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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Grüne im Dilemma "Die Probleme sind noch viel größer"
Ausgerechnet grüne Minister müssen die Zerstörung Lützeraths für den Kohleabbau mitverantworten. Die Grüne Jugend stemmt sich dagegen – und warnt vor den Konsequenzen.
Timon Dzienus, 26 Jahre alt, ist Chef der Grünen Jugend – und demonstriert gerade selbst gegen die Räumung des Dorfes Lützerath für den Kohleabbau. Die Jugendorganisation sucht damit offen den Konflikt mit den regierenden Grünen. Warum ihn die Argumente seiner Partei nicht überzeugen und er die Entwicklung für gefährlich hält, erklärt Dzienus im Gespräch mit t-online.
t-online: Herr Dzienus, Sie demonstrieren als Chef der Grünen Jugend gegen das Abbaggern von Lützerath. Die Grünen insgesamt tun das nicht. Die verkaufen die Vereinbarung mit RWE als Erfolg. Fühlen Sie sich von Ihrer Partei im Stich gelassen?
Timon Dzienus: Ich nehme den Grünen ab, dass sie gerne mehr erreicht hätten und sich viele in der Region lange gegen die Kohle eingesetzt haben. Aber der Deal mit RWE ist kein Fortschritt für den Klimaschutz. Er ist falsch, weil die Bundesregierung damit riskiert, das Pariser Klimaabkommen zu brechen. Und als Partei sind wir immer dafür angetreten, unsere internationalen Verpflichtungen aus Paris einzuhalten. Das muss die Ampelregierung hinbekommen.
Ihre Partei argumentiert vor allem, dass RWE ohnehin einen Rechtsanspruch auf den Kohleabbau im Rheinischen Revier hat. Sind der frühere Kohleausstieg 2030 und die Rettung von fünf Dörfern dann nicht doch ein Erfolg des Deals und der Grünen?
Das Problem ist, dass es bei dem Deal viele offene Fragen gibt. Es ist unklar, ob und wenn ja, wie viel CO2 dadurch wirklich eingespart wird. Es gibt keine Protokolle über die Verhandlungen, die extrem kurzfristig abgelaufen sind. Ich hatte aber wie viele aus der Klimabewegung eine Hoffnung: nämlich, dass die Grünen in einer Regierung den Mut aufbringen, sich mit ungerechten Eigentumsverhältnissen und großen Konzernen wie RWE anzulegen.
Der Vorwurf an den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und die Wirtschaftsministerin in NRW, Mona Neubaur, die den Deal verhandelt haben und beide von den Grünen sind, lautet also auch: zu wenig erklärt, zu wenig begründet?
Die Frage der Transparenz und die kurzfristigen Verhandlungen sind ein Problem. Aber die Probleme sind noch viel größer. Es geht nicht um "Grüne gegen Klimabewegung", sondern um "Politik gegen Wirklichkeit". Keine Partei bekommt es hin, ausreichende Antworten auf die Klimakrise zu geben. Was die FDP im Verkehrssektor macht, ist ja noch viel schlimmer.
Entfremdet sich die Klimabewegung mit Lützerath jetzt auch von den Grünen?
Diese Entfremdung droht natürlich. Davor warnt die Grüne Jugend schon länger. Denn gerade jetzt bräuchten die Grünen die Unterstützung der Klimabewegung. Der RWE-Deal hilft da überhaupt nicht. Aber das Problem ist auch hier größer: Die Menschen verlieren das Vertrauen ins politische System. Alle Parteien versagen gerade.
Aber nur die Grünen definieren sich maßgeblich als Klimapartei. Ist die Gefahr durch Lützerath für die Identität und Geschlossenheit deshalb nicht deutlich größer als für andere Parteien?
Diese Gefahr gibt es, klar. Deshalb mobilisieren wir als Grüne Jugend ja für Lützerath und schließen uns persönlich diesen Protesten an. Damit sind wir aber nicht allein bei den Grünen. Auf dem Bundesparteitag hat fast die Hälfte der Delegierten für unseren Antrag gestimmt, Lützerath nicht zu räumen. Und wir bekommen gerade extrem viel Zuspruch von Grünen Mitgliedern, dass wir diesen Konflikt auch mit der Partei eingehen.
Bislang haben sich aber nur wenige Grünen-Bundestagsabgeordnete für den Protest ausgesprochen. Ist die Zustimmung auch dort größer, als es scheint?
Das ist schwer zu sagen. Aber es gibt schon ein Umdenken. Viele sehen nun, welche Konsequenzen es hat, sich eher mit der Klimabewegung zu überwerfen als mit einem Kohlekonzern. Und das ist wichtig für kommende Konflikte wie den Kohleausstieg im Osten: Die Grünen werden sich sehr genau überlegen müssen, wie hoch der politische Preis ihres Handelns ist. Und ich hoffe, dass alle Parteien aus Lützerath ihre Lehren ziehen: Es darf keine krummen Deals mehr mit Kohlekonzernen geben.
Demonstrierende in Lützerath werfen der Polizei übertriebene Gewalt vor, zugleich attackierten Aktivisten die Polizei mit Molotowcocktails, Steinen und Feuerwerkskörpern. Wie erleben Sie die Lage?
Es gibt ein sehr breites Teilnehmerspektrum und einen sehr kreativen und vielfältigen Protest. Es gibt sehr junge Menschen, die zum ersten Mal dabei sind. Aber auch viele Ältere. Ich nehme die Demonstrierenden in der großen Zahl als sehr friedfertig war. Selbst die Polizei hat gesagt, dass die Proteste weitgehend friedlich liefen.
Die Bilder und Berichte von Demonstrierenden, die nicht friedlich waren, gibt es aber doch auch. Ist das in Ordnung oder sind damit Grenzen überschritten?
Das kann ich schlecht beurteilen. Ich war bei einer Szene dabei, die für größere Aufmerksamkeit gesorgt hat, von der aber letztendlich nur Ausschnitte in den sozialen Netzwerken zu sehen waren. Die Polizei gab an, dass Steine geflogen seien. Das habe ich anders erlebt. Diese Bilder sollte man immer mit Vorsicht genießen – und Polizeiberichte sowieso, weil die Polizei hier kein neutraler Beobachter ist. Es gibt in Lützerath ganz verschiedene Aktionsformen. Ich nehme vor allem friedfertige Protestierende wahr.
Und die Polizei?
Bei der Polizei ist die Taktik: Viel hilft viel. Sie ist hier mit weit über 1.000 Beamten im Einsatz. Das ist keine sonderlich deeskalierende Strategie. Es ist schon zu sehr gefährlichen Situationen gekommen, weil die Polizei überhastet vorgegangen ist. Das Sicherste wäre, den Einsatz zu beenden.
Welches realistische Ziel wollen Sie mit dem Protest in Lützerath eigentlich erreichen? Die Entscheidung zum Abbaggern wird sich doch kaum rückgängig machen lassen.
Doch, das glaube ich schon. Das ginge jederzeit. Und deshalb versuchen wir ja auch, den Einsatz möglichst lange zu verzögern: damit die Politik die Möglichkeit hat zu überlegen, ob ihre Entscheidung wirklich richtig war.
Herr Dzienus, vielen Dank für das Gespräch.
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- Telefonisches Interview mit Timon Dzienus