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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kritik am Entlastungspaket "Das stoppt die Verarmungslawine nicht"
Aus der Opposition gibt es Kritik an den geplanten Maßnahmen. Die CDU sieht "eine totale Leerstelle beim größten Problem". Aber nicht alle sind unzufrieden.
Es ist ein großes Versprechen. "Wir werden niemanden alleine lassen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntagmittag, als er das dritte Entlastungspaket vorstellte: "Wir werden durch diesen Winter kommen." Doch aus der Opposition und von den Sozialverbänden werden Zweifel laut, ob die angekündigten Maßnahmen in Höhe von 65 Milliarden Euro dafür ausreichen.
"Vielfach enttäuschend" nennt Linksfraktionschef Dietmar Bartsch die angekündigten Maßnahmen. "Das Paket ist eben nicht wuchtig, sondern vielfach mager", sagte er t-online. Mit diesem Plan sei Deutschland nicht gut gerüstet für den Winter. "Die Kostensteigerungen für Energie und Lebensmittel übersteigen die vagen Entlastungen um ein Vielfaches. Die Pläne werden die Verarmungslawine, die im Winter über Deutschland rollen könnte, nicht verhindern. Die Linke wird einen heißen Herbst gegen die soziale Kälte organisieren."
"Ein sozialpolitischer Affront"
Auch beim Paritätischen Wohlfahrtsverband stoßen die Maßnahmen auf Kritik und Skepsis. "Mit diesen Maßnahmen werden nur die Fehler aus dem ersten und zweiten Entlastungspaket korrigiert", monierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands im Gespräch mit t-online: "Dazu gehört auch die Eselei, dass Rentner und Rentnerinnen bei den Entlastungen zunächst übergangen wurden." Die angekündigte Hartz-IV-Reform hält er hingegen für einen "sozialpolitischen Affront": "Das ist nur ein Ausgleich der Inflationsrate, mehr nicht. Schlimmer noch: Für dieses Jahr werden die Empfänger von Hartz IV komplett im Stich gelassen, dabei haben wir erst September."
Das Entlastungspaket sieht vor, dass Bezieher und Bezieherinnen von Hartz IV zum 1. Januar ein "Bürgergeld" bekommen, das sich nicht mehr (wie Hartz IV) aus der zurückliegenden Inflationsrate berechnet, sondern aus der prognostizierten für das kommende Jahr. Die Leistung würde damit bei rund 500 Euro im Monat liegen. Der bisherige Hartz-IV-Regelsatz liegt bei 449 Euro.
Ulrich Schneider sieht ein grundsätzliches Problem bei der Ampelkoalition: "Man kann nicht wuchtig die Mitte entlasten, wenn man nicht bereit ist, die Schuldenbremse anzupassen. Solange die Ampel ihren Geburtsfehler nicht behebt, Steuererhöhungen jenseits der Übergewinnsteuer zum Tabu zu erklären, wird sie keine gute Sozialpolitik machen." Schneider wiederholte die Forderung, dass die Sozialverbände zur nächsten konzertierten Aktion ins Kanzleramt eingeladen werden sollten. Diese ist für den 15. September geplant.
"Totale Leerstelle beim größten Problem"
Auch die CDU hält das dritte Entlastungspaket für nicht ausreichend. "Viel zu viel bleibt aber sehr vage, was nach 18 Stunden Ampel-Verhandlung überrascht", sagte der Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn (CDU), t-online: "Das ist mehr ein Arbeitsprogramm für die Regierung als ein sofort wirkendes Entlastungspaket für die Bürger." Zum Strompreis, dem 9-Euro-Ticket oder für energieintensive Unternehmen gebe es "neben Überschriften nichts Konkretes", so Spahn weiter: "Die Umsetzung wird sich lange ziehen, anstatt jetzt unmittelbar und zielgerichtet zu entlasten."
Eine totale Leerstelle gebe es "beim größten Problem, dem extrem hohen Gaspreis": "Hier werden die Menschen mit einer Kommission vertröstet." Außerdem würden auch die Maßnahmen zur Ursache der Inflation "völlig ausgeklammert", kritisierte Spahn: "Mehr Angebot senkt die Preise, das hat der Finanzminister selber herausgestellt. Daher müssen endlich alle Maßnahmen ergriffen werden, mehr Strom zu produzieren: alle Kohlekraftwerke wieder ans Netz, die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängern, mehr Biogas nutzen."
Lobend äußerte sich Spahn über den angekündigten Abbau der kalten Progression sowie den Basispreis für Strom: "Zudem korrigiert die Ampel endlich den schweren Fehler, bei der Energiepauschale Rentner und Studierende vergessen zu haben."
Sozialverband verzichtet auf Klage
Weitgehend zufrieden zeigte sich der Sozialverband VdK. "Es hat lange gedauert und war überfällig, doch das Ergebnis ist beeindruckend", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele: "Das geplante Volumen des Pakets von 65 Milliarden Euro zeigt, dass die Regierung begriffen hat: Es muss endlich gezielt geholfen werden." Weil nun auch Rentnerinnen und Rentner eine Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro bekommen sollen, werde der Verband auf seine angekündigte Klage verzichten, kündigte Bentele an.
Die VdK-Chefin begrüßte zudem, dass Übergewinne von Energiekonzernen genutzt werden sollen, um einen vergünstigten Basis-Strompreis zu finanzieren: "Das hilft allen." Es sei auch eine "wichtige und gute Maßnahme", den Strompreis vom Gaspreis zu entkoppeln: "Der Strompreis wäre sonst ins Unermessliche gestiegen." Es fehle allerdings noch ein Gaspreisdeckel. Bentele lobte die geplante Ausweitung des Wohngeldes, warnte aber davor, Kinderzuschlag und Wohngeld miteinander zu verrechnen. Dies dürfe "auf keinen Fall geschehen".
- Eigene Recherchen