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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wichtige Gesundheitsreform Wo Lauterbach jetzt liefern muss
Schluss mit Profitdenken, Fokus auf die Patienten – das hat der Gesundheitsminister mit seiner "Revolution" für Krankenhäuser versprochen. Doch immer mehr Stimmen kritisieren: Das sei ein leeres Versprechen.
Es waren große Pläne, die Karl Lauterbach im vergangenen November verkündete. Nichts weniger als eine "Revolution" versprach der Bundesgesundheitsminister. Mit ihr sollte das Profitdenken im Gesundheitswesen beendet und die Krankenhäuser in Deutschland gerettet werden. "Es geht darum, dass wir das System der Fallpauschalen, also der DRGs, systematisch überwinden wollen", sagte der Gesundheitsminister damals.
Doch nun wird es ernst. Am Donnerstag kommen die Gesundheitsminister aus Bund und Ländern zusammen, um erstmals über die Krankenhausreform zu beratschlagen. Die Sache hat einen Haken: Wie die "Revolution" konkret umgesetzt werden soll, ist noch völlig offen. Bislang ist nur eine grobe Skizzierung zu Papier gebracht. Als Grundlage dienen die Vorschläge, die eine Expertenkommission im Auftrag von Lauterbach erarbeitet hat.
Und im Vorfeld des Treffens mehren sich die Stimmen, die Lauterbach vorwerfen, zu viel versprochen, ja, vielleicht sogar bewusst gelogen zu haben.
Menge geht vor Qualität
Das vor rund 20 Jahren eingeführte System der Fallpauschalen, nach dem alle Krankenhäuser in Deutschland arbeiten, ist komplex. Es führt Fall- und Diagnosegruppen in einem Katalog auf. Nach ihm richtet sich das Geld, das Krankenhäuser von den Krankenkassen für die Behandlung von Patienten erhalten. Alle Krankenhäuser bekommen für ähnliche Behandlungen denselben Pauschalbetrag.
Die Krux: Je billiger Häuser die Behandlung umsetzen, desto mehr Profit springt für die Konzerne heraus. Wer nicht nur billig, sondern auch schnell arbeitet, profitiert noch stärker. Gänzlich auf der Strecke bleibe in diesem System die Qualität, wie Experten bereits seit Jahren kritisieren.
Schluss mit dem "Hamsterrad"? Nicht wirklich
Das hat für Patienten und das System massive und schädliche Folgen. In vielen Häusern werden – nur ein Beispiel – Kaiserschnitte statt normalen Geburten bevorzugt, weil sie besser planbar, rascher durchführbar und nach Katalog besser vergütet sind. Auch die Betreuung von Erwachsenen ist lukrativer als die von Kindern, weil deren Behandlung arbeitsintensiver und schwerer zu kalkulieren ist.
Die Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin beklagt, dass so trotz einer steigenden Zahl an Fällen die Anzahl der Betten für Kinder seit 1991 um ein Drittel gesunken ist. Auch der Personalmangel hängt eng mit dem Fallpauschalensystem zusammen. Weil Personal meist der größte Kostenfaktor ist, haben Krankenhäuser hier im Streben nach Gewinnmaximierung oft systematisch gespart.
Lauterbachs auf Papier skizzierte "Revolution" überwinde das Grundproblem nicht, monieren Kritiker nun immer lauter. Denn der Vorschlag der Expertenkommission des Gesundheitsministers löse die Krankenhäuser bisher nur teilweise aus dem "Hamsterrad" heraus.
Die Häuser sollen in neue Gruppen nach Grund-, Schwerpunkt- sowie Maximalversorgung eingeteilt werden. Für die meisten Gruppen bleiben die Fallpauschalen ein maßgeblicher Posten – ergänzt werden sollen sie durch sogenannte Vorhaltepauschalen, die ganz unabhängig von der Anzahl der Fälle gedacht sind für die ständige Bereithaltung, zum Beispiel von Notfall-Ambulanzen und Personal.
Sozialverband: Reform muss "noch deutlich radikaler sein"
Das aber genüge nicht, kritisierte bereits am Dienstag die Ärztegewerkschaft Marburger Bund in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" und forderte "mehr Mut" von den Gesundheitsministern. Das Fallpauschalensystem habe zu verheerenden Fehlentwicklungen geführt und müsse komplett abgeschafft werden.
Ganz ähnlich sieht es Verena Bentele, Präsidentin des bundesweit größten Sozialverbandes VdK. Die Pläne zur Krankenhausreform seien immerhin "ein kleiner Schritt in die richtige Richtung", sagte sie t-online. "Allerdings sollte das Gesundheitsministerium in seinen Plänen noch deutlich radikaler sein", so Bentele weiter. Die vorgestellte Reform werde nicht ausreichen. "Wir fordern eine vollständige Abkehr von der Gewinnorientierung und den sogenannten Fallpauschalen im Vergütungssystem." Im Fokus aller Handlungen im Krankenhaus müsse in Zukunft immer das Wohl der Patienten stehen.
Krankenhausverband: "Bislang ein leeres Versprechen"
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), Dachverband der Krankenhausträger, sieht einigen Bedarf, die Bedingungen für Lauterbachs "Revolution" nachzuverhandeln. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG, kritisiert im Gespräch mit t-online beispielsweise, dass klinisch-ambulante Leistungen bei den "Hybrid-Fallpauschalen" kaum berücksichtigt werden. Diese Leistungen sollen in Zukunft jedoch verstärkt zum Einsatz kommen. "Zu diesem Komplex kommt kein Vorschlag der Kommission, was angesichts der Chancen einer klinisch-ambulanten Versorgung am Krankenhaus eher enttäuschend ist", so Gaß.
Insgesamt sieht Gaß aber ein noch größeres Problem: Die grundsätzlich richtigen Gedanken der Kommission basierten auf einer "falschen Grundprämisse", betont er. Die Reform nämlich solle nach Vorstellung der Kommission die aktuellen Mittel im Krankenhausbereich nur umverteilen. Das aber genüge nicht; 60 Prozent der Krankenhäuser erwarteten schließlich "tiefrote Zahlen für das Jahr 2022", so Gaß: "Der vom Minister angekündigte Vorrang der Medizin vor der Ökonomie ist zwar richtig, bleibt aber bislang ein leeres Versprechen."
Ändert sich nichts, ist die Prognose der Deutschen Krankenhausgesellschaft denkbar düster: Das Kliniksterben, prognostiziert Gaß, gehe damit ungehindert weiter und "wird in diesem Jahr voraussichtlich einen neuen Höhepunkt erreichen".
Die Umsetzung der Reform beginnt gerade erst, schon jetzt holt Lauterbach sein großes Versprechen vom Ende der Fallpauschalen aber ein. Ob er es am Ende doch wird erfüllen können, wird maßgeblich von der Arbeit abhängen, die in den nächsten Monaten folgt.
- Anfragen an Deutsche Krankenhausgesellschaft, Sozialverband VdK
- youtube.com: Pressekonferenz des Gesundheitsministers am 29. November
- youtube.com: Lauterbach stellt Reformpläne für Krankenhausversorgung vor
- marburger-bund.de: Marburger Bund fordert mehr Mut bei Krankenhausreform