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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Debatte um Auswärtiges Amt Das steckt hinter Baerbocks Personalien
Mit der Berufung von Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan zur Staatssekretärin sorgte Annalena Baerbock für Diskussionen in Deutschland. Ist die Aufregung über das Personal der Außenministerin berechtigt?
Sie ist eine der profiliertesten Umweltaktivistinnen weltweit: Die bisherige Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan wechselt auf Wunsch von Außenministerin Annalena Baerbock zum 1. März ins Auswärtige Amt. Die 55-jährige US-Bürgerin soll zunächst als Sonderbeauftragte und dann als Staatssekretärin die internationale Klimapolitik der Bundesregierung koordinieren – und wohl auch eine zentrale Rolle in der Kommunikation zwischen Politik und Klimaaktivisten spielen.
Ihre Berufung sorgt in der Opposition für mächtig Zündstoff. Vor allem die Union wirft Baerbock vor, zwischen Staatspolitik und Lobbyismus nicht zu unterscheiden. Dabei erscheint die Berufung Morgans als logisches Puzzleteil in einer Strategie, mit der die Grünen in die Bundesregierung gegangen sind: Der Kampf gegen die Klimakrise zieht sich als Leitmotiv durch alle grünen Ministerien – das findet sich nun umso stärker im Auswärtigen Amt wieder.
Mit der Berufung Morgans macht Baerbock klar, dass das Problem der Erderwärmung nur international gelöst werden kann. Außerdem sendet die Personalie auch ein Signal an die Klimaaktivisten, die der Partei zu dem Erfolg bei der Bundestagswahl verhalfen.
Werte in der Außenpolitik
Die personelle Zusammensetzung des Auswärtigen Amtes unter Baerbock spiegelt die grünen Schwerpunkte in der Außenpolitik. Es geht um internationale Klimapolitik, eine enge Abstimmung der deutschen Politik mit den europäischen und transatlantischen Partnern und um Friedenspolitik. Baerbock hat sich dafür in all diesen Punkten ein kompetentes Team von Politikern zusammengestellt, die nicht unbedingt in die erste Reihe der Grünen drängen. Politikerinnen wie Franziska Brantner, die noch Anfang Dezember für einen Staatsministerposten im Auswärtigen Amt sowie als grüne Parteichefin gehandelt wurden, kamen anderswo unter. Brantner wechselte als Staatssekretärin ins Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz von Robert Habeck.
Besonders die Staatsministerinnen und Staatsminister spielen eine wichtige Rolle: Im Auswärtigen Amt unterstützen sie Baerbock bei ihren Regierungsaufgaben und vertreten die Außenministerin auch immer wieder bei internationalen Terminen.
Baerbocks Besetzung der zentralen Posten in ihrem Ministerium zeigt, welche politische Richtung Deutschlands Vertretung in der Welt einschlägt. Ein Überblick:
Jennifer Morgan – die Kämpferin fürs Klima
Deutschlands internationale Klimapolitik erhalte mit Morgan ein "Gesicht, das weltweit bekannt ist, eine weltweite Reputation und Strahlkraft hat", sagte Baerbock bei ihrer Vorstellung. Morgan bezeichnete die Annahme des Postens im Auswärtigen Amt als "einmalige Chance". Zur Umsetzung des 1,5-Grad-Ziels sei eine "nie dagewesene internationale Zusammenarbeit" nötig. "Wir haben die Möglichkeiten und es daher selbst in der Hand, die Auswirkungen der Klimakrise zu bekämpfen."
Ihre Karriere als Umweltexpertin begann Morgan beim Thinktank Climate Action Network in Washington; seit 1995 nahm sie an allen Weltklimakonferenzen teil. Auch mit der deutschen Klimapolitik ist Morgan vertraut: Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 war sie Teil des Beratergremiums der Bundesregierung unter der Leitung des Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber, von 2010 bis 2017 war sie im wissenschaftlichen Beirat des damals von Schellnhuber geleiteten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Am Fünften Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC wirkte sie als Redakteurin mit.
Dass Morgan trotz des intensiven Kontakts mit politischen Entscheidungsträgern nie die scharfe Kritik an der Klimapolitik unter anderem auch der deutschen Bundesregierung scheute, sicherte ihr den Rückhalt auch der jüngeren Generation an Klimaaktivisten.
Mit Morgans Ernennung beweise "Außenministerin Baerbock den Mut, eine kritische und unabhängige zivilgesellschaftliche Perspektive in die Bundesregierung zu holen", erklärte der Geschäftsführer von Germanwatch, Christoph Bals. Morgan sei eine der "erfahrensten und kenntnisreichsten Stimmen bei internationalen Klimaverhandlungen". Allerdings warteten große Aufgaben auf sie.
Das steckt hinter der Ernennung: Baerbock holt sich mit Morgan eine international respektierte Klimaexpertin ins Team. Die Außenministerin möchte selbst auf internationalen Klimagipfeln präsent sein und den internationalen Kampf gegen die Klimakrise stärken – diese Personalie unterstützt sie dabei. Strategisch helfe Morgan den Grünen, als Regierungspartei nicht den Draht zur Klimabewegung auf der Straße zu verlieren. Das ist für die Partei mit Blick auf kommende Wahlen wichtig.
Tobias Lindner – der Verteidigungsexperte
Mit Tobias Lindner holte sich Baerbock einen Verteidigungsexperten als Staatsminister ins Auswärtige Amt. Lindner ist seit 1998 Grünen-Mitglied, war zuvor wirtschaftspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion und zuletzt ordentliches Mitglied des Verteidigungsausschusses.
Der Grünen-Politiker ist auch stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der Nato und hat somit beste Kontakte zum Militärbündnis nach Brüssel.
Das steckt hinter der Ernennung: Die Kompetenz des promovierten Sicherheitsexperten wird über Parteigrenzen geschätzt. Das Afghanistan-Debakel hat gezeigt, wie wichtig die Verknüpfung von Außen- und Sicherheitspolitik ist. In diesen Bereichen soll Lindner seine Qualifikation einbringen und seinen Draht zur Nato nutzen, um für die Politik der Bundesregierung zu werben. Baerbock bekennt sich zwar zum Verteidigungsbündnis, spricht sich aber gegen Waffenlieferungen aus. Lindner soll für diese grüne Friedenspolitik international für Rückhalt sorgen.
Anna Lührmann – Schulterschluss mit Frankreich
Die hessische Grünen-Abgeordnete Anna Lührmann gilt als erfahrene Außenpolitikerin und Klimaaktivistin. Die ehemalige Juniorprofessorin und Demokratieforscherin hat an der Uni Göteborg unterrichtet und arbeitete im Sudan und bei den Vereinten Nationen.
Schon seit 1992 engagiert sie sich als Klimaaktivistin, unter anderem auch für Greenpeace. Nach der Bundestagswahl 2021 zog sie nach zwölfjähriger Pause über die hessische Landesliste in den Bundestag ein. Nun ist sie Staatsministerin für Europa – ihr Fokus als Staatsministerin ist vor allem die deutsch-französische Zusammenarbeit.
Das steckt hinter der Ernennung: Lührmann bringt viel Erfahrung in der internationalen Zusammenarbeit und in der Demokratieforschung mit. Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist das Fundament der Europäischen Union – Lührmann soll hier Weichen für die Zukunft stellen.
Katja Keul – grüne Friedenspolitikerin
Die Juristin Katja Keul gilt als Brückenbauerin und als überzeugte Europäerin, die in den vergangenen Jahren für ein föderales Europa und für den europäischen Einigungsprozess eintrat. Keul war Obfrau des Rüstungsunterausschusses und setzte sich für eine atomwaffenfreie Welt ein.
Während Lindner unter Staatsministern den grünen Realo-Flügel vertritt, wird Keul den Parteilinken zugerechnet. Sie steht programmatisch für eine sichtbarere Friedensarbeit, Abrüstung und das Verbot, Waffen in Kriegsgebiete und an Diktatoren zu liefern.
Das steckt hinter der Ernennung: Keul soll das Gesicht der grünen Friedens- und Abrüstungspolitik sein. Ein weiterer wichtiger Baustein in dem außenpolitischen Konzept der neuen Bundesregierung, in dem Werte eine größere Rolle spielen sollen.
Erfahrene Staatssekretärinnen und Staatssekretäre
Neben den Staatsministern besetzte Baerbock auch die Posten der Staatssekretäre mit sehr erfahrenen Diplomatinnen und Diplomaten. Jennifer Morgan ist im Kampf gegen den Klimawandel versiert. Die Juristin Susanne Baumann arbeitet bereits seit 1993 im Auswärtigen Dienst. Andreas Michaelis war schon unter Joschka Fischer Sprecher des Auswärtigen Amtes und Botschafter in Israel und im Vereinigten Königreich. Letzterer steht Baerbocks Strategie einer "wertebasierten" Außenpolitik nahe und bringt durch seine Zeit als Botschafter gute Verbindungen nach Großbritannien mit, die nach dem Brexit wichtig werden könnten.
Abschließend lässt sich sagen, dass Baerbock sich ein Team mit viel Fachkompetenz zusammengestellt hat – mit Experten, die den grünen Zielen nahestehen. Außerdem sind in der Leitung des Auswärtigen Amtes nun fünf Frauen (inklusive der Außenministerin) und zwei Männer.
Auch das kann als Botschaft an die Welt verstanden werden, denn Baerbock möchte Außenpolitik feministischer machen. Das ist ihr zumindest formell bisher gelungen.
- Mit Material der Nachrichtenagentur afp
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- Eigene Recherche