellung zu fördern. Das wird nun ad absurdum geführt."
Für sie und ihre Mitstreiterinnen Koch und Weckmann sind die Pläne der Bundesregierung ein Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung. Auch Bundesfamilienministerin Lisa Paus gestand ein, dass ihr Plan "kein Glanzstück" für die Gleichstellung von Frauen sei.
Bereits jetzt nehmen laut dem Väterreport der Bundesregierung rund 60 Prozent der Väter keine Elternzeit. 58 Prozent davon geben für ihre Entscheidung finanzielle Gründe an, weitere 25 Prozent sagen aus, dass das Elterngeld finanziell nicht ausreichend gewesen wäre – ein Szenario, das mit dem Elterngeld sowie dem ElterngeldPlus eigentlich vermieden werden sollte.
Sparmaßnahmen am Mittwoch beschlossen
Von ihren Forderungen abbringen lassen wollen sich die drei Frauen trotz der Pläne des Bundesfamilienministeriums nicht – im Gegenteil. "Über das Heizungsgesetz hat man monatelang geredet, aber das Elterngeld soll jetzt einfach mit der Hand weggewischt werden?", fragt Runge.
Ein Vorgehen, das die Frauen nicht auf sich und anderen Eltern sitzen lassen wollen: "Das hat uns bestärkt darin, dass wir weitermachen und noch stärker und lauter werden, um das Elterngeld für alle Eltern zu erhöhen", sagt Runge. Viel Zeit aber bleibt ihnen dazu nicht: Am heutigen Mittwoch, noch vor der Sommerpause der Bundesregierung, hat das Bundeskabinett den Entwurf für den Haushaltsplan für 2024 beschlossen – und mit ihm auch der Etat für das Bundesfamilienministerium (hier lesen Sie mehr dazu).
Abzuwarten bleibt, ob der Bundestag im Nachgang noch Änderungen am Etat vornimmt. Gänzlich ausgeschlossen ist das ob des Engagements von Runge und ihren Mitstreitern nicht. Denn: Inzwischen gibt es auch eine zusätzliche Petition, die die bekannte Unternehmerin Verena Pausder initiiert hat. Den Aufruf "Nein zur Elterngeldstreichung" hatten in weniger als 48 Stunden bis Mittwochmorgen bereits mehr als 270.000 Menschen unterschrieben.
- Gespräch mit Nancy Koch und Sandra Runge von der Organisation "Petition Elterngeld hoch!"
- bmfsfj.de: Väterreport 2021
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa