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Gerhard Schröder (SPD): "Seine Fähigkeiten hat Scholz mehrfach bewiesen"


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Ex-Kanzler Gerhard Schröder
"So erreichen wir rein gar nichts"

InterviewVon Sven Böll

Aktualisiert am 07.12.2021Lesedauer: 7 Min.
Gerhard Schröder: Der SPD-Politiker war von 1998 bis 2005 Deutschlands Bundeskanzler.Vergrößern des Bildes
Gerhard Schröder: Der SPD-Politiker war von 1998 bis 2005 Deutschlands Bundeskanzler. (Quelle: Sean Gallup/getty-images-bilder)

Kann Olaf Scholz Kanzler? "Mit Sicherheit", sagt Gerhard Schröder. Der Ex-Regierungschef erzählt darüber hinaus vom unangenehmsten Moment nach seiner Wahl – und kritisiert die absehbare Außenpolitik der Grünen scharf.

Herr Schröder, wenn ich Ihnen vor einem halben Jahr gesagt hätte "Anfang Dezember wählt der Bundestag Olaf Scholz zum Kanzler", was hätten Sie mir damals geantwortet?

Gerhard Schröder: Ich hätte gesagt: Denken Sie noch mal neu darüber nach, schauen Sie auf die Umfragen.

Auch Sie haben also im Frühsommer nicht an einen Wahlsieg geglaubt?

Die Umfragen zu dieser Zeit machten nicht viel Hoffnung, dass die SPD gewinnen kann. Aber Olaf Scholz und die SPD haben dann in den Monaten vor der Wahl sehr wenige Fehler gemacht, während die Union sehr viele Fehler gemacht hat. Unser Vorteil war, dass es in meiner Partei eine auch von mir nicht erwartete Disziplin gab und dass der bisherige Generalsekretär Lars Klingbeil den Wahlkampf sehr gut gemanagt hat.

Kann der Altkanzler Gerhard Schröder denn auch gut mit dem neuen Generalsekretär Kevin Kühnert leben?

Natürlich kann ich damit leben. Und ich gehe mal davon aus, dass Kevin Kühnert im und am Amt wachsen wird.

Erinnern Sie sich noch an den 27. Oktober 1998?

Den Termin meiner Kanzlerwahl?

Genau. Was war für Sie an diesem Tag der bewegendste Moment?

Das sind so intensive Stunden, da kann ich mich nicht mehr an einen ganz besonderen Moment erinnern. Aber ein Spitzenpolitiker der Grünen hat mir eine Kiste Zigarren geschenkt.

Das wissen Sie noch?

Ich erinnere mich nur deshalb daran, weil ich inzwischen keine Zigarren mehr rauche. Irgendwann habe ich von jetzt auf gleich aufgehört.

Vermutlich ist die CO2-Bilanz von Zigarren auch nicht so gut, als dass die Grünen sie noch verschenken würden.

Könnte sein! Sie sind zudem nicht besonders gesundheitsförderlich.

Als Helmut Kohl 1998 das Kanzleramt an Sie übergeben hat, haben Sie ihm vor versammelter Mannschaft applaudiert. Warum?

Trotz aller politischer Differenzen hatte ich großen Respekt vor seiner Lebensleistung. Die Deutsche Einheit bleibt mit seinem Namen verbunden.

Was war Ihre erste Entscheidung, die Sie als frischgewählter Kanzler treffen mussten?

Ich musste das Kabinett bekannt geben. In der Fraktion habe ich damals die Liste verlesen, bei den meisten Ministerien war das kein Problem, weil sie kurze Namen haben. Aber ein Ressort hatte eine so komplizierte Bezeichnung …

… Sie meinen das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend …

… genau. Ich war an dem Tag auch ein bisschen aufgeregt, sodass mir plötzlich nicht mehr einfiel, was nach "Familie" und "Senioren" kam. Dann habe ich etwas flapsig "Familie, Senioren und das übrige Gedöns" gesagt. Daraus haben mir viele Journalisten dann einen Strick gedreht, weil sie zu Unrecht so taten, als hätte ich Gedöns auf die Frauen bezogen. Aber darum ging es mir natürlich überhaupt nicht, mir wollte nur der vollständige Name partout nicht einfallen.

Bevor Sie Kanzler wurden, waren Sie viele Jahre Ministerpräsident. Olaf Scholz ist ebenfalls seit Langem in politischen Spitzenpositionen. Trotzdem ist Kanzlersein eine ganz besondere Belastung, oder?

Das Tolle an dem Amt ist, dass man wirklich Dinge entscheiden kann. Und zwar viele. Der Bundeskanzler ist ja nicht nur für Innenpolitik zuständig, sondern muss – bei allem Respekt vor dem jeweiligen Außenminister – neben der Europapolitik auch die ganze Welt im Blick haben. Das ist schon eine andere Dimension, als Ministerpräsident eines großen Bundeslandes oder Bundesfinanzminister zu sein.

Und weil mir das mit Blick auf die Außenpolitik wirklich wichtig ist: Ein bisschen mehr Sensibilität in internationalen Fragen, als die Grünen derzeit an den Tag legen, braucht es schon. Wenn man mit China Weltklimapolitik machen will, kann man das Land nicht jeden zweiten Tag – aus welchen Gründen auch immer – in den Senkel stellen. In anderen Ländern nach dem Motto "Am grünen Wesen soll die Welt genesen" aufzutreten, wird definitiv nicht funktionieren. Das kann ich auf jeden Fall schon jetzt vorhersagen.

Der Job des Außenministers ist hart, der des Kanzlers noch härter. Wie hält man das eigentlich physisch und psychisch aus?

Physisch braucht man eine sehr ordentliche Gesundheit, muss extrem robust sein. Sonst kann man dieses Amt wirklich nicht machen. Ein Arbeitstag hat in der Regel bis zu 15 Stunden, zwar nicht immer unter Volldampf, aber manchmal dauern die Tage auch länger. Und als Kanzler hat man nie frei, muss auch am Wochenende ständig präsent sein. Es gibt also wenig Möglichkeiten zum Entspannen, kaum Zeit für die Familie und die Pflege von Freundschaften.

Und psychisch muss man so intakt sein, dass man Belastungen ebenfalls gut aushält. Sei es, dass man wieder ein Interview von irgendeinem Minister liest und denkt "Um Gottes Willen, was ist da denn schon wieder los?" Oder seien es die ständigen Auseinandersetzungen etwa in der Partei oder der Koalition. Und dann ist da natürlich noch die permanente Kritik durch die Medien. Da braucht es gelegentlich auch die Fähigkeit, diese Kritik nicht ernst zu nehmen, sondern einfach zu verdrängen.

Was sind neben physischer Robustheit und psychischer Belastbarkeit zentrale Fähigkeiten, die ein Kanzler noch braucht?

Das Wichtigste ist: Sie dürfen keine Angst vor Entscheidungen haben. Als Kanzler hat man die politische Richtlinienkompetenz, ist also letztlich für alles verantwortlich. Klar, man hat gute Leute um sich, gute Minister und so weiter. Aber am Ende muss man allein "Ja" oder "Nein" sagen.


Gerhard Schröder war von 1998 bis 2005 Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. An der Spitze einer rot-grünen Bundesregierung setzte er damals unter anderem umfassende Sozialreformen (Hartz-Gesetze) durch. Der 77-Jährige arbeitet heute als Rechtsanwalt in Hannover, wo er mit seiner Frau, der südkoreanischen Wirtschaftsexpertin Soyeon Schröder-Kim, lebt. Außerdem ist er Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Energiekonzerns Rosneft und der Pipeline Nord Stream.

Bringt Olaf Scholz all die von Ihnen genannten Qualitäten mit?

Mit Sicherheit, da habe ich überhaupt keine Bedenken. Seine besonderen Fähigkeiten hat er mehrfach bewiesen. Etwa, weil er als Arbeitsminister das Kurzarbeitergeld als wichtiges Instrument im Kampf gegen Wirtschaftskrisen etabliert hat. Auch aus seiner Zeit als Hamburgs Erster Bürgermeister kann er eine Menge vorweisen. Dass die Elbphilharmonie heute keine Ruine ist, ist auch sein Verdienst. Und was die physische und psychische Robustheit angeht: Ohne die wäre Olaf Scholz nicht so weit gekommen. Zumal er sich auch nicht von Niederlagen, etwa beim SPD-Vorsitz, hat erschüttern lassen. Das gehört in der Politik eben auch dazu: aufstehen und weitermachen.

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Ihre rot-grüne Regierung hatte damals einen ziemlich holprigen Start, auch bei der Ampel hat es zuletzt geknirscht. Befürchten Sie einen Fehlstart?

Nein, überhaupt nicht. Und mal ehrlich: Überall wird über einen angeblichen Fehlstart der Ampel geredet, aber sie ist noch gar nicht im Amt. Geben wir SPD, Grünen und FDP doch erst einmal die Chance zu starten. Dann können wir immer noch gucken, ob der Start geglückt ist oder nicht.

Nun ja, das Corona-Management der Ampel in den vergangenen Wochen war nicht ganz so überzeugend.

Aber das Corona-Management ist doch Aufgabe der amtierenden Regierung gewesen – und nicht von Olaf Scholz.

Olaf Scholz ist doch Teil der alten Regierung.

Aber er ist ja weder Kanzler noch Gesundheitsminister noch Ministerpräsident. Da finde ich es ziemlich merkwürdig, ihm das Chaos in die Schuhe schieben zu wollen.

Wie lange wird die Ampelkoalition halten?

In den nächsten vier Jahren werden viele schwierige Fragen auf die Koalitionäre zukommen. Ich erinnere nur an die Diskussion auf EU-Ebene darüber, ob die Atomenergie als nachhaltige Investitionsform anerkannt werden soll. Frankreich ist dafür, wir dagegen. Aber es wird einen Kompromiss geben müssen.

Man kann alles in Koalitionsverträge schreiben. Aber die eigentlichen Belastungstests für eine Regierung kommen durch Krisen, die niemand antizipiert hat …

… genauso ist es!

Und was folgt daraus?

Wenn eine unerwartete Krise aufkommt, gilt es Ruhe zu bewahren und zu schauen, mit welchen Mitteln sie zu lösen ist. Trotzdem sollte man sich nicht vor Entscheidungen drücken, so hart sie auch sein mögen. Ich hätte mir deshalb gewünscht, dass wir viel früher über eine Impfpflicht diskutiert hätten. Dann wäre uns die aktuelle Situation erspart geblieben. Aber für mich gibt es noch eine viel wichtigere Lehre aus der Tatsache, dass immer Krisen auftauchen, die in keinem noch so schön formulierten Koalitionsvertrag vorkommen.

Und zwar?

Schon allein deshalb sollte man es tunlichst vermeiden, auch noch irgendwelche Krisen selbst herbeizureden. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Wenn ich mir die Chinapolitik angucke, ist deshalb auch die nächste Regierung gut beraten, das zu machen, was alle ihre Vorgänger getan haben, also ein gutes Verhältnis zu diesem auch ökonomisch und politisch so wichtigen Land zu pflegen. Das gilt auch für die Beziehungen zu Russland, der Türkei und Saudi-Arabien. Auch da wird es nicht gelingen, unseren Maßstab auch zu ihrem zu machen.

Das klingt, als würden Sie einen kritiklosen Umgang mit autoritären Regimen empfehlen.

Nein, wir dürfen nicht unsere eigenen Wertvorstellungen preisgeben. Es geht nicht um einen kritiklosen Dialog, den brauchen wir weiterhin. Aber wir sollten auch nicht hochnäsig dozierend daherkommen und politisch die Isolierung dieser Staaten anstreben. Aus einem ganz simplen Grund: So erreichen wir rein gar nichts. China und Russland sind ständige Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates, die kann man nicht isolieren. Eine moralisierende Außenpolitik wird nichts bewirken.

Als Angela Merkel am 22. November 2005 von Ihnen das Kanzleramt übernommen hatte und in ihr neues Büro kam, stand dort zur ihrer Überraschung und Freude ein Kuchen. Haben Sie einen Tipp, was Olaf Scholz dort vorfinden wird?

Leider nein. Aber ich bin absolut sicher, dass der Kanzlerin schon etwas Nettes einfallen wird. Angela Merkel hat ja einen wirklich feinen Humor. Das wurde in den vergangenen 16 Jahren leider immer etwas zu wenig zur Kenntnis genommen.

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