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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Umstrittene CDU-Rede in Uniform Pechsteins Auftritt kommt nicht überraschend
Claudia Pechstein sorgt für Aufruhr: In Polizeiuniform hält die Sportlerin eine politische Rede. Doch was für Kritik sorgt, ist nicht überraschend.
Claudia Pechstein hat am Wochenende für Aufregung gesorgt. Die Eisschnellläuferin war am Samstag als Rednerin zum CDU-Grundsatzkonvent geladen. Bei der Veranstaltung, bei der Vertreter der Partei über das geplante neue Grundsatzprogramm diskutierten, sollte sie als Stimme "des Sports und unserer Vereine" auftreten. Doch es kam anders: Pechstein, die von Beruf Polizistin ist, trat in Polizeiuniform auf – und auch in ihrer Rede wurde der Sport plötzlich zur Nebensache.
Pechstein mahnte etwa dazu abgelehnte Asylbewerber konsequent abzuschieben, weil sie der Ansicht ist, dass dies für mehr Sicherheit sorge. Öffentliche Verkehrsmittel "ohne ängstliche Blicke" nutzen zu können, gehöre zu Problemen, die besonders Ältere und Frauen belasteten. Verbesserungen dort sollten wichtiger sein, "als darüber nachzudenken, ob wir ein Gendersternchen setzen oder ob ein Konzert noch deutscher Liederabend heißen darf oder ob es noch erlaubt ist, ein Zigeunerschnitzel zu bestellen", fuhr Pechstein fort.
Was in der CDU hochgelobt wurde, stieß bei der Linken und bei den Regierungsparteien auf Verwunderung und scharfe Kritik. "Eine Polizeibeamtin in Uniform schwingt Parteitagsreden? Ich reibe mir gerade ungläubig die Augen. Ich hätte gern Transparenz und Nachbereitung dazu", teile etwa der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler mit. In den sozialen Medien fragten sich Nutzer, wie viel Pechstein als hauptberufliche Eisschnellläuferin überhaupt noch mit dem Polizeidienst in Berührung käme, um auf diese Erfahrung zurückgreifen zu können.
Doch schaut man sich den Werdegang der 51-Jährigen an, zeigt sich: Pechstein folgt einem alten Muster. Ihre Rede ist inhaltlich nicht neu. Und auch ihr Auftritt in Polizeiuniform kommt nicht überraschend.
Pechsteins Kampf gegen die "Unrechtssperre"
Natürlich: In erster Linie ist die Ur-Berlinerin als Spitzensportlerin bekannt – als die sie von der CDU eingeladen wurde. Schon mit drei Jahren "flitzte" sie laut eigenen Angaben über das Eis. Während ihrer Sportkarriere gewann Pechstein bislang fünf olympische Goldmedaillen, dazu war sie noch Europa- und Weltmeisterin.
Dass sie auch mit Ende 40 noch an den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking teilnahm, ist keine Selbstverständlichkeit: Wegen auffälliger Blutwerte wurde Pechstein im Jahr 2009 Doping vorgeworfen und von der Internationalen Eislaufunion (ISU) für zwei Jahre gesperrt. Nach jahrelangem Rechtsstreit dann der Freispruch: Ihre Blutanomalie wurde ihr von ihrem Vater vererbt.
Wegen der "Unrechtssperre", wie Pechstein sie nennt, fordert die Sportlerin noch heute Schadensersatz von der ISU. "Ich kämpfe nach wie vor für mein Recht, sinnbildlich ganz nach dem Motto: siegen oder sterben", sagte Pechstein vor den Olympischen Winterspielen 2022 im Interview mit t-online.
"Frischer Wind" oder traditionelles "Leitmotiv" zur Bundestagswahl?
Eine Beharrlichkeit, die Pechstein nicht nur beim Sport, sondern auch in der Politik an den Tag legt – zwei für sie untrennbare Bereiche, wie sie t-online damals sagte. So wurde Pechstein etwa im Jahr 2016 scharf kritisiert, nachdem sie sich nach einer gerichtlichen Niederlage gegen den ISU mit folgenden Worten beschwerte: "Wir Sportler sind scheinbar Menschen zweiter Klasse." Jeder Flüchtling genösse Rechtsschutz, Sportler nicht, so lautete ihr Vorwurf. Belege gab es dafür nicht.
Bereits im Jahr 2004 wurde Pechstein von der Berliner CDU für die Bundesversammlung nominiert, die den Bundespräsidenten wählt. Später unterstützte sie die Partei in Wahlkämpfen.
Bis sie zur Bundestagswahl 2021 schließlich selbst antrat: Im Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick kandidierte sie als Direktkandidatin der CDU gegen den früheren Linken-Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi. Während sie auf ihren Plakaten mit den Worten "Frischer Wind für den Bundestag" für sich warb, lobt sie auf der Seite der Berliner CDU jedoch einen eher traditionelleren Satz: "Leistung muss sich wieder lohnen". "Ein gutes Leitmotiv", findet Pechstein. Bereits kurz nach der Wende habe die Ostberlinerin daher "mit der Union sympathisiert".
Pechsteins Wahlkampf mit "Indianerhäuptling" und dem "deutschen Liederabend"
In ihrer Selbstbeschreibung auf der Seite der CDU Berlin räumte sie damals ein, "so schnell kein Politprofi" zu werden. Aber sie wolle mit ihrer Kandidatur für die Bundestagswahl 2021 den politischen Blickwinkel "im Sinne der Wähler erweitern". Die hätten, so Pechstein, "existenzielle Probleme". Welche Probleme sie genau meint, führte sie nicht aus. Doch es folgen Sätze, die sich von ihrer Rede zum CDU-Konvent am Samstag nur minimal unterscheiden.
Auf die von Pechstein nicht näher beschriebenen Probleme das Augenmerk zu lenken und für Verbesserungen zu sorgen, sei "hundertmal wichtiger, als darüber nachzudenken, wo wir das nächste Gendersternchen setzen, ob ein Konzert noch deutscher Liederabend heißen darf oder ob es uns noch erlaubt ist, Indianerhäuptling zu sagen", schrieb Pechstein schon damals in ihrer Selbstbeschreibung für die Bundestagswahl 2021. Einzig das Wort "Indianerhäuptling" tauschte sie in ihrer aktuellen Rede am Samstag gegen das Wort "Zigeunerschnitzel" aus.
Und sonst? "Die politischen Forderungen der Sportlerin scheinen eher dünn", kommentiert die "Berliner Morgenpost" Pechsteins Wahlkampf damals. Für ein Bundestagsmandat reichte es letztendlich nicht. Mit 13,5 Prozent der Wählerstimmen musste sie sich gegen Gysi geschlagen geben.
Schon einmal hielt Pechstein eine Rede in Uniform
Ähnlich wie Pechsteins Worte ist auch ihr Auftritt in Uniform nicht neu: Im Rechtsstreit gegen den ISU trat sie regelmäßig in ihrer blauen Uniform auf, obgleich es sich bei dem Streit eigentlich um eine sportliche Angelegenheit handelte. Auch zu Beginn des Jahres 2021 trug sie beim Empfang der Olympiaathleten im Roten Rathaus Berlins ihre Polizeiuniform. Ebenso wie im Jahr 2019, als sie in der Potsdamer Oberlinkirche die Oberlinrede hielt.
In ihrer Oberlinrede, heißt es in einer Pressemitteilung zu der Veranstaltung, verband sie ihre Lebensgeschichte mit den Lebensgeschichten der Menschen mit Behinderung im Oberlinhaus. Auch sie sei in ihrem Lebensweg aufgrund ihrer vererbten Blutanomalie behindert worden, sagte Pechstein damals und bezog sich auf die Dopingvorwürfe gegen sie. "Die Eigenarten des menschlichen Körpers und Abweichungen von der Norm dürfen nie zu Diskriminierungen führen", mahnte sie damals.
Ob ihr Auftritt in Uniform damals mit dem Oberlinhaus abgesprochen war und inwieweit sie sich in ihrer Rede auch politisch äußerte, ist unklar. Die Antwort des Oberlinhauses auf eine Anfrage von t-online steht noch aus.
Die Bundespolizei hat nach Pechsteins Rede bei dem CDU-Konvent am Samstag eine dienstrechtliche Prüfung eingeleitet. Man habe am Samstagmittag von dem Vorgang erfahren und die Prüfung unverzüglich eingeleitet, teilte ein Sprecher t-online am Sonntag mit. Mehr zu der Stellungnahme der Bundespolizei lesen Sie hier. Pechstein selbst behauptete unterdes, sie habe sowohl einen Gewerkschaftsvertreter der Bundespolizei als auch einen Vorgesetzten vor der Veranstaltung angefragt. Pechsteins Aussage nach gäbe es kein Verbot, eine Polizeiuniform bei Parteiveranstaltungen zu tragen.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherche
- oberlinhaus.de: Claudia Pechstein hält Oberlinrede 2019
- t-online.de: "Vorbei? Kann ich mir nicht vorstellen"
- cdu.berlin: Claudia Pechstein
- claudia-pechstein.de: Meine Vita
- bundesstiftung-aufarbeitung.de: Claudia Pechstein