Politiker drängen auf Öffnungen Braun: Jeden Deutschen einmal pro Woche testen
Kurz vor dem nächsten Corona-Gipfel zwischen Bund und Ländern mehren sich die Forderungen nach Lockerungen. Auch im Kanzleramt deutet sich ein Kurswechsel an.
Führende Politiker haben wenige Tage vor dem nächsten Corona-Gipfel zwischen Kanzlerin Angela Merkel und den Chefs der Bundesländer am Mittwoch konkrete Öffnungsschritte in Aussicht gestellt: Kanzleramtschef Helge Braun kündigte dafür eine zweigleisige Teststrategie zur Absicherung der Öffnungsschritte an. Es gehe zum einen darum, Infektionen in der Frühphase zu entdecken – etwa durch das Angebot, dass sich jeder ein- bis zweimal die Woche testen lassen könne, sagte Braun in der ARD. Zum anderen gehe es um tagesaktuelle Tests etwa bei größeren Veranstaltungen, um dort das Risiko einer Ansteckung zu minimieren.
Angesichts künftiger Möglichkeiten zu Schnelltests fordert auch Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) einen Strategiewechsel in der Corona-Politik. "Ich bestehe darauf, dass wir am Mittwoch eine Öffnungsperspektive konkret formulieren", sagt der Kanzlerkandidat der SPD im Politiktalk der Zeitung "Bild". Die Schnelltests müssten "aktiv für eine Öffnungsstrategie" genutzt werden. Testen sei "ein Teil des Weges aus dem Lockdown." Mit den Testmöglichkeiten seien seiner Meinung nach die Inzidenzwerte von 35 und 50 künftig nicht mehr als alleiniger Maßstab für Lockerungen zu sehen.
Die Bund-Länder-Chefrunde soll am 3. März über den Einsatz der von der Bundesregierung angekündigten kostenlosen Schnelltests entscheiden. Der Bund will diese künftig bezahlen, weil bisher nur einzelne Kommunen wie Tübingen kostenlose Schnelltests für ihre Bürger angeboten hatten.
Braun deutete bereits an, dass Bund und Länder bei der Chefrunde neue Öffnungsschritte beschließen könnten. Man werde in den nächsten Tagen besprechen, wie man die dadurch ausgelösten zusätzlichen Kontakte sicher machen könne, indem man deutlich mehr und einfacher teste, sagte der CDU-Politiker in der ARD. "Jeder Öffnung muss man etwas gegenüberstellen, was die Infektionszahlen stabilisiert", fügte Braun hinzu.
49 Prozent wollen Läden wieder öffnen
Damit wird ein Paradigmenwechsel immer deutlicher – und spiegelt auch eine die kippende Stimmung in der Bevölkerung wider: Zweieinhalb Monate nach Beginn des harten Lockdowns ist es nach Auffassung einer großen Mehrheit der Deutschen Zeit für Lockerungen. Einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur zufolge sind nur noch gut ein Drittel für eine Beibehaltung (26 Prozent) oder Verschärfung (9 Prozent) der geltenden Einschränkungen. 43 Prozent meinen dagegen, der Lockdown sollte bei den Beratungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder an diesem Mittwoch weiter gelockert werden. 17 Prozent sind sogar für eine komplette Rückkehr zur Normalität. 5 Prozent machten keine Angaben.
Zum ersten Mal seit Beginn des harten Lockdowns Mitte Dezember gibt es damit in den alle zwei bis vier Wochen durchgeführten YouGov-Umfragen eine Mehrheit für Lockerungen. Anfangs standen noch fast drei Viertel (73 Prozent) hinter den Maßnahmen von Bund und Ländern, zu denen die Schließung von Geschäften, Schulen, Restaurants und Hotels sowie das Verbot von Kultur- und Sportveranstaltungen mit Zuschauern gehören. Anfang Januar waren noch fast zwei Drittel (65 Prozent) für eine Beibehaltung oder Verschärfung der Maßnahmen. Vor der letzten Bund-Länder-Konferenz am 10. Februar war es dann nur noch die Hälfte der Befragten, inzwischen liegt der Anteil bei 35 Prozent.
Am dringendsten ist nun nicht der Wunsch nach einer weiteren Öffnung von Schulen, sondern die Möglichkeit, wieder uneingeschränkt einkaufen gehen zu können. 49 Prozent sagen, dass ihnen die Öffnung von Geschäften besonders wichtig sei. Dahinter folgt die Lockerung der Vorschriften, mit wie vielen Menschen man sich treffen darf (43 Prozent). Die Öffnung von Restaurants ist 42 Prozent der Befragten besonders wichtig. Erst dann folgen die Schulen (32 Prozent), deren Öffnung die Politik als besonders wichtig erachtet. Die Öffnung von Kosmetikstudios sowie Massagesalons (18 Prozent), Fitnessstudios (16 Prozent) und Kulturveranstaltungen (12 Prozent) folgen auf den hinteren Plätzen.
Laschet setzt sich für einheitliche Lösungen ein
CDU-Parteichef Armin Laschet will unterdessen in Fragen der Corona-Pandemie keine klaren Ansagen in seine Partei hinein machen. "Corona-Bekämpfung ist keine parteipolitische Frage. Und ich warne auch davor, es zu einer Frage zwischen CDU und SPD, zwischen Grünen und FDP zu machen", sagte der nordrhein-westfälische Regierungschef am Sonntagabend in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". "Die Bundesregierung ist auf der einen Seite. Die 16 Länder, wo fast jede demokratische Partei in irgendeiner Form an Koalitionen beteiligt ist, ringen um die richtigen Lösungen. Ich werde das beibehalten: Es wird nicht parteipolitisiert", sagte er.
"Alle ringen um den richtigen Weg", sagte Laschet. In unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen Regierungen seien unterschiedliche Maßnahmen ergriffen worden. Er werde eher dafür kämpfen, dass man zu bundeseinheitlichen Lösungen komme und dass das pauschale Schließen, das die letzten Wochen bestimmt habe, verändert werde. Laschet sprach von einer "differenzierten, vorsichtigen, angleichenden Öffnung", zu der man in den 16 Ländern kommen solle. Am Mittwoch beraten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten über das weitere Vorgehen in der Pandemie.
Der Expertenrat der nordrhein-westfälischen Landesregierung wirbt nach Angaben der Vorsitzenden des Europäischen Ethikrates, Christiane Woopen, dafür, nur Lockdown-Bereiche zu öffnen, die zusätzliche Schutzkonzepte vorlegen. Dazu zählten etwa Test- und Impfstrategien. "Wenn jetzt nur aufgemacht wird, wird die dritte Welle notwendigerweise kommen", sagt sie in der ARD. Woopen, die dem nordrhein-westfälischen Expertenrat angehört, kritisiert, dass die vom Gesundheitsministerium genannten 800 Millionen Schnelltests bei weitem nicht für eine umfangreiche Teststrategie ausreichten.
Lauterbach schlägt neue Impf- und Teststrategie vor
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach schlägt laut einem "Spiegel"-Bericht vor, die zweite Impfdosis erst am Ende des jeweils zugelassenen Spielraums zu verabreichen, um schneller mehr Menschen impfen zu können. Zudem plädiert er demnach für ein Testprogramm, wonach an Schulen und in Betrieben alle Menschen mindestens einmal pro Woche mithilfe von geschultem Personal einen Schnelltest machen sollen.
Wer ein negatives Ergebnis habe, solle anschließend mit dem Nachweis einen Tag lang in Geschäfte gehen dürfen. Dadurch könnten die Läden zeitnah öffnen, natürlich weiterhin mit Maskenpflicht – gleichzeitig verhindere man aber Ansteckungen, zitiert der "Spiegel" Lauterbach.
- Nachrichtenagentur Reuters