t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikDeutschland

Umstrittene Corona-Studie: Prof. Wiesendanger, Wuhan und die Biowaffen


Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Umstrittene Studie
Der Physikprofessor, Wuhan und die Biowaffen


Aktualisiert am 20.02.2021Lesedauer: 5 Min.
Roland Wiesendanger: Der Professor hat ein Papier vorgelegt, in dem er die These vertritt, dass das Coronavirus wahrscheinlich duch einen Laborunfall in die Welt gelangt ist.Vergrößern des Bildes
Roland Wiesendanger: Der Professor hat ein Papier vorgelegt, in dem er die These vertritt, dass das Coronavirus wahrscheinlich durch einen Laborunfall in die Welt gelangt ist. (Quelle: Universität Hamburg/Sebastian Engel)

Ein Physikprofessor macht Schlagzeilen mit der These, dass das Coronavirus durch einen Laborunfall in die Welt kam. Wieso es jetzt heftige Kritik gibt – und wo er eine Diskussion anstoßen könnte.

Am Tag danach liest der Physikprofessor Roland Wiesendanger den Journalisten Mails vor: "Hier dankt mir jemand für 'Mut, Respekt, Aufrichtigkeit und Liebe zu den Menschen' – mit drei Ausrufezeichen, da schreibt jemand: 'Sie geben uns Hoffnung, Sie leben die Wahrheit!'" Wiesendanger, ein renommierter Nanowissenschaftler, wird seit Donnerstag in der Öffentlichkeit verrissen für einen unwissenschaftlichen Text mit einer These, die sich vielleicht nie beweisen oder ausschließen lassen wird: Das Coronavirus ist durch einen Laborunfall in Wuhan in die Welt gelangt. Dass das sonst kaum ein Wissenschaftler vertritt, erklärt er damit, dass es "Maulkörbe" gibt.

Wenn man mit ihm spricht und ihm glaubt, geht es aber eigentlich um eine grundsätzlichere Frage: Dürfen Wissenschaftler an Viren experimentieren, um die Erreger durch Veränderungen mächtiger zu machen? "Gain of Function" nennt sich das Viren-Tuning, das Killerviren hervorbringen kann. Es soll die Welt besser auf derartige Bedrohungen vorbereiten, sagen Befürworter. Atom- und Chemiewaffen richteten örtlich begrenzt Schäden an, ein Virus könne zur Biowaffe mit globalen Folgen werden, sagt Wiesenanger.

Virologen-Debatte als Schlüsselerlebnis

Die Vorstellung treibt ihn offenbar um, seit es 2013 Streit um derartige Forschung gab. "Es war für mich ein Schlüsselerlebnis", sagt er. Die renommierte "Foundation of Vaccine Research" widersprach in einem Brief der Europäischen Virologen-Vereinigung und wandte sich gegen "Gain-of-Function"-Versuche am H5N1-Virus in den Niederlanden. Physiker Wiesendanger hat diesen Brief in voller Länger in seine Veröffentlichung eingebaut. Weil er das mit mehreren Publikationen gemacht hat, ätzte auf Twitter eine Nutzerin, sein Werk sei "optisch nah an einem zusammengeklebten Erpresserbrief mit großzügigem Textmarkereinsatz".

Im Hochsicherheitslabor von Wuhan wurde aber tatsächlich in der Vergangenheit damit experimentiert, wie die Eigenschaft von Coronaviren von Fledermäusen verändert werden kann; zudem ist ein Teil der Labordaten gelöscht. Nur: Keiner der renommierten Wissenschaftler, die in der Vergangenheit als Mahner vor Viren-Tuning aufgefallen sind, erhebt jetzt Vorwürfe Richtung Wuhan wegen eines möglichen Unfalls. Wiesendanger räumt das ein und sagt: "Da müssen Sie die involvierten Personen fragen, warum sie diese Frage nicht stellen".

Er unterstellt in seiner Studie, dass es in Wuhan mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Laborunfall gekommen ist. "Studie" steht zwar darüber, davon spricht er ständig, und die Universität Hamburg hat sie per Pressemitteilung so beworben, aber das ist aus Sicht vieler Wissenschaftler Etikettenschwindel. Wiesendanger selbst räumt ein: "Es ist nicht im Sinne einer wissenschaftlichen Publikation zu sehen, es zielt nicht auf ein wissenschaftliches Fachpublikum, sondern soll der Information einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland dienen." Er will, dass über das Thema geredet wird.

Stolz auf Uni-Präsident wegen Unterstützung

Dabei war ihm klar, dass heftige Kritik kommen wird. Das schiebt er aber auf das "hochbrisante Thema". Seine Hochschule habe ihn "motiviert, als Wissenschaftler mit Verantwortung für die Gesellschaft den Diskussionsbeitrag zu leisten." Er sei stolz auf den Präsidenten, "der sich hinter mich gestellt hat. Sonst wäre das Thema vielleicht nicht aufgekommen." Nun ist es aufgekommen, sein Papier wurde am ersten Tag in sechsstelliger Größe abgerufen, sagt er.

Vorher habe er einige Medienvertreter angeschrieben, ohne eine Rückmeldung zu bekommen, "und meine Studie war auch schon einige Tage online, aber unbeachtet – bis zur Pressemitteilung". Das erzählt er auf die Frage nach einem "Maulkorb" für Wissenschaftler.

Der Physiker war offenbar nicht auf größere Widerstände gestoßen, obwohl er viele Stellen eingebunden hatte. Zur "interdisziplinären kritischen wissenschaftlichen Diskussion" habe er die Studie vorab an das Hochschulpräsidium, die Hamburger Wissenschaftsbehörde und an die Akademie der Wissenschaften verteilt.

An die Coronavirus Structural Task Force, die an der Universität Hamburg zum Coronaviorus forscht, offenbar nicht. Die Wissenschaftler wurden überrascht und urteilten am Freitag: "Was als Einladung zur Debatte daherkommt, ist eine ziemlich chaotische und tendenziöse Internetrecherche, die in keiner Weise der guten wissenschaftlichen Praxis entspricht."

Empfohlener externer Inhalt
X
X

Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.

Wenig Unterstützer in der Öffentlichkeit

Wiesendanger berichtete davon, an der Akademie der Wissenschaften am 22. Januar einen Vortrag gehalten zu haben. "Es kamen sehr positive, aufmunternde Rückmeldungen, die meisten Kollegen und Kolleginnen waren auch schockiert." Schockiert wegen der Tragweite, meint er. Nicht, weil er vielleicht eine einsame wissenschaftliche Position vertritt.

Das weist er auch zurück: "Ich kann Ihnen versichern, dass ich damit nicht der einsame Wissenschaftler bin." Es gebe ein Netzwerk, das ihn bestärke. "Aber man kann Kollegen ja nicht dazu drängen, sich öffentlich zu äußern, mögliche Reaktionen muss man dann auch allein aushalten können." Er könne sich nur auf öffentliche Dokumente stützen.

Bannon-Unterstützung für eine "Kronzeugin"

So liefert er auch einen sehr dünnen Beleg für die Aussage, dass "nicht wenige Wissenschaftler (...) von einer koordinierten Irreführung der breiten Öffentlichkeit bei der Frage nach dem Ursprung der Coronavirus-Pandemie sprechen": Bei der Quelle für die zentrale These erscheint ein Warnhinweis, dass die Studie vielen Rückmeldungen zufolge einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhält, und dazu eine Studie von drei unbekannten Wissenschaftlern und der Virologin Li-Meng Yan*. Von Yan hat sich ihr früheres Institut in Hongkong distanziert, gefördert wurde sie von einem Exil-Chinesen und von Steve Bannon.

Aus dieser Richtung kommt auch ein Beleg, "dass es in Wissenschaftlerkreisen seit einigen Monaten erhebliche Zweifel bezüglich des Wahrheitsgehalts" eines Textes bei "Nature" gibt. An der angegebenen Quelle beginnt ein promovierter früherer US-Offizier einen Text so: "Die Kommunistische Partei Chinas, einige mit China sympathisierende westliche Wissenschaftler und die unterwürfigen Medien haben enorme Anstrengungen unternommen, um die Öffentlichkeit davon zu überzeugen..."

Aufmerksamkeit für Petition

Das ist polemisch, nicht wissenschaftlich. Wiesendanger unternimmt noch einen weiteren Versuch, breite Beteiligung der Wissenschaft zu zeigen. Er bindet einen neun Seiten langen offenen Brief ein, in dem nach eigenen Angaben Wissenschaftler fordern, dass jeder Mensch die Wahrheit über den Ursprung der Covid-19-Pandemie erfährt. 871 Unterzeichner hat die Petition nach zwei Monaten, das sind wenige. "Ich habe diesen Brief auch eingebaut, um ihm zu Aufmerksamkeit zu verhelfen." Der Initiator hat die Unterstützung aus Deutschland umgehend registriert.

Er enthält 50 zum Teil sehr detaillierte Fragen zu Ungereimtheiten in der chinesischen Informationspolitik. Gefragt wird dort aber auch, wieso China die auf dem Markt verkauften Tierarten verheimlicht, während Wiesendanger sich an dieser Stelle der vorherrschenden Meinung anschließt, dass es dort keine Fledermäuse gab. Wenn keine Fledermäuse im Spiel sind, stützt es die Theorie eines Laborunfalls.

Dass Corona-Leugner eine Publikation feiern, die genau das vertritt und nahelegt, dass das Virus künstlich sein könnte, ist für ihn "ein Widerspruch in sich": Mit einem künstlichen Virus ist ja eine noch höhere Gefahr verbunden." Es lasse sich schlechter vorhersagen, wie es sich weiter entwickele.

Loading...
Loading...

Gesperrtes Institut – oder doch nur Ferien?

Bruder teilt Auffassung
Zwei Brüder, eine Meinung: Harald Wiesendanger hat laut Roland Wiesendanger aus den Medien erfahren, dass der Hamburger Professor eine Studie zu dem Thema machte. Dazu publiziert auch Harald Wiesendanger. Roland Wiesendanger: "Er kommt zu dem gleichen Ergebnis wie ich, aber es gab keine Zusammenarbeit." Der Psychologe und Publizist Wiesendanger, auch Autor von Büchern zu Geisterheilung, spricht allerdings auch von "Plandemie", die von "Profiteuren" beliebig verlängert werden könne.

Wiesendanger sagt, ob er wirklich seine wissenschaftliche Reputation aufs Spiel setze, werde man sehen, wenn sich die aktuelle Aufregung gelegt hat. Er hoffe auf eine Sachdiskussion über die Gefahren vom Experimentieren mit Viren. "Wenn die Gefahren von Gain-of-Function-Forschung breit diskutiert werden, bin ich zufrieden. Mir ist es dann auch egal, ob mein Papier als verbrannt gilt und deshalb nicht herangezogen wird." Und dankbare Mails mit drei Ausrufezeichen wird er sicher auch weiterhin bekommen.

*Wir hatten an dieser Stelle zunächst von Li-Meng Yang geschrieben. Die Wissenschaftlerin heißt Li-Meng Yan.

Ein Absatz zu Handydaten am Institut in Wuhan im Oktober ist gelöscht, weil Angaben sich auf verschiedene Zeiträume bezogen. Ein Zeitraum, in dem am Institut nach einer Auswertung keine Handydaten festgestellt wurden, lag nicht in einer Ferienwoche, wie wir zunächst geschrieben hatten. Die Aussagekraft der Erhebung ist fragwürdig.

Verwendete Quellen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



TelekomCo2 Neutrale Website