Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Putin-Schelte Dieser Wutausbruch tat richtig gut, lieber Bernhard Brink
Klima, Corona, Krieg: Bernhard Brink holte vor kurzem zum Rundumschlag aus. Warum es unendlich gut tut, wenn ein Schlagerstar auf der Bühne mal so richtig ausrastet.
Schlager sind eigentlich nicht so meins. Bin eher der klassische Rock’n’Roller. Motörhead, The Sonics, Black Sabbath, ZZ Top, Lynyrd Skynyrd, Stevie Ray Vaughan, The Grateful Dead, Thin Lizzy – um das Feld grob abzustecken.
Aber zu Bernhard Brink habe ich trotzdem einen Bezug, und zwar einen rundum guten. Vor zwei Jahren habe ich an einem Spaß-Tennisturnier in Berlin teilgenommen, bei dem Doppelpaarungen wie bei einem Blind Date zusammengewürfelt wurden. "Ich bin Bernhard", sagte der ältere Herr mit juvenilem Lockenkopf, als wir den Platz betraten und abstimmten, wer auf der Vorhand und wer auf der Rückhandseite spielen würde.
Christoph Schwennicke ist Geschäftsführer der Verwertungsgesellschaft Corint Media. Er arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".
Bernhard erwies sich als guter Spieler alter Schule, Typ Tennistrainer der Achtzigerjahre, ein feines Händchen, gute Technik und eine souveräne Ruhe, die sogar auf mich abstrahlte. Den ganzen ersten Satz über rätselte ich, warum mir dieser übrigens sehr sympathische und lässige Bernhard mit seinem Lockenkopf so bekannt vorkam. Schlager, in die Richtung dachte ich schon. Landete immer bei Lechtenbrink, aber der hatte doch glatte Haare – und hieß der nicht Volker mit Vornamen? Bei einem Seitenwechsel traute ich mich zu fragen, und Bernhard löste das Rätsel auf.
Der Tennisfreund in den Schlagzeilen
Jetzt ist mir mein Tennisfreund Bernhard Brink wieder begegnet. Überall, auch hier, war zu lesen, dass er bei seinem Auftritt bei der "Schlagernacht des Jahres" in der Berliner Waldbühne vor 18.000 Zuschauern einen spontanen Ausraster hatte. Einen Wutausbruch. Corona, Affenpocken, Karl Lauterbach und Wladimir Putin – alles und alle bekamen ihr Fett weg. In einer Sprache von, nun ja, herzerfrischender Direktheit. Herrlich. Ich konnte alles unterschreiben, was da aus meinem Tennispartner mit dem großen Ballgefühl herausbrach.
Wieso eigentlich entschuldigen?
Anderntags musste sich Bernard Brink entschuldigen. Irgendein Manager oder Berater hatte ihm wohl gesagt: Kannste so nicht bringen, Bernhard, schlecht fürs Image. Räum’ das mal wieder ab. Insbesondere beim Gesundheitsminister sah man offenbar Bedarf.
Aber wieso eigentlich, lieber Bernhard? Es war doch völlig richtig, dass einem dieser Lauterbach mit seiner Angstlust und Geltungssucht auf den Wecker, "auf den Sack" gehen kann, wie du es formuliert hast. Und Putin, ja, wünschen wir uns nicht alle insgeheim, dass wir eines nicht mehr fernen Morgens aufwachen und im Radio hören, dass es ihn nicht mehr gibt? Weil ihn ein mutiger (und erfolgreicher) russischer Stauffenberg beseitigt, oder meinetwegen auch, weil "das kleine Arschloch", wie du es dir vor 18.000 Zuhörern gewünscht hast, "beim Kacken der Schlag" getroffen hat.
Ein dreifacher Alptraum
Ein phonetischer K-Dreiklang lastet auf uns: Klima, Corona, Krieg. Jeden Sommer brütet die Hitze noch brutaler, dieses Jahr sehen die Maispflanzen auf den Feldern um Berlin herum nicht erst im August so staksig aus wie Yucca-Palmen, sondern schon Mitte Juni. Seit zwei Jahren schauen wir jeden Morgen auf die Corona-Warn-App, ob wir irgendwo wieder eine Risikobegegnung hatten. Die Hälfte des Bekanntenkreises liegt gerade auf der Nase, das Ding will einfach nicht verschwinden.
Es ist entsetzlich, Hitze, Seuche, Leid, ein Leben in einer Wirklichkeit gewordenen Dystopie. Und dann fängt ein wild gewordener Despot in Moskau auch noch an, an der Demarkationslinie zum Westen einen fürchterlichen Krieg zu entfachen, in dem wir schon längst drinstecken, auch wenn sich das Schlachtfeld (bisher?) auf die Ukraine beschränkt.
Klima, Corona, Krieg – ein dreifacher Alptraum als tägliche Wirklichkeit. "Where have all the good times gone?" möchte man mit den Kinks den Refrain ihres Klassikers singen.
Die unpassende heile Welt
Abgesehen von kleinen Ausreißern wie dem "Ehrenwerten Haus" von Udo Jürgens sind Schlager nicht in erster Linie zur Gesellschaftskritik da. Schlager versetzen uns in eine im Grunde heile Welt mit banalen Problemchen wie Liebeskummer oder unerfüllter ebenso wie erfüllter Leidenschaft. Vermutlich auch der Song, den Bernhard Brink auf der Bühne der Waldbühne vortrug. Und vermutlich kam Bernhard Brink das unangemessen vor in diesen Zeiten, und er setzte zu seinem Rant an, nachdem das Lied verklungen war in den Weiten der Waldbühne.
Stellvertretend für uns alle durchbrach er die Duldsamkeit, mit der wir alle diesen dreifachen Alpdruck ertragen. Er hat seinen Frust, unseren Frust rausgeschrien, begehrte auf wie Jimi Hendrix mit seiner zerhackten Version des "Star Spangled Banner". Dieses Aufbegehren ist reinster Rock’n’Roll. Für mich ist Bernhard Brink ab jetzt ein echter Rock’n’Roller.
Ich muss deshalb ja nicht gleich seine Musik hören.
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