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Corona-Fallzahlen in Städten: Wie Geld bestimmt, wer sich infiziert


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Fallzahlen in deutschen Städten
Wie das Geld bestimmt, wer sich mit Corona infiziert


Aktualisiert am 28.04.2021Lesedauer: 6 Min.
Straße in der Hamburger Innenstadt: Gerade in der Hansestadt zeigt sich eine deutliche Corona-Kluft zwischen reichen und ärmeren Stadtteilen.Vergrößern des Bildes
Straße in der Hamburger Innenstadt: Gerade in der Hansestadt zeigt sich eine deutliche Corona-Kluft zwischen reichen und ärmeren Stadtteilen. (Quelle: Hanno Bode/imago-images-bilder)
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Lange war es nur eine Vermutung, jetzt zeigen Daten aus mehreren Städten: In Brennpunktvierteln kommt es zu viel mehr Infektionen als in wohlhabenden Gegenden. Ein Soziologe erklärt, warum. Erste Städte wollen gezielter impfen.

"Armut macht krank" – das gilt bereits für viele Krankheiten in Deutschland. Vor einer hohen Gefährdung von Menschen mit niedrigem Einkommen warnen Experten auch in der Corona-Krise seit Langem. Doch die Datenlage ist bisher schwach, die zu untersuchenden Faktoren sind divers, Langzeitbetrachtungen vonnöten. Jetzt liegen in mehreren Städten Daten vor, die einen Zusammenhang zwischen Wohnort, sozioökonomischen Einflüssen und der Infektionsrate belegen oder zumindest nahelegen.

"Die Zahlen aus Städten wie Bremen, Hamburg, Berlin, Köln decken sich mit denen, die wir in vielen Studien weltweit sehen: Regionen mit vielen Einwohnern, die wenig verdienen, haben konsistent höhere Infektionszahlen", sagt Nico Dragano, Professor für Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Düsseldorf, im Gespräch mit t-online. "Das fügt sich in ein Bild, das immer konkreter wird."

Hamburg: Ruhige Villenviertel, hart betroffene Brennpunkte

Besonders aussagekräftig sind die Zahlen aus Hamburg. Hier hat die zuständige Sozialbehörde auf Anfrage des NDR die Corona-Fälle in der gesamten Corona-Krise von Februar 2020 bis März 2021 in Bezug auf die unterschiedlichen Stadtteile geliefert. Das Ergebnis: Wirtschaftlich schwächere Stadtteile verbuchen besonders hohe Infektionszahlen, die Villenviertel bleiben im Vergleich stärker verschont. Wo sich die Menschen anstecken, lässt sich dabei nicht sagen. Die Zahlen richten sich nach den Wohnorten der Infizierten.

So leuchtet der Stadtteil Veddel in Hamburg-Mitte mit 8.000 Infektionen pro 100.000 Einwohnern dunkelrot auf – es ist die höchste Jahresinzidenz der Hansestadt überhaupt, bedingt auch durch einen Ausbruch an einer Schule. Dicht darauf folgen Stadtteile wie Wilhelmsburg mit einer Jahresinzidenz von 5.700, Harburg mit einem Wert von 4.668 oder Billstedt mit 4.910 Infektionen gerechnet auf 100.000 Einwohner und Jahr.

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Auffällig: In den dunkelrot gefärbten Stadtteilen ist das Einkommen der Bewohner besonders niedrig. Das Jahreseinkommen lag dort Auswertungen des Hamburger Statistikamts aus dem Jahr 2013 zufolge nur bei rund 20.000 Euro pro Steuerpflichtigem. Der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund liegt hier zum Teil weit über dem Hamburger Durchschnitt.

Anders sehen die Infektionszahlen in den Vierteln aus, wo man wesentlich besser verdient: Im Villenviertel Blankenese (Jahreseinkommen pro Kopf: 117.000 Euro) liegt die Jahresinzidenz nur bei 1.460. Hamburgs reichstes Viertel Nienstedten (Einkommen pro Kopf: 120.000 Euro) verzeichnet 2.479 Infektionen gerechnet auf 100.000 Einwohner.

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Bedeutet: In Stadtteilen mit geringem Einkommen steckten sich zum Teil bis zu sechs Mal mehr Bewohner an als in Stadtteilen, in denen die Bewohner mehr Geld haben. Eine Anfrage von t-online zu den Gründen dieser Entwicklung ließ die Hamburger Sozialbehörde am Dienstag unbeantwortet.

Bremen: Die dritte Welle trifft einkommensschwache Viertel hart

Ähnlich wie in Hamburg sieht es derzeit in Bremen aus. Hier liegt noch keine Jahresauswertung vor, die Stadtteil-Daten werden stattdessen alle zwei Wochen veröffentlicht – gerechnet auf nur 1.000 Einwohner. Aktuell an der Spitze der Infektionstabelle: Blumenthal (3,52 Fälle pro 1.000 Einwohner), Gröpelingen (3,38), Huchting (3,13) und Walle (3,18). In Horn-Lehe und Schwachhausen, den einkommensstärksten Teilen der Stadt, liegen die Werte hingegen nur bei 1,05 und 1,7.

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Die Bremer Sozialbehörde hat die Entwicklung bereits genau im Blick. Mit Stadtteilen wie Blumenthal, Huchting und Gröpelingen seien Viertel besonders betroffen, die "strukturell und sozioökonomisch besonders benachteiligt sind", teilt ein Sprecher der Behörde auf Nachfrage von t-online mit. Sie zeichneten sich unter anderem durch ein unterdurchschnittliches Haushaltseinkommen, eine sehr hohe Wohnraumdichte und einen hohen Anteil an prekärer Beschäftigung aus.

"Wir haben diese Entwicklung bereits in der zweiten Welle gesehen", heißt es aus dem Amt weiter. "In der aktuellen, dritten Welle gibt es diese Entwicklung seit rund drei Wochen erneut."

Köln: Inzidenzen von über 300 in ärmeren Veedeln

Andere Städte haben erst später mit der Publikation so detaillierter Analysen begonnen – und zeigen ähnliche Tendenzen. In Köln sind derzeit unter anderem einkommensschwache Stadtteile wie Mülheim, Chorweiler, Kalk, Vingst oder Holweide besonders betroffen. Hier liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei über 200, zum Teil sogar bei weit über 300 Fällen pro 100.000 Einwohner und Woche.

Aussagekräftige Schlüsse könne man daraus aber noch nicht ziehen, warnt ein Sprecher der Stadt auf Nachfrage von t-online. Es fehlten langfristige Betrachtungen. Die Sieben-Tage-Inzidenzen könnten sich innerhalb kurzer Zeit deutlich unterscheiden. "Ein Stadtteil mit hoher, überdurchschnittlicher Inzidenz kann eine Woche später wieder deutlich niedriger liegen oder umgekehrt.“ Es brauche weitergehende Untersuchungen.

Auch in Kölns Nachbarstadt Düsseldorf gab es im vergangenen Jahr einem Bericht der "Neuen Ruhr Zeitung" zufolge deutlich höhere Infektionsraten in Stadtteilen mit geringem Durchschnittseinkommen: Oberbilk, Lierenfeld oder Flingern-Süd verzeichneten demnach über das Pandemiejahr mehr als 3.500 Infektionen gerechnet auf 100.000 Einwohner. Wohlhabendere Stadtteile wie Niederkassel und Carlstadt liegen bei knapp über 2.000 Fällen.

Was nicht gemessen wird, kann nicht bekämpft werden

Die unklare Datenlage ist für den medizinischen Soziologen Nico Dragano derzeit eines der größten Probleme in Deutschland. "Städte sollten das Problem erst einmal zur Kenntnis nehmen und messen", sagt er. "Die notwendigen Daten erheben noch bei Weitem nicht alle Gemeinden und Kreise." Erst dann könne man Auffälligkeiten aufzeigen, Probleme klären und vor Ort intervenieren.

Die Tendenzen, die erste Städte nun in ihren Daten zeigen und offen thematisieren, überraschen Dragano nicht. Sie bestätigen vielmehr seine Erwartungen und Ergebnisse internationaler Studien. Die genauen Gründe, warum besonders ärmere Viertel so betroffen sind, seien noch nicht vollständig bekannt. Klar sei aber schon jetzt: Ein ganzes Bündel an Faktoren habe Einfluss auf diese Entwicklung.

Weniger Platz, kaum Homeoffice, niedrige Bildung

"Menschen, die wenig Geld haben, leben oft mit mehreren Leuten in kleineren Wohnungen in engeren Stadtvierteln. Das erhöht das Infektionsrisiko", erklärt Dragano im Gespräch mit t-online. "Sie arbeiten außerdem öfters in einfachen, schlecht bezahlten Jobs, in denen sie häufiger in Präsenz arbeiten und viele Kontakte haben müssen." Das sei beispielsweise bei Produktionshelfern in den Werkhallen so, bei Busfahrern, aber auch bei Altenpflegekräften. Das Homeoffice stehe hingegen vor allem den akademischen Berufen offen.

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Und auch Gesundheitsbildung spiele eine Rolle – Menschen mit niedriger Bildung falle es zum Teil schwerer, Informationen zur Pandemie zu finden und zu verstehen.

Auch die Gefahr, schwer zu erkranken, ist für Ärmere viel höher

Die potentiellen Folgen sind nicht nur mit Blick auf die Zahl der Ansteckungen dramatisch. Draganos Team hat Krankenkassendaten ausgewertet und zieht daraus den Schluss: "Menschen mit geringem Einkommen haben auch ein wesentlich höheres Risiko, nach einer Infektion schwer zu erkranken." Wer Hartz IV bezieht, müsse doppelt so häufig mit einer Covid-19-Diagnose im Krankenhaus behandelt werden wie Normalbeschäftigte, so Dragano.

Hintergrund ist hier dem Soziologen zufolge vermutlich ein schlechterer Ausgangszustand: "Viele Langzeitarbeitslose haben Vorerkrankungen wie Herzprobleme, psychische Krankheiten, chronischer Stress, Übergewicht." Diese Faktoren machten einen schweren Verlauf wahrscheinlich.

Steht Deutschland ein bitteres Erwachen bevor? Am Ende aller Datenanalysen die Erkenntnis: Gerade die Ärmsten infizieren sich häufiger und sterben viel häufiger in dieser Pandemie, unbeachtet von Rest-Deutschland?

Hausärzte als wichtige Informationszentralen

Um das zu verhindern, fordert Dragano neben mehr Untersuchungen besonders in diesen Vierteln bei der Impfkampagne über die Hausärzte zu steuern. Die Hausärzte lassen sich zwar oft lieber und vermehrt in den wohlhabenderen Vierteln nieder, in einkommensschwachen Gegenden ist die Dichte der Praxen häufig nicht besonders hoch. Aber: "Viele Menschen mit wenig Geld sind wegen Vorerkrankungen ohnehin beim Hausarzt in Behandlung", sagt Dragano. Die Allgemeinmedizin sei zur Aufklärung und "unbürokratischen Hilfe" in ärmeren Stadtteilen deswegen ein guter Ort.

Außerdem sollten Städte die Impfungen in diesen Regionen intensivieren, schlägt Dragano vor. "Das kann durch eine Erhöhung der Impfdosen passieren, aber auch durch intensive Aufklärung." Sein einfacher Rat: "Wo es besonders viele Infektionen gibt, sollte man es den Leuten besonders leicht machen."

Köln will in armen Vierteln verstärkt impfen

Bremen und Köln sind bereits erste Schritte in diese Richtung gegangen. "Der Krisenstab der Stadt Köln spricht sich für ein Sonderkontingent von Impfdosen für Stadtteile mit einem hohen Infektionsrisiko aus", teilt die Pressestelle der Stadt t-online mit. In betroffenen Stadtteilen mit einer hohen Inzidenz solle ein "erweitertes Impfangebot" aufgebaut werden, um Personen "in besonderen Sozialstrukturen vorzeitig zu impfen". Hierzu befinde sich die Stadt in Gesprächen mit dem Land Nordrhein-Westfalen.

Die Sozialbehörde in Bremen hat nach eigener Aussage seit Anfang März Gesundheitsfachkräfte in die Quartiere vor Ort entsandt, die über Impfungen und Hygieneregeln informieren. Auch mit Kultureinrichtungen arbeite man zusammen, um breit zu informieren. "Gezielte Impfangebote in stärker betroffenen Stadtteilen werden bei uns diskutiert und von uns durchaus in Erwägung gezogen."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Professor Nico Dragano
  • Anfragen an den Hamburger Senat, die Bremer Sozialbehörde, die Stadt Köln
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