UN-Generalsekretär zu Afghanistan "Entsetzliche Berichte" über Behandlung von Mädchen und Frauen
UN-Generalsekretär António Guterres hat sich schockiert über die Situation in Afghanistan gezeigt. Er sprach von schweren Menschenrechtsverletzungen, vor allem gegen Frauen.
Die radikalislamischen Taliban begehen in den von ihnen kontrollierten Regionen in Afghanistan nach UN-Informationen schwere Menschenrechtsverletzungen. Betroffen seien "ersten Anhaltspunkten zufolge" vor allem Frauen und Journalisten, sagte UN-Generalsekretär António Guterres am Freitag vor Journalisten.
"Besonders entsetzlich und herzzerreißend" sei es, "Berichte zu sehen, wonach den afghanischen Mädchen und Frauen ihre hart erkämpften Rechte entrissen werden", sagte Guterres. "Angriffe auf Zivilisten sind eine schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts und sind gleichbedeutend mit Kriegsverbrechen", betonte er weiter.
Kanada will Flüchtlinge aufnehmen
Kanada hat der Aufnahme von bis zu 20.000 Flüchtlingen aus Afghanistan zugesagt. "Die Lage in Afghanistan ist herzzerreißend und Kanada wird nicht tatenlos zusehen", sagte Einwanderungsminister Marco Mendicino am Freitag (Ortszeit) bei einer Pressekonferenz in Ottawa. Kanada wolle "besonders verletzliche" Afghanen aufnehmen, die sich noch im Land aufhielten oder in Nachbarländer geflohen seien.
Seehofer bietet Visa-Erleichterung an
Bundesinnenminister Horst Seehofer will die Einreise afghanischer Ortskräfte erleichtern und ihre Identität notfalls erst auf deutschem Boden überprüfen lassen. "Wenn die Klärung der Identität und die Erteilung der Visa in Afghanistan nicht möglich ist, kann sie in Deutschland durchgeführt werden", sagte der CSU-Politiker der "Süddeutschen Zeitung" (Samstag). "Wir sind für jedes Verfahren offen. Am Bundesinnenministerium scheitert keine Einreise von Ortskräften."
Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte am Freitag als Konsequenz auf den Vormarsch der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan eine Reduzierung des Botschaftspersonals in Kabul auf das "absolute Minimum" angekündigt. Für die Rückholaktion sollen zwei Flugzeuge gechartert werden, mit denen dann auch afghanische Ortskräfte nach Deutschland gebracht werden sollen, die für die Bundeswehr oder Bundesministerien tätig waren oder noch sind.
Der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, forderte eine "Luftbrücke" für die Ortskräfte. "Es ist unsere Pflicht, die Menschen vor den Taliban zu retten, die ihr Leben riskiert haben, um unseren Soldatinnen und Soldaten zu helfen. Das ist eine Frage von Treue. Wir dürfen sie nicht im Stich lassen, die Zeit läuft", sagte Habeck der "Süddeutschen Zeitung". Dabei müssten auch Menschen einbezogen werden, die über Firmen, also nicht direkt für die Bundeswehr oder andere deutsche Institutionen gearbeitet haben. In den Flugzeugen dürfe kein Platz leer bleiben, Visa sollten nach Ankunft erteilt werden, mahnte Habeck.
Pentagon: Taliban wollen Kabul isolieren
Zumindest die Hauptstadt scheint laut Ansicht der USA noch nicht kurz vor einer Einnahme zu stehen. Die Taliban versuchen nach Ansicht des US-Verteidigungsministeriums, Kabul mit ihrem jüngsten Vormarsch vom Rest des Landes abzuschneiden. Die afghanische Hauptstadt sei momentan aber nicht "unmittelbar bedroht", sagte der Sprecher des Pentagons, John Kirby, am Freitag. "Wenn man sich anguckt, was die Taliban zuletzt getan haben, kann man sehen, dass sie versuchen, Kabul zu isolieren", sagte Kirby. Welches Ziel sie damit verfolgten, sei eine Frage, die man den Taliban stellen müsse. Bisher hätten sie aber Provinzhauptstädte isoliert, um eine Aufgabe zu erzwingen und sie dann ohne viel Blutvergießen einzunehmen, sagte Kirby.
Die US-Regierung kündigte am Donnerstag an, rund 3.000 zusätzliche Soldatinnen und Soldaten an den Flughafen in Kabul zu verlegen. Sie sollen unter anderem die Reduzierung des Personals der US-Botschaft unterstützen. Zudem verlegen die USA bis zu 4.000 weitere Soldatinnen und Soldaten nach Kuwait und rund 1.000 nach Katar, um im Bedarfsfall als Verstärkung bereitzustehen. Der Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan soll aber weiterhin bis 31. August abgeschlossen werden.
US-Personal zerstört sensible Daten
Vor dem Hintergrund des Vorrückens der radikalislamischen Taliban hat die US-Botschaft in Kabul ihr Personal zur Zerstörung sensiblen Materials aufgefordert. In einem Vermerk an die Botschaftsmitarbeiter verwies ein Gebäudetechniker sie am Freitag auf die bestehenden Möglichkeiten zur Verbrennung oder Entsorgung von Dokumenten und Gerätschaften verwiesen. Zerstört werden sollten demnach alle Gegenstände, die von den Taliban für ihre Propaganda "missbraucht werden könnten".
Als Beispiele für zu entsorgende Gegenstände wurden in dem Vermerk Produkte genannt, die das Logo der Botschaft oder von US-Behörden tragen, aber auch US-Flaggen.
Röttgen: Bundeswehr wieder nach Afghanistan schicken
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), fordert ein Einschreiten des Westens und der Bundeswehr gegen die in Afghanistan vorrückende Taliban. "Man darf nicht dabei zuschauen, wie Menschen, die uns lange verbunden waren, von den Taliban abgeschlachtet werden, wie Mädchen und Frauen alle hart erkämpften Rechte wieder verlieren", sagte Röttgen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (Samstagsausgaben).
Tatenlosigkeit angesichts des Taliban-Vormarschs "wäre eine massive Selbstbeschädigung unserer Glaubwürdigkeit", warnte Röttgen. "Nach 20 Jahren Einsatz zu sagen, das sei eine afghanische Angelegenheit, ist wirklich absurd und beschämend", fügte der CDU-Politiker hinzu. Es gehe nicht darum, aus Afghanistan eine moderne Demokratie zu machen.
- Nachrichtenagenturen dpa und afp