Gedenken der NS-Opfer im Bundestag Bas: "Es kann keinen Schlussstrich geben"
78 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hat der Bundestag der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Erstmals standen dabei queere Menschen im Mittelpunkt.
Mit einer feierlichen Gedenkstunde hat der Bundestag am Freitag an die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung von Angehörigen sexueller Minderheiten erinnert. "Die letzten Überlebenden dieser Opfergruppe sind verstorben, ohne dass wir sie gehört haben", sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Es ist das erste Mal, dass queere Opfer im Mittelpunkt des Holocaust-Gedenktags stehen, den der Bundestag jedes Jahr mit einer Veranstaltung am 27. Januar begeht.
"Auschwitz ist Tatort und Sinnbild des Völkermords an den europäischen Jüdinnen und Juden", sagte Bas. Viele Menschen in Deutschland glaubten, das Land hätte sich bereits mehr als genug mit der Schoah beschäftigt. "Das ist ein Irrtum", so Bas. "Es kann keinen Schlussstrich geben." Bas erinnerte in der Gedenkstunde auch daran, dass die Verfolgung von Schwulen, Lesben, Transsexuellen und anderen Minderheiten nach dem Ende des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik zunächst weiterging.
Bas: Bei Diskriminierung queerer Menschen genauer hinsehen
Queere Menschen waren allgegenwärtiger Gewalt demnach ungeschützt ausgesetzt. "Viele wurden für medizinische Experimente missbraucht", sagte Bas. "Die meisten kamen schon nach kurzer Zeit um oder wurden ermordet." Es sei die Aufgabe jeder Generation, sich von Neuem mit den Verbrechen der Geschichte auseinanderzusetzen und die Geschichte aller Verfolgten zu erzählen. Auf die Anerkennung als Opfer der Nationalsozialisten hätten sexuelle Minderheiten lange vergebens gewartet.
"Wer nicht den nationalsozialistischen Normen entsprach, lebte in Angst und Misstrauen", sagte die SPD-Politikerin. "Am härtesten traf es die vielen Tausend Frauen und Männer, die aufgrund ihrer Sexualität – teils unter Vorwänden – in Konzentrationslager deportiert wurden." Auch mit Blick auf die heutige Zeit mahnte Bas, bei Diskriminierungen queerer Menschen genauer hinzusehen. "Queer-feindliche Straftaten nehmen zu", sagte die SPD-Politikerin. "Schwule, Lesben und Trans-Personen werden beleidigt, bedrängt und angegriffen."
Die Gedenkrede selbst hielt die Holocaust-Überlebende Rozette Kats, die sich bereits früh für die Erinnerung an queere Opfer der Nationalsozialisten einsetzte. Das Versprechen "Nie wieder" habe lange nicht alle Opfergruppen gemeint. "Es macht Menschen krank, wenn sie sich verstecken und verleugnen müssen", sagte Kats.
Auffällig ist, dass bei der Gedenkstunde in der AfD-Fraktion viele Stühle unbesetzt blieben. Das kommentierte die CDU-Politikerin Serap Güler auf Twitter: "Große Lücken bei der #noAfD bei der #Holocaust-Gedenkstunde im Deutschen Bundestag. Sagt nicht nur viel, sagt alles." Bei Kats' Rede waren 27 von 78 AfD-Abgeordneten anwesend.
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Eine weitere Rede hält Klaus Schirdewahn, der 1964 wegen sexueller Beziehungen zu einem anderen Mann verurteilt worden war. Der Schauspieler Jannik Schümann und die Schauspielerin Maren Kroymann trugen Texte über zwei Opfer vor, deren Lebensgeschichten exemplarisch für die Verfolgung sexueller Minderheiten während des Nationalsozialismus sind. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nahm an der Veranstaltung teil.
Scholz erinnert an historische deutsche Verantwortung
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zuvor an die historische Verantwortung Deutschlands für Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert. "Unvergessen ist das Leid von sechs Millionen unschuldig ermordeten Jüdinnen und Juden – genauso wie das Leid der Überlebenden", schrieb der SPD-Politiker am Freitag auf Twitter. Damit dies nie wieder geschehe, erinnere man am Holocaust-Gedenktag an die historische Verantwortung Deutschlands.
Am 27. Januar 1945 hatten Soldaten der Roten Armee die Überlebenden des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz im besetzten Polen befreit. Die Nazis hatten dort mehr als eine Million Menschen ermordet. Seit 1996 wird das Datum in Deutschland als Holocaust-Gedenktag begangen. An vielen Orten werden an diesem Freitag zur Erinnerung Kränze niedergelegt.
Internationales Auschwitz-Komitee: "Horror eines neuen Krieges in Europa"
Das Internationale Auschwitz-Komitee zog eine Parallele zum Angriffskrieg Russland gegen die Ukraine. "In diesem Jahr sind die Überlebenden der deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager an diesem für sie immer wieder peinvollen Gedenktag mit neuen Schmerzen und Schrecken konfrontiert: In die Erinnerung an ihre ermordeten Familienmitglieder und Mithäftlinge mischt sich das Entsetzen über den Horror eines neuen Krieges in Europa", erklärte das Komitee am Freitagmorgen.
Die Überlebenden von Auschwitz erinnerten sich voller Dankbarkeit an die Soldaten der Roten Armee, die sie befreit haben. "Umso mehr ist ihnen bewusst, dass in diesen Tagen die russische Armee in der Ukraine einen brutalen Angriffskrieg führt unter dem auch die Überlebenden des Holocaust in der Ukraine leiden, auf deren Erinnerungen neue Schreckensbilder und Traumata herabstürzen", heißt es in der Erklärung des Auschwitz-Komitees.
- Nachrichtenagentur dpa
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