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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wahl in Sachsen-Anhalt Für sie steht jetzt die Zukunft auf dem Spiel
Es ist nur eine Landtagswahl – und doch geht es um viel mehr: Denn die drei Kanzlerkandidaten brauchen alle dringend Rückenwind. Und ob der ausgerechnet aus Magdeburg kommt, ist fraglich.
Am Sonntag ab 18 Uhr wird im politischen Berlin mal wieder ein gut eingeübtes Schauspiel aufgeführt. Alle Parteien werden dann zu erklären versuchen, warum ihr Ergebnis bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wahlweise ein starkes Signal für die Bundestagswahl sei – oder aber warum ihr Ergebnis diesmal so überhaupt nichts für den Herbst zu bedeuten habe.
Welche Erklärung sie bemühen, hängt dabei allein daran, ob ihr Ergebnis gut oder schlecht ausgefallen ist – und zwar gemessen an den vorher selbst definierten Erwartungen.
Was Politiker in den ersten zwölf Stunden nach einer Wahl sagen, sollte man also nicht zu ernst nehmen. Stattdessen helfen zur Einordnung des Wahlsonntags zwei Wahrheiten weiter:
Erstens: Wenn im zehntgrößten Bundesland mit 2,2 Millionen Einwohnern gewählt wird, ist das zunächst einmal eine wichtige Entscheidung für Sachsen-Anhalt – und keine Vorentscheidung für die Bundestagswahl der 83 Millionen Deutschen.
Aber, zweitens: Natürlich wirkt sich der Bundestrend der Parteien auf das Ergebnis einer Landtagswahl aus. Deshalb ist es definitiv eine schlechte Nachricht für die Bundestagswahl, wenn eine Partei unter den eigenen Erwartungen bleibt. Das gilt ganz besonders für die drei Parteien, die den Anspruch haben, die nächste Kanzlerin oder den nächsten Kanzler zu stellen.
CDU
Ob Armin Laschet ein Problem bekommt, wird sich am Samstagabend an zwei Zahlen zeigen. Die eine Zahl ist das Abschneiden der AfD, die andere der Wert, den die CDU in Sachsen-Anhalt erreicht. Solange der Wert der CDU vor der AfD liegt, ist für Laschet alles in Ordnung. Es wird die Rede davon sein, dass die "Brandmauer gegen Rechts" gehalten habe, und sei es nur mit einem Punkt Vorsprung.
Ein echtes Problem bekommt Laschet, wenn die AfD stärker als die CDU wird. Die Rechtspopulisten als Wahlsieger, es wäre die fatalste Botschaft des Abends für Laschet und die Wahlkampfstrategen im Konrad-Adenauer-Haus. Der Vorwurf: Die CDU hat zu wenig dem Populismus der extremen Kräfte entgegenzusetzen, natürlich fällt das auch auf den Kanzlerkandidaten zurück. Es wäre eine Kapitulation vor dem rechten Rand.
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Der Parteichef würde dann unter Druck geraten, auch ihm würde die Niederlage vorgeworfen werden. Für diesen Fall, so heißt es intern bei der CDU, wäre es sogar denkbar, dass noch mal über die Frage der Kanzlerkandidatur verhandelt wird. Ein Mann aus München stünde dazu wohl bereit.
SPD – Wird's bald unfreiwillig komisch?
In der SPD heißt es schon mal vorsorglich: Für die Bundestagswahl werde man aus dem Ergebnis in Sachsen-Anhalt nicht viel ableiten können, zumindest für die Sozialdemokraten. Das ist eine taktisch kluge Interpretation, denn die SPD steht dort in Umfragen mit rund 10 Prozent noch schlechter da als im Bund, wo sie immerhin noch rund 15 Prozent hat.
Auf 10,6 Prozent kam die Partei auch bei der vergangenen Landtagswahl 2016. Wäre das also ein akzeptables Ergebnis? Dafür muss man wissen, dass die Geschichte der SPD in Sachsen-Anhalt eine Geschichte des Niedergangs ist. Nach der Wende stellten die Sozialdemokraten von 1994 bis 2002 mit Reinhard Höppner den Ministerpräsidenten und erreichten bei Wahlen noch rund 35 Prozent. Selbst im Jahr 2011 lag die SPD noch bei 21,5 Prozent. Doch dann kam die AfD und wirbelte die Parteienlandschaft durcheinander.
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Ehemalige SPD-Wähler dürfte es in Sachsen-Anhalt also noch reichlich geben. Wenn auch eine SPD-Bundesspitze sie trotz vieler Wahlkampfauftritte nicht mehr mobilisieren kann, dann wäre das für Kanzlerkandidat Olaf Scholz keine gute Nachricht. Dabei bräuchte gerade er einen Erfolg, damit Dynamik in die Umfragen kommt und sein Anspruch aufs Kanzleramt nicht irgendwann unfreiwillig komisch wirkt.
Grüne – Die Nagelprobe
Für die Grünen ist der Osten Deutschlands ein traditionell schwieriges Pflaster. In Sachsen-Anhalt waren sie seit der Wende überhaupt nur 18 von 31 Jahren im Landtag vertreten. Nachdem sie 2011 mit 7,1 Prozent ihr bestes Ergebnis erzielt hatten, sind sie seit 2016 nur noch mit 5,2 Prozent im Landtag vertreten.
Die Umfragen deuten nun an, dass eine Verdopplung auf rund 10 Prozent möglich wäre. Das ist auch zumindest das inoffizielle Ziel. Im Wahlkampf sprechen die Grünen in Sachsen-Anhalt fast ausschließlich vom Kampf gegen Rechts und die Klimakrise. Eine durchaus mutige Themenwahl in einem Land, in dem die Wende und der Kohle-Strukturwandel Zigtausende Jobs gekostet haben.
Sollte den Grünen damit allerdings die Zweistelligkeit gelingen, wäre das eine gute Nachricht für Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock – gewissermaßen die Nagelprobe. Denn auch ihr Wahlkampf basiert auf der Wette, dass die Deutschen bereit sind, einige Härten auf sich zu nehmen, um die Klimakrise zu bekämpfen. Sollten die Grünen das Ziel allerdings deutlich verfehlen, wäre es ein weiterer Rückschlag für die Kanzlerkandidatin, die in den vergangenen Wochen davon mehrere erlebt hat als ihr lieb sein kann.
- Eigene Recherchen in Berlin und Sachsen-Anhalt