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Corona-Pandemie in Deutschland: Das Versagen wird zum Sündenfall


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Versagen in der Corona-Krise
Die Wut der Vernünftigen wächst

MeinungEin Kommentar von Patrick Diekmann

04.03.2021Lesedauer: 5 Min.
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Gesundheitsminister Jens Spahn: Die Corona-Politik der Bundesregierung verliert zunehmend an Rückhalt ind er Bevölkerung.Vergrößern des Bildes
Bundeskanzlerin Angela Merkel im Gespräch mit Gesundheitsminister Jens Spahn: Die Corona-Politik der Bundesregierung verliert zunehmend an Rückhalt ind er Bevölkerung. (Quelle: imago-images-bilder)

Der Unmut in Deutschland wächst, es gibt zu wenig Impfstoff und Schnelltests. Das Krisenmanagement versagt, die Regierenden vergrößern den Schaden durch falsche Versprechungen.

Wäre Deutschland ein Schiff, dann steuerte es in der Corona-Pandemie direkt auf einen großen Eisberg zu. Die Gefahr: größtenteils unsichtbar, durch zu hohes Tempo steigt das Risiko einer Katastrophe. Die Kapitäne des Schiffes – die Regierenden – haben es nicht ausreichend auf die Lage vorbereitet, reagieren erst spät auf neue Bedrohungen, ändern zu oft den Kurs. Der Mannschaft – im Lockdown zunehmend seekrank – werden leere Versprechungen gemacht, die Kapitäne wecken die Hoffnung auf einen Schatz. Der Schatz ist ein schnellstmögliches Ende des Lockdowns und eine weitgehende Rückkehr der Menschen zu einer Normalität.

Wegen falscher Versprechungen und schlechter Kommunikation herrschen Verwirrung und Enttäuschung innerhalb der Bevölkerung vor. Im Verlauf der Krise mutierte nicht nur das Coronavirus. Auch die Corona-Politik der Bundesregierung mutiert immer mehr zum Staatsversagen. Erst gibt es zu wenig Impfstoff, dann wird zu langsam geimpft und die Hoffnung auf eine flächendeckende Teststrategie, die zeitnah hilft, wurde von Gesundheitsminister Jens Spahn zunächst aufgebaut und dann auf dem Corona-Gipfel am Mittwoch wieder zerschlagen. Das steigert den Unmut einer entnervten Bevölkerung, das Vertrauen in die Politik geht rasant zurück.

Deutschland hat seinen Vorsprung verspielt

Der Frust ist berechtigt. Besonders im internationalen Vergleich wird Deutschland immer weiter abgehängt. Im Frühjahr 2020 blickten vor allem europäische Nachbarn neidisch auf die Bundesrepublik. Das deutsche Gesundheitssystem war in der Krise gut aufgestellt, es gab vergleichsweise viele Intensivbetten, in der Forschung war Deutschland führend. Zudem hatten wir gleich doppelt Glück im Unglück: Die Wellen in der Pandemie trafen das Land meistens zeitverzögert, dadurch gewann man wichtige Vorbereitungszeit.

Dieser glückliche, zeitliche Vorsprung in der Pandemie wurde verspielt. Immer mehr Länder überholen Deutschland in der Impfstatistik, selbst im EU-Vergleich ist die Bundesrepublik bei den Quoten nur Durchschnitt. Das liegt an einer starren deutschen Impfstrategie, die schlichtweg zu langsam ist.

Nun sollen Haus- und Fachärzte impfen. Das ist zwar vollkommen richtig. In Ländern wie den USA gibt es aber längst fachgerechte Impfungen in Einkaufszentren. Und: In Deutschland gibt es nach einem Jahr Pandemie an Wochenenden nicht nur keine verlässlichen Infektionszahlen, an Samstagen und Sonntagen wird auch weniger geimpft. Das würde zwar mehr Geld kosten, aber Sparen darf in der Pandemie keine Option sein. Jeder zusätzliche Tag im Lockdown kostet dem Land Menschenleben, Steuergeld und wird zunehmend zur Gefahr für die psychische Gesundheit der Menschen. Es gab selten einen besseren Grund, viel Geld auszugeben.

Unfähigkeit, wichtige Dinge frühzeitig zu bestellen

Das geschieht in Deutschland aber an vielen Stellen zu zögerlich, Verantwortung wird zwischen Bund, Ländern und Kommunen hin- und hergeschoben. Den schnellstmögliche Ausweg aus der gegenwärtigen Situation bietet diese Politik in jedem Fall nicht. Klar: Die Zulassung der Impfstoffe läuft über die Europäische Union, man will den Schuldenberg durch die Krise begrenzen und die föderalen Strukturen erfordern teilweise lange Verhandlung auf der Suche nach Kompromissen. Das entschuldigt jedoch nicht das Schneckentempo, mit dem Bund und Länder notwendige Infrastrukturen aufbauen oder Bestellungen für Masken und Schnell- und Selbsttests tätigten.

Dabei war es lange absehbar, dass schnell geimpft werden muss. Es war lange absehbar, dass wir dafür Personal und Orte benötigen. Es war auch absehbar, dass Schnelltests eine wichtige Säule in der Bekämpfung der Pandemie sein werden, bis es eine Herdenimmunität gibt und darüber hinaus. Aber die Bereitstellung von Geldern für eine möglichst frühe Bestellung von notwendigen Dingen, die wir in großen Mengen benötigen, scheint vor allem den Bund in dieser Krise zu überfordern.

Die Schnelltest-Misere soll nun von einer Taskforce gelöst werden, kündigte Kanzlerin Merkel auf dem Corona-Gipfel an. Die Federführung dabei hat neben Spahn ausgerechnet Verkehrsminister Andreas Scheuer, der in der letzten Legislatur eher dafür bekannt war, Probleme zu vergrößern. All das kostet zu Recht Vertrauen.

Die deutsche Corona-Politik ist alles andere als schnell

Dabei haben die Ministerpräsidenten der Bundesländer und das Bundeskabinett in dieser Krise einen Vertrauensvorschuss bekommen. Um Schnelligkeit bei Entscheidungsprozessen zu gewährleisten, stehen die Parlamente – als die Volksvertreter – im Abseits. Doch die deutsche Corona-Politik ist alles andere als schnell. Deshalb verliert diese Form der Krisenpolitik immer mehr an Legitimation.

Trotzdem arbeitet der überwiegende Teil der Bevölkerung bei der Bekämpfung der Pandemie mit, trotz großer Müdigkeit gibt es keine gewaltsamen Proteste wie etwa in den Niederlanden. Das ist richtig und wichtig, denn es zeugt von einer großen gesellschaftlichen Solidarität.

Stimmung im Land dreht sich

Aber die Wut und das Unverständnis in der Bevölkerung werden größer. Das zeigte eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für den Spiegel. Darin geben 45 Prozent der Befragten an, ein geringes oder gar kein Vertrauen zu haben, dass Union und SPD die Herausforderungen der Pandemie bewältigen. Sehr groß oder eher groß ist das Vertrauen in die Koalition nur noch bei nicht einmal 40 Prozent der Deutschen. Nach einem rasanten Anstieg der Zustimmungswerte am Anfang der Pandemie im Jahr 2020 hat sich die Stimmung im Land gedreht.

Dieser Umstand ist selbstverschuldet. Die Kommunikation der Regierenden aus Bund und Ländern lässt viele Bürgerinnen und Bürger verwirrt zurück. Man spricht über die Gefahr und die Ausbreitung der britischen Mutation B.1.1.7, lockert aber trotzdem die Corona-Maßnahmen. Erst wurde die Grenze für Lockerungen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner beziffert, danach wurden Öffnungspläne mit dem Grenzwert 35 erstellt, nun ist es wieder 50. Es scheint fast so, als würden Kanzleramt und die Ministerpräsidenten der Bundesländer diese Zahlen würfeln.

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Spahn weckte Hoffnungen in der Bevölkerung, als er für Anfang März über eine flächendeckende Schnellteststrategie sprach. Erst sollten alle Bürger bis Jahresmitte ein Impfangebot erhalten, dann wurde es Ende September. Auch diese Hoffnungen wurde enttäuscht. Die Politik muss in dieser Krise ein sicheres Fundament für die Bevölkerung sein und nicht ein Faktor, der durch falsche Versprechungen das momentan chaotische Leben der Menschen noch unplanbarer macht.

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Söders Schlumpf-Wortgefechte als Ablenkungsmanöver

Doch der nüchterne Merkel-Realismus vom Anfang der Pandemie ist einer Politik, die auf Hoffnungen basiert, gewichen. Anders sind Lockerungen zu einem Zeitpunkt, in dem sich die Mutationen im Land ausbreiten, nicht zu erklären. Man hat zwar eine Corona-Notbremse eingebaut. Wenn diese aber erst ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 greift, kann es gut sein, dass sich das Virus schon wieder exponentiell ausbreitet. Die Folge wäre ein noch längerer harter Lockdown, um die Kontrolle zurückzugewinnen.

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Mit zu wenig Impfstoff und zu wenig Schnelltests ist die Ausbreitung der Mutanten eine unvorhersehbare Gefahr. Sie sind der Eisberg, auf die unser Schiff zusteuert. Es wird einen Aufprall geben, und durch Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt wird der Schaden wahrscheinlich noch maximiert. In einem Superwahljahr wächst aber der Druck auf die Regierenden, groß ist der Wunsch nach Erleichterungen nach dem harten Lockdown.

Doch auch durch eigene Versäumnisse kann die deutsche Politik der Bevölkerung nicht die gleichen Perspektiven geben, wie sie die Menschen in Israel, den USA und Großbritannien bekommen haben. Deshalb sind auch die "schlumpfigen" Wortgefechte von Markus Söder mit Armin Laschet oder Olaf Scholz auf dem Corona-Gipfel nicht unbedingt schlecht für die politischen Entscheidungsträger – sie lenken ein Stück weit vom politischen Versagen ab.

Deutschland bleibt in der Pandemie ein Schiff, das zwar auf Kurs, aber langsamer als andere Schiffe ist. An Bord ist eine seekranke Mannschaft, die zunehmend das Vertrauen in ihre Kapitäne verliert. Dem müssen diese vor allem mit Verlässlichkeit in ihren politischen Entscheidungen begegnen – denn enttäuschte Hoffnungen können schnell zu einer Meuterei führen.

Verwendete Quellen
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