"Keine Anhaltspunkte" FDP-Spitze erklärt ihr "Nein" zur Impfpflicht

Die Impfpflicht ist im Bundestag auf ganzer Linie gescheitert. Keiner der Kompromissvorschläge erhielt eine Mehrheit. Die FDP steht hinter ihrer Entscheidung – von anderer Seite hagelt es scharfe Kritik.
Die Abgeordneten rangen am Donnerstag bei einer Abstimmung im Bundestag um eine Impfpflicht. Doch alle vier Vorschläge scheiterten. Die Bundesregierung steht in der Corona-Pandemie so nun da, wie auch schon zuvor: mit nichts.
Sowohl die allgemeine Impfpflicht, als auch die Impfpflicht ab 60, von Politikern der SPD, Grüne und FDP und auch der Vorschlag der Union, ein Impfregister einzuführen, wurden abgelehnt. Auch ein Antrag gegen eine Impfpflicht, um den FDP-Vize Wolfgang Kubicki, erhielt keine Mehrheit. Die Enttäuschung ist groß – auf allen Seiten.
Alle FDP-Minister unterschreiben Erklärung
Die FDP-Spitze hat in einer langen schriftlichen Erklärung ihr Nein bei der Abstimmung im Bundestag über eine allgemeine Impfpflicht erläutert. Im Moment lasse sich eine Impfpflicht "nicht ausreichend gut begründen", heißt es darin. Unterschrieben wurde die Erklärung von allen vier Bundesministern – Christian Lindner (Finanzen), Marco Buschmann (Justiz), Bettina Stark-Watzinger (Bildung), Volker Wissing (Verkehr) – und von weiteren führenden FDP-Politikern wie Fraktionschef Christian Dürr und dem designierten Generalsekretär Bijan Djir-Sarai.
In der Erklärung heißt es: Bei den aktuellen Virus-Varianten wäre eine Impfpflicht nur gerechtfertigt, wenn eine Überlastung des Gesundheitssystems drohen und diese durch eine Impfpflicht verhindert werden würde. "Für eine solche Gefahr haben wir im Moment –glücklicherweise – trotz sehr hoher Inzidenzen keine Anhaltspunkte."
Auch das Argument, die Einführung einer Impfpflicht heute könne garantieren, dass es im Herbst keiner Corona-Schutzmaßnahmen mehr bedürfe, wiesen die FDP-Politiker zurück. "Dieses Versprechen kann nach unserer Überzeugung heute niemand sicher abgeben." Denn das Virus mutiere schnell. Wie sich dies auf die Wirksamkeit der heute bekannten Impfstoffe, die Pathogenität des Virus und die Schwere der Krankheitsverläufe auswirke, sei nicht mit Sicherheit vorhersehbar.
Lauterbach: "Bekämpfung von Corona wird im Herbst viel schwerer"
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist da anderer Meinung. Der SPD-Politiker äußerte sich besorgt auf Twitter: "Es ist eine sehr wichtige Entscheidung, denn jetzt wird die Bekämpfung von Corona im Herbst viel schwerer werden. Es helfen keine politischen Schuldzuweisungen. Wir machen weiter."
Zustimmung erhielt Lauterbach aus seiner Partei: Der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch hat das Scheitern des Entwurfs für die Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht in Deutschland zunächst ab 60 Jahren bedauert. "Das Signal ist fatal", teilte er am Donnerstag in Mainz mit. "Wir hätten in Deutschland eine allgemeine Impfpflicht dringend gebraucht, denn wir erwarten spätestens im Herbst eine weitere Welle."
Grüne werfen Union Scheitern vor
"Das ist bitter!", schrieb auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Der SPD-Politiker bedauere es außerordentlich, dass im Bundestag keine Einigung zu einer Impfpflicht erzielt werden konnte. Auch Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) zeigte sich enttäuscht. "Das ist eine schwere Hypothek für den Herbst", sagte sie laut Mitteilung. Es sei enttäuschend, dass der Bundestag nicht die Kraft gefunden habe, eine allgemeine Impfpflicht auf den Weg zu bringen.
Auch der FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann, der den Kompromissentwurf mitgetragen hatte, sagte im TV-Sender Phoenix, zumindest eine Beratungspflicht solle kommen. Der Grünen-Experte Janosch Dahmen schrieb bei Twitter, das Scheitern schmerze ihn als Arzt, weil das Risiko für vulnerable und ältere Menschen und die Belastung des Gesundheitspersonals hoch blieben.
Die Grünen-Fraktion hat insgesamt enttäuscht auf das Scheitern der Impfpflicht reagiert und die Union wesentlich dafür verantwortlich gemacht. "Das parteipolitische Taktieren der Union in dieser wichtigen Frage ist nicht nachvollziehbar und kann erhebliche Folgen für den Herbst haben", sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin am Donnerstag.
Kliniken: "Es war ein Scheitern mit Ansage"
Ähnlich hört man vonseiten der Kliniken: "Schlussendlich stehen wir jetzt vor einem Scherbenhaufen, den alle Parteien zu verantworten haben", sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, der "Rheinischen Post" am Donnerstag. "Es war ein Scheitern mit Ansage", fügte er mit Hinweis hinzu, dass die Regierung keinen eigenen Antrag vorgelegt habe.
Nach dem Scheitern der allgemeinen Impfpflicht müsse man nun umgehend auch Entscheidungen zum weiteren Umgang mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht treffen, forderte Gaß. "Dass die Gesundheitsämter jetzt noch Arbeitsverbote für ungeimpfte Personen im Gesundheitswesen aussprechen, halte ich für nicht vorstellbar. Für uns war die allgemeine Impfpflicht immer eine nachfolgende Notwendigkeit, um die einrichtungsbezogene Impfpflicht aufrechtzuerhalten", betonte Gaß.
Der Sozialverband Deutschland, der sich klar für eine Impfpflicht ausgesprochen hatte, bedauerte das Scheitern ebenfalls. Verbandspräsident Adolf Bauer appellierte aber an Parlament und Bundesregierung, die Gespräche über eine allgemeine Impfpflicht weiterzuführen.
Arbeitgeber: "Das ist kein guter Tag für die Pandemiebekämpfung"
Enttäuscht zeigten sich auch die Arbeitgeber. "Das ist kein guter Tag für die Pandemiebekämpfung. Impfen bleibt ein zentraler Baustein im Kampf gegen die Pandemie", erklärte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Wenn eine Impfpflicht vorerst nicht komme, sei es nun noch wichtiger, dass jeder seinen Beitrag für eine möglichst hohe Impfquote leiste.
"Auch ohne Pflicht müssen wir alle die Ärmel hochkrempeln und anpacken. Auch der Staat ist hier gefordert, alle Potenziale der Impfkampagne auszuschöpfen", mahnte Dulger. Die Unternehmen seien ihrerseits bereit, durch das betriebsärztliche Impfen ihren Teil beizutragen.
Handel: "Jetzt liegt es in der Verantwortung jedes einzelnen"
Der Handelsverband Deutschland reagierte ähnlich: "Es ist sehr bedauerlich, dass im Bundestag keine Einigung für eine Corona-Impfpflicht erzielt werden konnte. Aus Sicht des Handels ist eine hohe Impfquote nach wie vor das vielversprechendste Mittel, um zu verhindern, dass wir im kommenden Herbst wieder vor ähnlichen Herausforderungen und Maßnahmen wie in den vergangenen beiden Jahren stehen."
Der Handel werde jetzt erst recht weiter mit voller Kraft daran arbeiten, noch mehr Menschen von den Vorteilen einer Impfung zu überzeugen. "Wir ruhen uns nicht auf den im Rahmen der Kampagne bereits verimpften eine Million Impfdosen aus und werden weiterhin vor allem in Einkaufszentren Impfaktionen anbieten. Jetzt liegt es in der Verantwortung jedes einzelnen, seinen Beitrag zu einer dauerhaften Normalisierung des täglichen Lebens zu leisten und sich impfen zu lassen."
- Nachrichtenagentur dpa