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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Anton Hofreiter "Man sollte nicht versuchen, die Menschen für dumm zu verkaufen"
Die große Koalition bessert beim Klimaschutz nach. Doch selbst das reiche nicht aus, sagt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Und erklärt, womit die Menschen bei den Grünen rechnen müssten.
t-online: Herr Hofreiter, die große Koalition schärft bei ihren Klimaschutzzielen nach. Die Emissionen sollen bis 2030 nun unter anderem um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken – und nicht mehr nur um 55 Prozent. Das müsste doch eigentlich in Ihrem Sinne sein.
Anton Hofreiter: Die Pläne von Union und SPD gehen zwar in die richtige Richtung und dennoch sind sie politisch enttäuschend.
Wieso?
Weil die Koalitionspartner zum einen angesichts der verschärften EU-Ziele und durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu gezwungen sind. Da ist mal wieder keine eigene Ambition erkennbar. Es reicht vorne und hinten nicht.
Was fehlt Ihnen?
Wir müssten die Emissionen bis 2030 deutlicher senken: um 70 Prozent. Was mir aber noch mehr fehlt, sind die konkreten Maßnahmen, wie reduziert werden soll. Ziele sind wichtig, aber dadurch wird kein Gramm CO2 eingespart. Ein paar vage Eckpunkte reichen da einfach nicht. Union und SPD kommen mir wie Schüler vor, die überall Einsen haben wollen, aber weder lernen noch Hausaufgaben machen, sondern fünf Minuten vor Unterrichtsbeginn schnell was abschreiben. Das kann nicht funktionieren.
Warum gibt es Ihrer Meinung nach denn so wenige konkrete Maßnahmen?
Weil beide Parteien dann Farbe bekennen müssten: Die Union, was den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien angeht. Und die SPD im Hinblick auf einen früheren Kohleausstieg und die Erhöhung des CO2-Preises. Ambitionierter Klimaschutz funktioniert nicht mit ideologischer Rosinenpickerei.
Gehen wir die Punkte, die es für mehr Klimaschutz braucht, mal im Einzelnen durch: Bis wann muss aus Ihrer Sicht der Kohleausstieg kommen?
Bis 2030, das ist unabdingbar für die Reduktionspläne. Olaf Scholz und Armin Laschet drücken sich um diese zentrale Frage herum.
Union und SPD sind bei der Kohle auch deshalb vorsichtig, weil sie fürchten, dass Zehntausende Menschen arbeitslos werden – und der AfD nichts Besseres passieren kann.
Die Kohleregionen haben ein Strukturstärkungspaket in Milliardenhöhe bekommen, dem wir Grüne im Bundestag auch zugestimmt haben. Aber indem man den Menschen unhaltbare Versprechungen macht, stärkt man doch die AfD. Man sollte nicht versuchen, die Menschen für dumm zu verkaufen.
Sondern?
Es ist ehrlicher, ihnen zu sagen: Die Kohle hat keine Zukunft. Deshalb bauen wir jetzt etwas Zukunftsträchtiges auf und unterstützen euch bei dem Wandel. Allein der Erneuerbare Sektor schafft ein Vielfaches der Arbeitsplätze, dazu kommen neue Jobs in der Wasserstoff-Industrie, bei der Batterieherstellung, bei der Gebäudesanierung. Der Klimaschutz ist ein riesiges Jobprogramm. Entscheidend ist, dass wir allen Beschäftigten helfen, den Umstieg zu schaffen und dass wir für gute Arbeitsbedingungen in den neuen Sektoren sorgen.
Welche klimaschädlichen Subventionen können ab sofort weg?
Bei der niedrigeren Besteuerung von Diesel lässt sich schnell etwas machen, die Reform des Dienstwagenprivilegs ebenfalls. Beim Kerosin ist es deutlich komplizierter, weil es viele internationale Abkommen gibt.
Das heißt: Wenn die Grünen mitregieren, wird Diesel deutlich teurer?
Die gigantische Herausforderung des Klimaschutzes wird nicht gelingen, wenn alles so bleibt, wie es ist. Entscheidend ist die Mischung: Das reicht von schärferen Vorschriften über die Förderung von emissionsfreien Fahrzeugen bis zum Ausbau von Bus und Bahn.
Das Problem bei der Bahn ist aber, dass große Infrastrukturprojekte von der Idee bis zur Umsetzung oft mehr als eine Generation brauchen. Wie wollen Sie das ändern?
Wir müssen vor allem das komplexe Planungsrecht vereinfachen, die Verfahren müssen zusammengefasst und gestrafft werden. Eine umfassende und ernsthafte Bürgerbeteiligung sollte gleich an den Anfang der Verfahren, dann braucht es raschere Genehmigungen durch mehr Personal in den Planungsbehörden, und eine Beschleunigung der Bauphase, indem das Geld mittels eines Fonds flexibel abgerufen werden kann.
Und was ist mit der Fliegerei? Wollen Sie die verbieten oder nur teurer machen?
Beides trifft nicht den Kern.
Das glaubt Ihnen doch niemand.
Es ist aber so. Inlandsflüge wollen wir mit einem besseren und schnelleren Bahnangebot überflüssig machen. Auf der Mittelstrecke in Europa sind in einigen Jahren Wasserstoffflugzeuge auf dem Markt. Und für die Langstrecke braucht es synthetische Kraftstoffe.
Wie wollen Sie denn den Ausbau der Erneuerbaren beschleunigen? Durch geringere Abstände von Windrädern zu den Häusern?
Die Abstandsregeln, die etwa Bayern vorschreibt, verhindern den Ausbau definitiv. Das ist ein Angriff auf die Versorgungssicherheit und die Zukunft unseres Industriestandortes.
Wie nah dran ist in Ordnung?
Der notwendige Abstand sollte etwa vom Geräuschpegel abhängig gemacht werden, das wird bei jeder Genehmigung bereits geprüft.
Das reicht dann?
Entscheidend ist, dass alle Länder zwei Prozent ihrer Fläche für Windparks zur Verfügung stellen. Und auch hier müssen die Verfahren gestrafft werden. Der Ausbau der Windenergie muss von Anfang an naturverträglich beschleunigt und der Artenschutz gleichzeitig gesichert werden, dabei hilft es nicht, wenn ein Vogelgutachten nach dem anderen gemacht wird.
Muss man nicht auch mit neuen Stromleitungen leben lernen?
Natürlich brauchen wir die. Auch hier gilt: Bürger früher beteiligen, schneller planen, rascher bauen.
Ein Streitpunkt ist immer der CO2-Preis in den Bereichen Verkehr und Wohnen, weil die Menschen den direkt spüren. Bisher liegt der Einstiegspreis bei 25 Euro. Wie hoch müsste er aus Ihrer Sicht sein, und wie stark soll er mit der Zeit ansteigen?
Wir setzen uns für eine Erhöhung auf 60 Euro pro Tonne CO2 ab 2023 ein.
Nach aktuellen Plänen steigt er erst nach 2025 auf diesen Betrag an. Welches Plus sehen Sie denn für die nächsten Jahre vor?
Wie der Preis ansteigt, hängt davon ab, was wir sonst noch erreichen. Ein CO2-Preis allein ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg.
Das müssen Sie konkretisieren.
Je schneller es uns gelingt, Bus und Bahn auszubauen und mehr E-Autos auf die Straße zu bringen, desto weniger stark muss der Preis steigen, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Deshalb muss eine Erhöhung des CO2-Preises eben eingebettet sein. Schärferes Ordnungsrecht, das die Autokonzerne dazu bringt, noch schneller E-Autos auf den Markt zu bringen in allen Segmenten. Und eine Investitionsoffensive für die Alternativen. Klar ist: Wir wollen mit dem CO2-Preis ja kein Geld damit machen, sondern den CO2-Ausstoß reduzieren. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung geben wir den Bürgern komplett zurück.
Wie?
Wir haben bereits durchgesetzt, dass mit den Mehreinnahmen die EEG-Umlage gesenkt wird. Im nächsten Schritt wollen wir einen Fonds für Menschen mit niedrigen Einkommen einrichten, die beim Umstieg auf erneuerbare Heizungen oder Autos Unterstützung brauchen. Und wir wollen jedem Bürger ein Energiegeld auszahlen.
Wie hoch wäre das bei einem CO2-Preis von 60 Euro?
Das wären pro Kopf im Jahr etwa 75 Euro. Eine vierköpfige Familie bekäme also rund 300 Euro. Das Gute daran ist: Wer klimaschonender lebt und weniger CO2 verbraucht, profitiert stärker vom Energiegeld und hat im Zweifel mehr als heute.
Viele würden aber doch auch draufzahlen. Wie viel Mehrkosten hätte eine durchschnittliche Familie auf dem Land angesichts der höheren Ausgaben für Heizung und Benzin?
Das lässt sich so pauschal kaum sagen. Das hängt ja schon davon ab, wie viel das Auto verbraucht. Und wie modern Heizung und Dämmung des Hauses sind. Sowohl für den Umstieg auf E-Autos als auch für neue Heizungen und mehr Dämmung muss es deshalb großzügige staatliche Förderprogramme geben.
Ein Normalverdiener, der auf dem Land lebt und mit dem Auto zur Arbeit pendeln muss, wird aber doch mehr belastet als ein Normalverdiener, der in der Stadt mit der U-Bahn fahren kann. Machen Sie nicht Politik für urbane Gutverdiener?
Nein, weil niemand über Gebühr belastet wird. Wir haben uns zu genau dieser sozialen Frage seit Jahren zusammen mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und Kommunalpolitikern Gedanken gemacht. Und genau deshalb schlagen wir ein sehr ambitioniertes Programm vor, das den Klimaschutz sozial gestaltet.
Allerdings schreiben Sie in Ihrem Wahlprogramm, dass ein CO2-Preis von 180 Euro zu "erheblichen sozialen Unwuchten" führen würde. Komplett egal ist die Höhe des Preises ja dann nicht für die Frage, wer hart getroffen wird und wer nicht.
Natürlich nicht. Unsere Antwort ist: ein moderater Anstieg, also keine 180, sondern 60 Euro beim CO2-Preis, ergänzt um umfassende Hilfen, Investitionen und ordnungsrechtliche Vorgaben.
Aber es ja trotzdem unbestritten eine Maßnahme, die Auswirkungen hat. Es wird Menschen geben, die erst mal mehr zahlen als heute.
Daher ist es ja so wichtig, von Anfang an die Umstellung sozial gerecht auszugestalten. Und wir müssen uns doch klar machen, wofür wir all das tun: Der Sinn des Ganzen ist es, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Weil wir sonst unsere Lebensgrundlagen zerstören. Die jungen Menschen haben das begriffen und fordern das zu Recht ein. Das Bundesverfassungsgericht auch. Es bringt uns keinen Schritt weiter, jetzt zu polarisieren, das Soziale gegen Klimaschutz auszuspielen. Es ist jetzt die politische Aufgabe, Lösungen hinzubekommen, die der Herausforderung angemessen sind.
So weit, so klar. Wir versuchen nur, die Folgen durchzubuchstabieren, die dann ja doch irgendwann beim Einzelnen ankommen.
Man kann die Klimakrise nicht bekämpfen, ohne dass sich für die Menschen irgendwo etwas ändert. Deshalb sollte man den Menschen auch nicht Falsches versprechen. Klimakrise bekämpfen heißt: Wir hören auf, Kohle zu verbrennen, also ändert sich für die dortigen Beschäftigten etwas. Klimakrise heißt: Wir hören auf, Benzin und Diesel zu verbrennen. Also muss es mehr Bus und Bahn und Elektroautos geben.
Ein Thema können wir Ihnen nicht ersparen: Der Fall Boris Palmer ist in den grünen Wahlkampf geplatzt. Muss eine Partei jemanden wie den Tübinger Oberbürgermeister aushalten?
Am Wochenende wurde dazu in aller Deutlichkeit und Klarheit alles gesagt. Der Landesparteitag Baden-Württemberg hat mit großer Mehrheit den Beginn des Ausschlussverfahrens beschlossen und das nimmt nun seinen Gang.
Er sagt, dass seine jüngste umstrittene Äußerung eine "pädagogische Satire" sein sollte, mit der er auf die aus seiner Sicht konstruierten Rassismusvorwürfe aufmerksam machen wollte. Glauben Sie ihm das?
Da will ich nicht herumspekulieren. Er hat sich mehrmals ausgrenzend und rassistisch geäußert, und wer das tut, muss mit den Konsequenzen leben. Wir müssen einen zivilisierten Umgang miteinander, der ohne Hass und Hetze auskommt, verteidigen.
Sollte er sich entschuldigen?
Ja.
Sie sagen es selbst, es sind nicht die ersten Vorwürfe: Hätten die Grünen früher auf ein geregeltes Verfahren setzen sollen, das ja auch Boris Palmer nun begrüßt hat?
Ein Ausschlussverfahren muss immer das letzte Mittel sein. Aber jetzt ist dieser Weg der richtige.
- Gespräch mit Anton Hofreiter per Videotelefonie