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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gaspreisbremse Der Preis des Trödelns
Endlich gibt es einen konkreten Plan für die Gaspreisbremse. Doch die Politik hat es den Experten unnötig schwer gemacht. Das Ergebnis: eine Notlösung.
Es ist Ende Februar, als Hannes Walter einen Gedanken hat, mit dem er damals noch ziemlich alleine dasteht. "Mit dem Kriegsausbruch war absehbar, dass wir vom russischen Gas wegkommen müssen, und es teuer wird", erzählt Walter, der für die SPD im Bundestag sitzt. "Mein Gedanke war: Die Menschen müssen am Ende des Tages noch ihre Rechnungen bezahlen können."
Bald würden also Hilfen gebraucht. Nur welche? "Es war klar, dass es nicht günstig wird, egal mit welcher Lösung", sagt Walter heute. "Für mich war es wichtig, die Grundursache zu behandeln und nicht nur an den Symptomen rumzudoktern. Deshalb fand ich eine Gaspreisbremse schon immer sinnvoller als zum Beispiel Einmalzahlungen."
Klingt logisch. Das Problem: Hannes Walter, Vizechef im Wirtschaftsausschuss, ist im Frühjahr in der Ampelkoalition mit seiner Meinung noch die Ausnahme. Als er Anfang März im "Handelsblatt" forderte, man solle eine Gaspreisbremse "zeitnah angehen", sorgte sich die FDP, das Instrument würde "grundlegende marktwirtschaftliche Prinzipien" infrage stellen. Und Olaf Scholz, Bundeskanzler und Walters Parteifreund, wollte auch erst mal abwarten. Vielleicht würde es ja doch nicht so schlimm.
Monatelang nicht getraut
Nur ist es dummerweise dann doch sehr schlimm geworden. Die Energiepreise stiegen weiter und weiter, Russland lieferte immer weniger Gas. Die Ampelkoalition beschloss ein Entlastungspaket nach dem anderen, um die Symptome zu lindern, für viele Milliarden Euro. Besonders über die Finanzierung stritt sie dabei regelmäßig.
Doch an die Grundursache traute sie sich nicht ran. Es sollte mehr als sieben Monate dauern, bis Hannes Walter heute sagen kann: "Ich bin froh, dass wir die Gaspreisbremse jetzt endlich angehen."
Denn nun soll sie eben doch kommen. Kurz vor knapp, oder eigentlich sogar schon kurz nach knapp. Denn die Heizungen in Deutschland laufen, viele Menschen und Unternehmen sind längst in Schwierigkeiten geraten.
Insofern ist die Gaspreisbremse wieder ein Beispiel dafür, dass die Politik große Entscheidungen meist nur unter großem Druck treffen kann. Was bedauerlich ist. Denn jetzt gibt es erst einmal eine Notlösung, die teurer und schlechter ist, als sie sein müsste. Zumindest wenn die Bundesregierung früher auf Leute wie Hannes Walter gehört hätte.
Eine Notlösung mit Haken
Denn wie es oft ist, wenn man Symptome behandelt und nicht an die Ursache herangeht: Am Ende wird es dann hektisch und ungenau. Erst Mitte September setzte der Kanzler eine Expertenkommission zur Gaspreisbremse ein, die am Wochenende ganze 35 Stunden diskutierte. Die vergangene Nacht machte man durch, bis es am Montagmorgen um 6.25 Uhr ein Ergebnis gab.
Die Lösung für diesen Winter soll sein, dass der Staat den Bürgern im Dezember die Abschlagszahlung für Gas und Fernwärme ersetzt. Als die Vorsitzenden der Kommission dieses Ergebnis am Montagvormittag in Berlin präsentieren, beklagen sie selbst den Zeitdruck, unter den sie die Politik gesetzt habe – und dieser habe problematische Auswirkungen.
Die gewünschte Preisbremse sei so kurzfristig für diesen Winter einfach nicht zu machen gewesen, betonen die Experten. Stattdessen erst einmal die Notlösung über die monatlichen Abschläge für Gas und Fernwärme. Sie gilt für Privatverbraucher wie für kleine Unternehmen. Und sie hat ihre Haken.
Das Problem mit der Gießkanne
Denn es ist wieder einmal eine Gießkannenlösung. Die Abschlagszahlung bekommen alle ersetzt, Reiche wie Arme. Da die reichsten 10 Prozent in Deutschland so viel Energie verbrauchen wie die ärmsten 40 Prozent, erhalten Reiche unterm Strich eine größere Entlastung als Ärmere. Zerknirscht sagt einer der Vorsitzenden, Michael Vassiliadis: "Die Gießkanne konnten wir nicht vermeiden, weil wir schnell sein wollten."
Dabei war es erklärtes Ziel der Ampelkoalition, so etwas künftig zu vermeiden. "Wir räumen ein: Uns war die Geschwindigkeit wichtiger", sagt Vassiliadis, der zugleich Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie ist.
Um den Rabatt zumindest etwas gerechter zu machen, empfiehlt die Kommission der Regierung, dass auf den geldwerten Vorteil Einkommensteuer abgeführt werden muss. Wer mehr verdient, zahlt also zumindest mehr Steuern auf den gesparten Betrag.
Fünf Milliarden Euro soll die Dezember-Maßnahme kosten, die wohl noch viel geschickter Kommunikation bedarf. Denn sie soll ja gerade nicht dazu führen, dass die Menschen kurz vor Weihnachten einfach ihre Heizungen voll aufdrehen. Deshalb zahlt der Staat nicht den tatsächlichen, sondern mit dem Abschlag nur den erwarteten Verbrauch. Ein kleiner, aber feiner Unterschied mit Verwechslungspotenzial.
Besonders schwer zu fassen dürfte zudem die Entlastung für Mieterinnen und Mieter sein, deren Abschlagszahlungen für Gas in der Regel Teil einer Nebenkostenpauschale sind. Hier muss die Hausverwaltung den Betrag erstatten.
Ein Grundkontingent und das Prinzip Hoffnung
Erst im nächsten Jahr soll dann die tatsächliche Gaspreisbremse greifen. Für Unternehmenskunden schon ab Januar, weil dort der bürokratische Aufwand schlicht geringer ist. (Lesen Sie hier mehr dazu.) Für Privatleute erst ab März oder April, selbst das ist wegen des Zeitdrucks noch nicht ganz klar. Doch sie kommt eben erst, wenn es langsam wieder Frühling wird.
Die Kommission schlägt dabei vor, ein Grundkontingent an Gas und Fernwärme zu subventionieren. Wer mehr verbraucht, soll dafür auch künftig den deutlich höheren Marktpreis zahlen müssen. So sollen Menschen und Unternehmen motiviert werden, Gas einzusparen.
Ob das funktioniert, ist die andere Frage. Denn schon jetzt ist die Bundesnetzagentur sehr unzufrieden damit, wie wenig Gas die Haushalte einsparen. Wohlgemerkt: Bislang noch ohne gebremste Preise. Dass sich das künftig ändert, hat deshalb auch etwas mit dem Prinzip Hoffnung zu tun. Und es dürfte auch darauf ankommen, wie großzügig das Grundkontingent am Ende ausfällt.
Schärft die Politik nach?
Die Kommission schlägt vor, für Privatleute 80 Prozent des Verbrauchs zu subventionieren. Grundlage wäre die Abschlagszahlung des Septembers 2022. Für dieses Kontingent soll der Staat den Gaspreis auf 12 Cent und den Fernwärmepreis auf 9,5 Cent pro Kilowattstunde drücken.
Das ist deutlich mehr als die 7 Cent, die Gas vor dem Krieg gegen die Ukraine im Schnitt kostete. Aber den Experten zufolge wohl die Summe, auf die sich der Preis in Zukunft einpendeln könnte. Das "neue Normal", wie es heißt.
Allerdings scheint es möglich, dass die Bundesregierung an diesem Punkt noch nachjustiert. Aus Robert Habecks Wirtschaftsministerium war jedenfalls zuletzt zu hören, dass man beim Grundkontingent eher an 75, 70 oder nur 65 Prozent des Verbrauchs denkt. Weil eben mehr Gas eingespart werden muss, damit es nicht doch irgendwann ausgeht.
Mit dieser Gaspreisbremse, so der Plan der Kommission, soll Deutschland dann bis Ende April 2024 durchkommen. Anschließend, so auch die Hoffnung der Bundesregierung, könnten sich die Preise tatsächlich auf dem "neuen Normal" eingependelt haben. Schlicht, weil dann mehr Flüssiggas und anderer Ersatz zur Verfügung stehen sollte, um den Ausfall russischen Gases besser zu kompensieren.
Nicht die beste aller Lösungen
Etwa 61 Milliarden Euro soll die Gaspreisbremse laut Kommission für Privatleute und kleine Firmen kosten, weitere 25 Milliarden sind für die Unternehmenskunden vorgesehen. Viel Geld also für eine Gaspreisbremse, die nicht so zielgenau ist, wie sie sein könnte. Und damit eben wohl auch teurer, als sie sein müsste.
Denn weil sie pauschal 80 Prozent des Verbrauchs subventioniert, profitieren Haushalte mit hohem Gasverbrauch mehr davon. Und das sind eben in der Regel solche, in denen die wohlhabenden Deutschen leben. Wer Pool und Villa heizen muss und nicht nur die 50-Quadratmeter-Wohnung, bekommt also deutlich mehr Geld vom Staat.
Gerechter wäre ein Modell, das etwa einen Grundverbrauch pro Kopf subventioniert. Und eben auch deutlich günstiger, wie der Ökonom Sebastian Dullien kürzlich berechnet hat. "Weil jetzt weniger Zeit zur Vorbereitung der Maßnahmen bleibt", schrieb der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung anschließend auf Twitter, "werden diese am Ende teurer und weniger zielgenau sein."
Er sollte recht behalten. Das gibt auch die Kommission unumwunden zu. Das Problem: Bislang wissen die Versorger schlicht nicht, wer sich hinter einem Gasanschluss verbirgt. Manchmal ist es eine Villa, manchmal ist es ein Mehrfamilienhaus. Eine Pro-Kopf-Lösung ist damit unmöglich. Man habe deshalb auch die Bundesregierung aufgefordert, sagt Kommissionschef Vassiliadis, ein System zu etablieren, mit dem die Menschen hinter dem Anschluss erkennbar werden. Wohl fürs nächste Mal.
Denn jetzt muss die Bundesregierung erst einmal schauen, wie sie mit den Vorschlägen der Kommission umgeht. Man wolle die Expertise "zügig prüfen", sagt Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Spätestens bis Ende kommender Woche soll es mehr Klarheit geben. Unter anderem sei noch eine europarechtliche Prüfung nötig.
Besser ist das wohl. Nicht, dass man am Ende noch einmal hektisch nachbessern muss.
- Eigene Recherchen
- Telefonat mit SPD-Politiker Hannes Walter
- Pressekonferenz der ExpertInnenkommission Gas und Wärme am 10. Oktober 2022
- bmwk.de: Zwischenbericht der ExpertInnenkommission Gas und Wärme: Sicher durch den Winter (PDF-Datei)
- imk-boeckler.de: Fiskalische Kosten und Finanzierungsoptionen für Varianten des Gaspreisdeckels (PDF-Datei)
- twitter.de: Thread von Sebastian Dullien zu den Gaspreisbremsen-Modellen
- handelsblatt.de: Gaspreis bricht alle Rekorde – Forderung nach Preisdeckel (08.03.2022)