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Flüchtlingsgipfel: Das könnte Merkels Fehlleistung bereinigen


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"Operation Seelow"
Das könnte Merkels Fehlleistung bereinigen


Aktualisiert am 09.05.2023Lesedauer: 4 Min.
Selfie mit der Kanzlerin: Angela Merkel besucht Flüchtlinge.Vergrößern des Bildes
Berühmtes Selfie: Beim Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in einer Flüchtlingsunterkunft 2015 machte der junge Syrer Anas Modamani ein Foto mit ihr – und wurde damit deutschlandweit bekannt. (Quelle: reuters)

Deutschland ächzt unter steigenden Flüchtlingszahlen. Nun liegt ein doppelter Kompromiss als Lösung auf der Hand, findet t-online-Kolumnist Christoph Schwennicke.

Politik ist in ihrem Kern die Kunst des Kompromisses. Meistens läuft die Arbeit daran so: Beide oder mehrere zum Kompromiss verdonnerten Parteien arbeiten von völlig unterschiedlichen Seiten und mit völlig unterschiedlichen Zielsetzungen an einem Werkstück. Es wird geschnitzt, gehobelt, geraspelt und geschmirgelt, bis am Ende ein kleines, rundes Etwas übrig bleibt, mit dem alle irgendwie leben können, das aber keinen richtig glücklich macht – und das vor allem zu kümmerlich ausfällt, um der Größe des zu lösenden Problems noch gerecht zu werden. Das werden wir alle am Ende des Verfahrens bei der sogenannten Heizwende miterleben können.

Manchmal böte sich stattdessen an, nicht aus zwei konträren Ideen eine zu machen. Sondern beide Ideen gleichzeitig zu billigen und umzusetzen – mit dem Lerneffekt, dass beide Kompromissparteien an einer Stelle über ihren Schatten springen müssen – zum doppelten Nutzen für die Sache. Ein solcher Fall wäre gewesen, Tempolimit auf Autobahnen und längere Laufzeiten der verbliebenen Kernkraftwerke zu verabreden, beides hätte an die politischen Grundfesten von FDP und Grünen gerührt. Aber dem Klima doppelt geholfen.

Bleiberecht statt Zermürbung

Jetzt gibt es bei einem anderen Großthema, der Migration, abermals die Chance für einen strategischen Doppelschlag, der der Größe der Herausforderung gerecht wird und zum ersten Mal seit bald 20 Jahren eine dauerhafte und tragfähige Lösung verheißt. Für Deutschland und Europa.

Dieser Tage hat der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow von den Linken einen Vorschlag gemacht, wie man praxisnäher und pragmatisch mit den Flüchtlingen umgeht, die im Zuge von 2015 und danach nach Deutschland kamen. Ramelow schlug vor, anstatt sich in zermürbenden Asylprüfverfahren, Anerkennungen und Abschiebungen, zu denen es ohnehin fast nie kommt, zu ergehen, möge man all denen, die seit 2014 kamen und sich nichts haben zuschulden kommen lassen, ein Bleiberecht geben.

Das ist ein Vorschlag, der strukturell denjenigen gefällt, die Grenzen ohnehin als etwas ansehen, das überwunden werden muss (was nicht der Fall ist, denn sie sind konstitutiv und definieren erst ein Gemeinwesen und den Raum, innerhalb dessen die Regeln dieses Gemeinwesens gelten, aber darum soll es jetzt nicht gehen.) Der Vorschlag trägt außerdem dem wahren Kern des Satzes Rechnung, den Angela Merkel seinerzeit in der Fraktion auf Vorhalte ihrer Kritiker unverfroren hingeschnoddert hat: Nun sind sie halt da.

Europas kalte Schulter

Und die Erfahrung der Jahre seither zeigt auch: Die von Merkel bei Anne Will kühn behauptete Verteilung der in Deutschland im Millionenmaßstab angekommenen Flüchtlinge auf ganz Europa hat nie stattgefunden. Das gelobte Land war immer in erster Linie Deutschland, Merkels Pull-Politik hat es noch gelobter gemacht, und die übrigen europäischen Länder, eher restriktiv in der Migrationsfrage, zeigten Deutschland also mit einem gewissen Recht die kalte Schulter: euer Problem, selbst geschaffen, müsst ihr selbst lösen. Wir als Anrainer haben genug damit zu tun, die Folgen eurer Pull-Politik bei uns zu puffern.

Natürlich hat Ramelows Vorschlag weiche Flanken. Der Thüringer Landesvater ist viel zu intelligent, um nicht zu wissen, dass sich damit nicht, wie von ihm behauptet, auch das Fachkräfteproblem lösen lässt, welches Deutschland hat. Da sind in der Mehrzahl keine Fachkräfte gekommen. Und so schnell wie benötigt werden aus ihnen auch keine, selbst wenn sie aus dem Duldungszustand genommen werden, der auch die Arbeitswilligen zum Nichtstun verdammt.

Dennoch: Die Idee ist smart und haut mit einem Schlag einen dicken Knoten durch.

Vor allem, wenn man sie zusammen denkt mit dem, was Nancy Faeser in neuem und erfreulichen Einklang mit ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen umtreibt. Die Bundesinnenministerin von der SPD greift einen alten Vorschlag ihres Amtsvorgängers Horst Seehofer auf.

Ohne Anspruch aufs Traumland

Der CSU-Politiker hatte sich schon vor Jahren für die Idee starkgemacht, sogenannte Transitzentren an den Außengrenzen einzurichten, also dort, wo die Flüchtlinge an den Stränden gegen viel Geld in die oft todbringenden Billig-Schlauchboote der Schlepper steigen. Und dann regelbasiert in zügigen Verfahren zu schauen, wer von ihnen Anspruch auf Asyl hat und wer nicht – und die Verteilung auf die einzelnen EU-Länder wird nach einem Schlüssel auch gleich bindend festgelegt. Das Wunschland des Asylsuchenden kann berücksichtigt werden, muss aber nicht. Es gibt Anspruch auf Asyl, aber keinen Anspruch auf ein selbstgewähltes Traumland.

Wenige mutige Sozialdemokraten, wie der zu früh verstorbene Fraktionschef Thomas Oppermann, hatten sich seinerzeit schon Seehofers Idee angeschlossen – und wurden dafür von ihren Genossen ordentlich zur Brust genommen.

Dieser Ansatz Seehofers und Faesers bedient die Wünsche derjenigen, die sich eine restriktivere und geregelte Migration wünschen, bei der nicht nur den Bedürfnissen der Migranten, sondern auch den Möglichkeiten und Bedürfnissen der aufnehmenden Länder Rechnung getragen wird.

Lösung im Doppelpack

Operation Seelow. Das hieße: Seehofer und Ramelow gleichzeitig machen. Das könnte ein erfolgversprechender Ansatz sein, die folgenreiche Fehlleistung der deutschen Kanzlerin zu bereinigen. Es wäre Politik mit der ganz großen Kelle. Und es bestünde die Aussicht, die Europäische Union bei dem Thema wieder zu einen und zu einer geordneten Einwanderungspolitik auf dem Kontinent zu kommen, der auch begründet Asylsuchenden zu ihrem Recht verhilft.

Dann wäre es am Ende auch egal, ob sich die vormalige deutsche Bundeskanzlerin weiterhin so schwertut, diesen oder auch einen anderen Fehler einzuräumen, wie zuletzt bei einem smart geführten Interview mit Giovanni di Lorenzo und absehbar auch in ihren bald erscheinenden Memoiren. Wie sagte einst Margret Thatcher: "The Lady’s not for turning." Selbst dann nicht, wenn sie als Geisterfahrerin Europas unterwegs war.

Sei’s drum. Wichtiger als dieses Eingeständnis im Rückblick ist die Lösung für morgen. Sie liegt jetzt als Doppelpack auf dem Tisch.

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