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"Querdenker"-Protest in Rostock: "Rechtsradikale? Hab ich keine gesehen"


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"Querdenker"-Ausschreitungen in Rostock
"Gleich knallt's!"


Aktualisiert am 12.01.2022Lesedauer: 7 Min.
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Mecklenburg-Vorpommern: Zahlreiche Menschen haben, wie hier in Greifswald, gegen die Corona-Maßnahmen und eine Impfpflicht demonstriert. (Quelle: t-online)
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In Rostock prügeln Rechtsradikale einer "Querdenken"-Demo den Weg frei. Die meisten Demonstranten aus dem bürgerlichen Spektrum dulden die Extremisten – oder schauen weg. Die Rechten sind einfach zu nützlich.

Es dauert ein bisschen, bis Rostock in die Gänge kommt. Der wöchentliche Montagsprotest der "Querdenker" sollte eigentlich um Punkt 17 Uhr starten, aber noch geht es gemächlich zu am Rosengarten in der Rostocker Innenstadt. Es herrscht eher Heiterkeit als Wutbürgerstimmung, man sieht mehr Lichterketten als Transparente, ein älteres Paar tratscht übers Wetter. Irgendwo am Rand trägt jemand eine Deutschlandflagge spazieren.

50 Meter davon entfernt, an einem Seiteneingang zu den "Wallanlagen", haben sich Hunderte Gegendemonstranten versammelt. Dazu aufgerufen hat das Bündnis "Rostock nazifrei", auf den Schildern steht "Danke für die medizinische Versorgung" oder "Impfen statt schimpfen". Von den "Querdenkern" trennt sie nur eine schmale Pufferzone, man protestiert in Sichtweite gegeneinander. "Nazis raus!", ertönt es von der einen Seite, "Selber!" von der anderen.

Die Polizei hat für den Aufzug an diesem Montag Auflagen angeordnet: Unter anderem 1,5 Meter Abstand sollen die "Querdenker" einhalten sowie Maske tragen – zumindest theoretisch: Denn kaum einer hier hält sich daran. Zur Strafe blockieren die Einsatzkräfte die Straße.

Bloß ein Bluff

Ein Ordner in gelber Warnweste schüttelt den Kopf: "Jedes Mal das gleiche Spiel." Fürchtet er, dass die Demo endet, bevor sie überhaupt angefangen hat? Er lacht. "Ach, die bluffen doch nur. Es geht gleich los."

Kurz darauf begeht die Polizei ihren ersten Fehler. Über Lautsprecher mahnt sie erneut zur Maske, doch statt Gehorsam erntet sie nur Grummeln und Pfiffe. Obwohl der Appell in der kalten Rostocker Abendluft folgenlos verpufft, lässt die Einsatzleitung den Aufzug Minuten später starten.

Das Einlenken der Uniformierten trotz massiver Auflagenverstöße der Demonstranten wird dort aufmerksam registriert. "Hab ich doch gesagt", sagt der "Querdenker"-Ordner zufrieden. Es wird nicht das letzte Mal an diesem Abend sein, dass die Polizei ihre Autorität vor aller Augen selbst untergräbt.

Menschen wie du und ich

Der Aufzug startet mit Feuereifer. Pfeifen werden geträllert, aus einem Lautsprecher kreischen Sirenen und der Schlachtruf der "Querdenker" schallt durch die Hansestadt: "Frieden! Freiheit! Selbstbestimmung!" Statt lauwarmer Latschdemo peitscht die Menge nach vorne und kostet ihren ersten Sieg über die Polizei aus.

Ein Streifenwagen, der vor der Demo tuckert, erinnert ein letztes Mal in rotierender Leuchtschrift an die Auflagen. Es wirkt ein bisschen komisch, wie die blau blinkenden Buchstaben um die Balken rennen – denn niemand beachtet das Auto. Wie in die Jahre gekommene Leuchtreklame, die keinem mehr auffällt, weshalb es auch egal ist, was draufsteht. "Tragen Sie Maske. Tragen Sie Masse. Bratwurst 2,50 Euro."

Politisch sind die Teilnehmer schwer einzuordnen. Bürgermeister Claus Ruhe Madsen sprach im Vorfeld von "völlig normalen Menschen", deren Ängste ernst genommen werden müssten. Auch die Polizei ordnet die meisten dem "bürgerlichen Spektrum" zu, auch wenn das nicht allzu viel aussagt. Vor Ort zeigt sich: Die Teilnehmer haben sehr unterschiedliche Hintergründe. Darunter sind Impfgegner, Altlinke und 68er, Libertäre, 90er-Jahre-Nostalgiekonservative, Esoteriker, harte Verschwörungsgläubige, Hooligans, organisierte Rechtsextreme.

"Die Gesellschaft schließt ständig Menschen aus, wir wollen das nicht", sagt eine ältere Frau, die ihre Gehhilfe zur politischen Werbefläche ("TV aus, Radio aus, Gehirn an") umfunktioniert hat. Hier sei jeder willkommen, der gegen die Corona-Maßnahmen kämpfe. Überhaupt: Rechte habe sie bisher nur einmal gesehen, letzten Montag war das. Zwei Herren vom "Compact-Magazin", das vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, seien auf die Demo gekommen, blieben aber nicht lange. "Die wollten sich nur mit ihrem Magazin fotografieren und sind ganz schnell wieder abgezogen." Als Beweisfoto für ihre Anhänger, glaubt die Rostockerin, die keine nähere Angaben zu ihrer Person machen möchte.

Auch Sylvia aus Wismar hat per se kein Problem mit Menschen rechter Gesinnung, "solange sie sich benehmen". Die 53-Jährige würde rein optisch mehr auf eine Demo für den "Hambi" oder den "Danni" passen, sie entstammt eher dem linksalternativen Milieu. In den 90ern habe sie gegen Castortransporte protestiert, erzählt sie – heute gegen die drohende Impfpflicht. Dass sie gemeinsam mit Rechten demonstriere, sei für sie überhaupt kein Problem. "Das sind Menschen wie du und ich."

"Gleich knallt's"

Kaum eine halbe Stunde unterwegs, kommt der Aufzug erneut zum Stehen. Die Polizei probiert es noch mal, blockiert die Straße, mahnt zur Maske. Verwirrung macht sich breit, erste Ideen einer Ausweichroute werden offen gebrainstormt ("Durch den Wald!"), die Demo-Spitze bröckelt. Fünf Männer halten tapfer weiter das Front-Transparent, hinter ihnen gähnt ein Loch, es sieht skurril aus.

Plötzlich kommt Bewegung ins Spiel. Im hinteren Teil des Aufzugs taucht eine Gruppe Vermummter auf und bahnt sich zielstrebig einen Weg durch die wartende Menge. Rund 30 Personen, schwarz gekleidet, marschieren wie auf Kommando nach vorne. "Jetzt knallt's gleich", grinst eine Frau zu ihrem Begleiter.

Dann geht alles ganz schnell. Sobald der Trupp die Demo-Spitze erreicht, kippen die Kräfteverhältnisse. Die Stimmung wird aggressiv und bedrohlich, es kommt zum Handgemenge. Neben den Vermummten, die laut Polizei dem rechten Spektrum und der gewaltbereiten Hooligan-Szene zuzuordnen sind, stehen bekannte Neonazi-Größen wie Sven Krüger und Aktivisten der rechtsextremen Identitären Bewegung in der ersten Reihe.

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Die Polizei versucht die gewalttätigen Demonstranten zurückzuschlagen, setzt Pfefferspray und Schlagstöcke ein, aber bleibt defensiv, sodass die Rechten leichtes Spiel haben. Einzelne Beamte brüllen "Zurückbleiben!", einem Polizisten überschlägt es die Stimme. Es wirkt verzweifelt, hilflos, immerhin deeskalierend.

Und doch: Wer direkt daneben steht, fragt sich, warum die Beamten ihre Ausrüstung nicht beherzter einsetzen. Die Speerspitze der Demo haben jetzt militante Rechtsextreme übernommen, das von Stadt und Polizei genannte "bürgerliche Spektrum" spaziert brav hinterher.

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Am Ende hat sich das Manöver aus Sicht der Rechten sowie der Demonstranten gelohnt: Die Polizeisperre ist aufgebrochen, die Einsatzkräfte weichen zurück. Mit Mühe schafft es der Anmelder der Demo, Jens Kaufmann, den Aufzug wieder unter Kontrolle zu bekommen.

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In der Demo ist wieder etwas Ruhe eingekehrt. Ein rund 20 Meter breiter Puffer zwischen Polizei und Menge wurde verabredet, er wird weitgehend eingehalten. Immerhin, nicht alle scheinen die Eskalation zu begrüßen.

"Kein Wunder, dass die Leute uns doof finden", sagt Matthias, der heute zum ersten Mal hier ist und als Ordner aushilft. "Das ist doch nicht das Ende der Welt, eine Maske aufzuziehen", es gebe nun mal Regeln, an die man sich halten müsse, so der Mann, der selbst keine Maske trägt (ein Attest befreie ihn davon, sagt er). Dass die aufgeheizte Menge hinter ihm das mehrheitlich anders sehe, sei ihm bewusst. "Ich habe das im Vorhinein mit mehreren Leuten diskutiert, aber ich bin nicht durchgedrungen."

Eine Selbstreflexion, der ihresgleichen sucht an diesem Abend.

"Als würde man gegen Hitler mit Hakenkreuzbinde protestieren"

Bei Jens Kaufmann fehlt sie komplett. Der umtriebige "Querdenker", der wegen eines offenen Briefes mit antisemitischem Zungenschlag kein Versammlungsleiter mehr, sondern nur noch Anmelder sein darf, verteidigt den massenhaften Verstoß gegen die Maskenauflage. Es sei ja gerade das Ziel des Protests, die Maske abzuschaffen. Sie trotzdem zu tragen, nur um irgendwelche Auflagen zu erfüllen, wäre daher ein Widerspruch in sich. "Das wäre in etwa so, als hätte man im Dritten Reich gegen Hitler demonstrieren wollen, aber als Auflage eine Hakenkreuzbinde tragen müssen."

Schiefe NS-Vergleiche sind ein bisschen Kaufmanns Spezialität. Tage zuvor hat er einen offenen Brief an Mecklenburg-Vorpommerns Landeschefin Manuela Schwesig (SPD) mitunterzeichnet, der die 2G-Regel für Ungeimpfte mit dem Schicksal der ermordeten Juden im Dritten Reich gleichsetzt. Der Rostocker Sozialsenator Steffen Bockhahn (Linkspartei) machte Teile des Schreibens auf Twitter öffentlich.

Auf die antisemitische Passage angesprochen gibt sich Kaufmann ahnungslos. "Von Juden habe ich gar nichts geschrieben." Ihm ginge es um die menschenverachtende Corona-Politik der Regierenden, "mehr nicht".

Die "richtige" Dosis Gewalt

Kaufmann sieht abgekämpft aus, als die Demo am Rostocker Stadthafen vorbeizieht. Die vermummten Schläger hatten ihm vorhin fast die Versammlung verhagelt – und am Ende doch gerettet. Mit gelber Weste und Lautsprecher hatte Kaufmann die Vermummten angebrüllt und sie zum Rückzug aufgefordert.

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Doch man kann Extremisten nicht mit offenen Armen empfangen und dann glauben, sie kontrollieren zu können. Ob Kaufmann diese Lektion gelernt hat? Denn der Schwarze Block der Rechten erwies sich als ziemlich nützlich: Er machte gerade genug Krawall, um die Polizei zurückzudrängen, aber offenbar nicht genug, um adäquate Gegenwehr – etwa die zwei Wasserwerfer, die im Hintergrund lauerten – zu provozieren. Aus Sicht der Krawallmacher war es genau die "richtige" Dosis Gewalt.

Wohl aus diesem Grund will der Chef-"Querdenker" Kaufmann auch gar kein böses Wort über die Truppe verlieren. "Kleine Störung" nennt er die Gewalteskalation am Vögenteich. Mehr wolle er dazu nicht sagen. Um den "friedlichen" Charakter seines Protests zu untermauern, ruft er die Demonstranten auf den letzten Metern dazu auf, ihre Handylichter anzuschalten und ihre Lichterketten prominent zu zeigen.

Das Lichtermeer der 4.000 "Querdenker" hat einen Augenblick tatsächlich etwas von gemütlicher Latschdemo – aber das kann nur denken, wer vorhin nicht dabei war.

Kultur des Wegschauens

Die Demo ist mittlerweile wieder am Steintor in der August-Bebel-Straße angekommen. "Rechtsradikale? Hab ich nicht gesehen", sagt eine Rostockerin in ihren 60ern auf Nachfrage. Und die vermummten Gewalttäter, die "Zick, zack, Z-Pack" riefen, Journalisten bedrängten und auf Polizisten einschlugen? "Auch nicht", sagt die Dame, die nett und ausführlich über die Gefahren des Impfens spricht, aber wenig zu den Gefahren vor Ort zu berichten weiß.

Es bleibt ein Rätsel, das bis zum Ende nicht aufgeklärt werden sollte. Und das, obwohl viele Teilnehmer, einmal ins Reden gekommen, allerhand wissen und erzählen, von geheimen Plänen und falschen Daten, verkannten Wissenschaftlern und neuen Studien. Überhaupt wird viel von Erwachen und Erkennen gesprochen, aber was direkt vor ihren Augen passiert ist, scheint vielen entgangen zu sein.

Am Ende stellt die Polizei zehn Strafanzeigen wegen Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Rund 80 Personen aus dem rechten Spektrum und der gewaltbereiten Fußballszene wurden identifiziert, so eine Sprecherin auf Anfrage.

"Volksauge, sei wachsam!", warnte ein Mann mit grauem Bart und Hornbrille ganz am Anfang der Demo. Der Appell darf wohl als gescheitert gelten. Allerdings besteht das Problem vermutlich weniger darin, dass die "Querdenker" ihre rechten Stoßtrupps nicht sehen – sondern darin, dass die meisten sie nicht sehen wollen. Dafür sind die Rechten einfach zu nützlich.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche vor Ort
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