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Querdenker in Kassel: Radfahrerin blockierte verbotene Demo


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Radfahrerin blockierte verbotene Demo
"Ich wollte den Querdenkern nicht die Stadt überlassen"


Aktualisiert am 22.03.2021Lesedauer: 4 Min.
Einsatz in Kassel: Polzisten zerren die Radfahrerinenn und Radfahrer von der Straße und machen damit den Weg frei für die nicht erlaubte Demo der Querdenker-Szene.Vergrößern des Bildes
Einsatz in Kassel: Polzisten zerren die Radfahrerinenn und Radfahrer von der Straße und machen damit den Weg frei für die nicht erlaubte Demo der Querdenker-Szene. (Quelle: Screenshot; Julius Geiler/Tagesspiegel)

Verbotene Demo trifft auf Menschen, die sie stoppen wollen: In Kassel ging die Polizei dann gegen die vor, die sich den Querdenkern in den Weg stellten. Wie eine Frau mit Fahrrad aus Frust zur Aktivistin wurde – und jetzt noch enttäuschter ist.

Sich Querdenkern in den Weg zu stellen, dann von der Polizei aus dem Weg geräumt und zur "Antifa" erklärt zu werden: Am Samstagmorgen hätte sich das Kerstin Sobotzik nicht vorstellen können. Sie ist auf Videos zu sehen, die in wenigen Sekunden plakativ das Versagen des Staats bei der Demonstration zeigen: Polizei macht den Weg frei für nicht genehmigte Demonstrationszüge von verantwortungslosen Corona-Verharmlosern, und geht hart gegen die vor, die sich den sogenannten Querdenkern entgegenstellen.

Sobotzik musste erleben, wie plötzlich Polizisten angerannt kamen, einer mit Wucht gegen ihr Fahrrad trat und sie zur Seite zerrte. "Es war meine erste Begegnung mit der Polizei." Sie ist auf Videobildern zu sehen, sie möchte aber nicht, dass ihr richtiger Name in diesem Bericht auftaucht, weil sie Sorge vor Bedrohungen und Beleidigungen hat. t-online kennt ihren richtigen Namen, nennt sie deshalb aber hier Kerstin Sobotzik.

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Am Lutherplatz in Kassel brandet beim Polizeieinsatz Beifall auf: Querdenker applaudieren den Einsatzkräften dafür, dass sie für sie räumen. "Wenn der Umzug erlaubt gewesen wäre", sagt Sobotzik, "hätte ich mich doch nie so in den Weg gestellt. Aber er war verboten." Ihr Gedanke sei nicht gewesen, mit den anderen Radfahrern die Aufgabe der Polizei zu übernehmen. "Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir den Zug aufhalten." Aber auch nicht damit, dass sie das Problem für die Polizei sei.

Teilnehmer sonst bei "Critical Mass"

Die Akademikerin ist keine Frau, die regelmäßig zu Demos geht. Aber sie habe das Bedürfnis gehabt, "denen nicht einfach unsere Stadt zu überlassen". "Denen" – das war ein Großteil der nach Polizeiangaben 20.000 Menschen, die Querdenker-Aufrufen nach Kassel gefolgt waren, aber sich nicht am genehmigten Demo-Ort versammelten. Die Menschen folgten den auf Telegram-Kanälen verbreiteten Einladungen zu "Spaziergängen" durch die Stadt und spielten Katz und Maus mit der Polizei. Der Demozug selbst war von der Stadt verboten worden, das Verbot einer Großkundgebung außerhalb mit 6.000 Teilnehmern hatte der Verwaltungsgerichtshof Hessen aufgehoben. Ein VGH-Sprecher erklärte am Montag, man habe nicht die Information erhalten, dass die Teilnehmer der größeren verbotenen Demonstration trotzdem anreisen und illegal in die Innenstadt strömen könnten.

Sobotzik radelte also zum Opernplatz zum Protest des "Bündnis gegen Rechts Kassel" gegen den Auflauf von "Wissenschaftsleugnern, Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremisten", wie die Querdenker-Szene auf der Seite des Bündnisses beschrieben wird.* Sie sah bekannte Gesichter von "Critical Mass" und sie sah, wie die Querdenker weitgehend machen konnten, was sie wollten. "Auf dem Opernplatz hat die Polizei sich nur um eine Trennung gekümmert, aber ansonsten nichts gemacht." Die Veranstalter des Gegenprotests fassen es später so zusammen: "Die Einsatzleitung der Polizei hat die Kasseler Innenstadt ohne wahrnehmbare Gegenwehr zum Schauplatz eines bundesweit einmaligen Superspreader-Events werden lassen."

Überrascht hat die Kasselanerin das nicht, "man hat ja auch aus anderen Städten gesehen, wie dort reagiert wurde." Aber die Ohnmacht darüber, dass der Staat so wenig Widerspruch zeigt, wird später ein Anstoß für sie sein.

Konfrontation mit Querdenkern "recht harmlos"

Mit zwei "Critical Mass"-Teilnehmern sei sie vom Opernplatz losgefahren, habe den Demozug an verschiedenen Stellen gesehen. Dann sind sie am Lutherplatz, vor dem herannahende Zug gefahren, und ihre Begleiter stellten die Fahrräder quer. Sie auch. Sie ist in diesem Moment zur Aktivistin geworden, weil sie zeigen wollte, dass doch Menschen den Verharmlosungsideen im Weg stehen.

Wahrscheinlich laufen ihr in dem Moment auch viele Menschen entgegen, die vor einem Jahr nicht gedacht hätten, in einem Demozug mitzugehen und aus voller Überzeugung "Freiheit" und "Gegen Diktatur" zu skandieren, während sie trotz Verbots ungehindert laufen können. Die Polizei wird später fast entschuldigend schreiben, die Demonstranten seien "augenscheinlich überwiegend aus dem bürgerlichen Lager" gekommen.

Als die Spitze des Zugs auf die Barriere traf, hatten sich noch weitere Radler mit ihren Fahrrädern aufgereiht. Etwa 20 waren es, vom Sehen kannte Sobotzik einige, andere nicht. Aber dass danach von der "Antifa" geredet wird und sie ein Teil davon sein soll, darüber muss sie lachen. "Für diese Leute sind aber ohnehin alle Menschen Antifa, die nicht ihrer Meinung sind."

Bei ihrer spontanen Blockade habe sie gar nicht so recht darüber nachgedacht, was passieren könnte, sagt Sobotzik. "Ich fand es recht harmlos, ein kleines Gerangel, wir werden geschubst, die werden geschubst." Dann kommen die Polizisten und schaffen Platz. Gefahrenabwehr, heißt es später vor Ort gegenüber Journalisten. Die wenigen Gegendemonstranten mit den Rädern wegzuräumen war auf die Schnelle die erfolgversprechende Variante.

"Polizei Grün" leitete "Bullen"-Tweet weiter

Dabei gehen die Beamten gegen andere Radfahrer noch rabiater vor als gegen Sobotzik. Ein Teilnehmer wurde zu Boden gezogen, dann mitsamt Fahrrad von der Straße geschleift. Eine weitere Szene hat dazu geführt, dass der bundesweite Polizisten-Verein "Polizei Grün", der eine "tolerante, kritikfähige und rechtsstaatliche Bürgerpolizei" fördern will, sogar einen Tweet mit dem Wort "Bullen" weitergeleitet hat.

Das Video sei die Ausnahme wert, hieß es. Es zeige schließlich "eine Szene, die einen sprachlos macht: Erst am Rad zerren, dann den Kopf nach unten schlagen und danach weglaufen, als sei nichts gewesen."

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Das Gesamtvorgehen zu kritisieren sei schwierig, so "Polizei Grün": "Wer jemals Einsätze in dieser Dimension geplant und geleitet hat, weiß, dass eine Auflösung selbst mit einer großzügigen Kräftelage nur bedingt möglich ist." Künftig müsse mit ausreichend Einsatzkräften und einem konsequenten Einsatzkonzept verhindert werden, dass sich solche Versammlungen bilden können.

Rückhaltlos müssten aber die Fälle aufgeklärt werden, wie sie in den Videos zu sehen seien: "Friedliche Gegendemonstranten wurden ohne Androhung und ohne Beachtung der Grundsätze des Versammlungsrechts von der Straße gezogen und gedrängt, obwohl die andere Demonstration in der Form verboten war."

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Auf Twitter wird von Ermittlungen gegen die Polizisten und von Strafanzeigen gesprochen. Das "Bündnis gegen Rechts Kassel" hat Verletzte gebeten, sich zu melden. Sobotzik hat ein paar blaue Flecken, aber noch keine Meinung, ob sie rechtliche Schritte einleiten soll. "Ich bin ja auch überhaupt nicht gegen die Polizei, aber ich erwarte, dass sie ihre Arbeit macht."

*An dieser Stelle war nicht klar, dass es sich um ein Zitat handelte. Das wurde nachträglich deutlich gemacht.

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