t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikDeutschland

Corona-Strategie: "Mit Zero Covid feiern wir den Sommer des Jahrhunderts"


Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.

Strategie gegen das Virus
Warum wir die Corona-Zahlen auf Null drücken sollten

MeinungVon M. F. Schneider, S. Duckett, Y. Bar-Yam

12.01.2021Lesedauer: 8 Min.
Null Covid, viel Party? In einem Gastbeitrag werben Wissenschaftler der "Zero Covid Alliance" für strikte Eindämmung.Vergrößern des Bildes
Null Covid, viel Party? In einem Gastbeitrag werben Wissenschaftler der "Zero Covid Alliance" für strikte Eindämmung. (Quelle: iStockphoto/getty-images-bilder)
News folgen

Ist der Lockdown in Deutschland streng genug? Nein, sagen drei der führenden Experten: Wir sollten das Ziel von null Fällen anpeilen. Das hat andernorts auch funktioniert. Ein Gastbeitrag.

Die gute Botschaft vorweg: Man kann das Virus und alle seine bedrohlichen Mutanten bis an den Rand seiner Ausrottung zurückdrängen. Das ist nicht nur theoretisch klar, sondern gelebte Praxis in vielen Ländern und ist aus allen Perspektiven am besten: gesundheitlich, sozial und auch ökonomisch. Das Ende der Krise ist möglich. Wir zeigen, wie wir dem Drama ein Ende bereiten und uns einen Jahrhundertsommer sichern. Von den Ländern, die es geschafft haben wie etwa Australien, müssen wir nun möglichst schnell lernen, anstatt die erfolgreichen Konzepte im Keim zu ersticken.

Nacheinander haben sie die Argumente der Skeptiker widerlegt. Neuseeland ist eine Demokratie, die Mongolei ist kein Inselstaat und es gibt weltweit keine eindeutige Konsistenz zwischen Jahreszeiten und Ausbrüchen – diese treten in allen Jahreszeiten und Klimazonen auf, sogar dann, wenn erhebliche Teile der Bevölkerung bereits durch frühere Wellen immun sind. Die Grafik unten zeigt, dass aktuell Länder auf der Südhalbkugel trotz hoher erster Welle jetzt in ihrem Sommer (!) wieder stark steigende Fallzahlen verzeichnen.

Stattdessen liegt sehr wohl eine Konsistenz zwischen harten Lockdowns und deren Auswirkungen nach einer Woche. Wir wissen genau, dass wir von 500 auf 50 kommen können und wir wissen ebenso, dass es bis zur Null geht. Wir müssen nun schnell und entschlossen handeln und dürfen keine Zeit verlieren, sondern müssen die in der Realität erfolgreich durchgeführte Strategie so weit wie möglich übertragen.

Eine Pandemie kann mit Bränden verglichen werden: Kleine Feuer sind leicht zu kontrollieren, mittlere schwer und große gar nicht. Selbst hundert kleine, kontrollierte Lagerfeuer sind eben nicht mit einem außer Kontrolle geratenen Waldbrand zu vergleichen. Die Feuer entsprechen der Zahl der Infizierten und bestimmen damit direkt die Zahl erkrankter und verstorbener Personen.


Der enorme Einsatz von Feuerwehr (Personal und Equipment) und das aus Angst vor der Gefahrensituation angepasste Verhalten der Menschen können mit den wirtschaftlichen Kosten verglichen werden. Es ist tatsächlich so klar und simpel: Feuer sind am einfachsten zu löschen, wenn sie klein sind. Um das zu verstehen, braucht man keinen Doktortitel in Medizin, Epidemiologie, Physik oder Ökonomie.

Prof. Matthias F. Schneider.

Matthias F. Schneider (*1971) leitet die Abteilung Medizinische und biologische Physik an der TU Dortmund. Der Professor beschäftigt sich mit der Physik lebender Systeme. Bereits im Herbst hat er in der "Zeit" in einem Beitrag appelliert: "Wir können Corona noch stoppen", und dabei auf die Risiken im Verständnis der Ausbreitung von Viren hingewiesen. Er engagiert sich bei "Wellenbrecher Jetzt", der "Zero Covid Alliance" und endcoronavirus.org.

In der Praxis heißt es also, die Zahlen klein zu halten, wenn man zu einem ungefährlichen, relativ normalen Leben zurückkehren möchte. Ist man dort angekommen, ist ein besserer Feuerlöscher ausreichend. Aktuell brennt der Wald noch lichterloh, weil wir im Sommer den kontinuierlichen Funkensprüngen den Rücken zugewandt und so die Kontrolle verloren haben.

Deswegen, nur deswegen, befinden wir uns gerade im zweiten Lockdown. Der muss nun der letzte bleiben. Damit das so kommt, müssen wir einen Zustand erreichen, in dem neue Fälle allenfalls von außen kommen. Wir brauchen kleine Zahlen. Diese Tatsache zu ignorieren, hat uns viele Leben gekostet und auch gesellschaftlich und wirtschaftlich unnötige Kosten verursacht.

Es setzt deutliche Grenzbeschränkungen voraus. Die sind nie perfekt, und mit Verstößen muss gerechnet werden. Daher gilt es vor allem, in jeder Phase proaktiv zu handeln: Ausbrüche frühzeitig erkennen, dann schnell und konsequent auslöschen. Je früher und konsequenter, desto lokaler die Maßnahmen und desto kleiner der Aufwand.

Kleine Zahlen sind möglich

Die Mongolei, Vietnam, Singapur, Kambodscha, China, Thailand, Taiwan und andere Länder haben uns im vergangenen Jahr vorgemacht, wie kleinste Fallzahlen den besten Langzeitschutz vor Ausbrüchen darstellen. Denn wo keine oder annähernd keine Übertragung stattfindet, ist auch die Wahrscheinlichkeit für Superspreader-Ereignisse sehr gering, die für den Großteil von Infektionen verantwortlich sind. Bei niedrigen Fallzahlen ist die Kontaktverfolgung auch ein mächtiges Werkzeug. So leben viele 100 Millionen Menschen weltweit stets mit Corona-Zahlen, die sich im Bereich der Null pro 100.000 bewegen.

Der Erfolg von Zero Covid, wie er zum Beispiel in Neuseeland und Australien gefeiert wird, hängt letztlich von einem klar kommunizierten Bekenntnis zu einer Lösung ab, einer Exit-Strategie, die in der ganzen Bevölkerung den Willen entfacht, zur Null zu kommen. Für Australiens Weg waren hierbei drei Elemente von entscheidender Bedeutung:

  1. Das Problem beim Namen nennen
  2. Transparente Kommunikation von Ziel und Plan gegenüber der Bevölkerung
  3. Eine Art Belohnung niedriger Zahlen
Prof. Stephen Duckett.

Stephen Duckett (*1950) ist Professor für Gesundheitspolitik und langjähriger Experte in der politischen Umsetzung von Ökonomie im Gesundheitswesen. Er ist Direktor der Abteilung für Gesundheit im Grattan Institute und berät in der Funktion die Regierung Australiens in politischen Entscheidungen. Der frühere Leiter des Gesundheitsministeriums Australiens war eine Schlüsselfigur und ein Wegbereiter für Australiens Weg aus der Krise.

Die Bürger Australiens wussten, dass ein harter Lockdown kommt, und sie wussten warum. Aber sie wussten eben auch, dass sie systematisch Maßnahmen lockern durften, sobald die kommunizierten Grenzen Infizierter erreicht werden. Sie saßen daher mit Freude vor den Fernsehern, um zu sehen, wie ihre Zahlen weiter sanken. Ein Wettrennen hin zu den kleinen Zahlen entstand. Das war Australiens Erfolgsstrategie, die – sicher mit ein paar Modifikationen – hier in ähnlicher Weise durchgeführt werden kann. Wenn nicht alle mitziehen, dann beginnt man eben erst in einzelnen Bundesländern oder gar Landkreisen.

Lässt man die Bürger jedoch mit vagen Plänen und Durchhalteparolen ohne absehbares Ende in einem Zustand der Ungewissheit oder gar der Verwirrung stehen, schadet man nicht nur der Wirtschaft. Dann zerstört man – was noch viel schlimmer ist – das Vertrauen der Bürger in unsere Institutionen, was die Gesellschaft auseinandertreibt. Vertrauen ist für die Bewältigung von Krisen unerlässlich.

Nun steht jedes Land natürlich eigenen Herausforderungen gegenüber, die in den Details auch eine eigene Herangehensweise erfordern. Doch einige generelle Lektionen haben wir von den globalen Experimenten im Umgang mit Corona in jedem Fall gelernt:

  • Das Virus schnell in den Griff zu bekommen, ist auch bei gegenwärtig hohen Fallzahlen möglich.
  • Nur die Länder haben das Virus langfristig im Griff, die eine Strategie in Richtung null Fälle verfolgen.
  • Wir brauchen sehr gut überlegte Reisebeschränkungen.
  • Ein breites Bündel an Maßnahmen der Virusunterdrückung ist nötig – je mehr, desto besser.

Die Fragen, die wir uns stellen müssen, sind: Was können wir von den Ländern lernen, die Erfolg hatten? Wie können wir nach ihren Erfahrungen sogar schneller zum Ziel kommen? Welche ihrer Methoden können wir verbessern?

Yaneer Bar-Yam.

Physik-Professor Yaneer Bar-Yam (* 1959) ist Präsident des New England Complex Systems Institute. Seit 15 Jahren studiert er Pandemien. Er beriet bei den Ebola-Ausbrüchen in Westafrika und im Kongo politische Entscheidungsträger und warnte 2014 bei einem Vortrag bei der Weltgesundheitsorganisation vor erhöhtem pandemischen Risiko. Er ist Gründer von EndCoronavirus.org, einem globalen Netzwerk von Wissenschaftlern und Freiwilligen, das Entscheidungsträger bei der Beseitigung des Virus unterstützen will.

In der ersten Phase muss es darum gehen, nicht nur zur Null zu kommen, sondern dies so schnell wie möglich zu schaffen. Manche Länder wie Israel und Belgien haben es zwischenzeitlich geschafft, tägliche Neuinfektionen um mehr als zehn Prozent zu reduzieren.

Die Übertragung muss in diesem zweiten Lockdown in Deutschland so gut es geht gestoppt werden. Dafür sollte alles getan werden, von dem wir bereits wissen, dass es hilft: gesicherte Grundversorgung, wie in Supermärkten, Krankenhäusern oder bei der Zustellung von Gütern nur mit Maskenpflicht, ausreichend Abstand, kontrollierte Anzahl von Menschenmengen und breite Ausstattung mit Raumluft-Filtern, strikte Regeln an den Grenzen, individuelle Genehmigungen und besondere Sicherheitsrichtlinien für Pendler, auch speziell dafür vorgesehene Quarantäne-Unterkünfte – meist werden dazu Hotels angemietet – damit Infizierte nicht zu ihren Familien nach Hause geschickt werden müssen, wo sie alle anstecken können.

Je größer das Gebiet, desto länger dauert die erste Phase. Deshalb ist es wichtig, auch kleinteilige Ziele auszuweisen. Ein Kreis kann innerhalb weniger Wochen bei Null sein. Der Wettlauf zur Null zwischen den Kreisen kann als Ansporn dienen. Dass auch ein Nebeneinander von Regionen mit verschiedenen Strategien funktionieren kann, zeigt sich etwa in Kanada, wo einige Provinzen wenig und andere viel gegen das Virus tun.

Loading...
Loading...

Sobald man virenfreie Gebiete hat, gilt es, diese in der zweiten Phase dauerhaft zu schützen und mögliche Ausbrüche im Keim zu ersticken. Ist man zwei Wochen lang ohne neue Fälle aus lokaler Übertragung und ist das auch der Fall für alle Nachbargebiete, dann hat man den sogenannten Green-Zone-Status erreicht. Man kann innerhalb der Region zur Normalität zurückkehren.

Damit dies effektiv funktioniert, muss, neben den andauernden Reisebeschränkungen, bei Bedarf rasch und breitflächig getestet werden können. Ebenso essenziell ist eine rigorose Kontaktverfolgung, die zügig Übertragungsketten sowie Personen und Orte mit hohem Risikopotenzial aufspürt.

Auf diese Weise weiß man genau, wie gefährdet ein Gebiet noch ist oder welche Teile noch besondere Sicherheitsmaßnahmen benötigen, wohingegen an anderer Stelle schon gelockert werden darf.

Die letzte Phase beginnt mit der stetigen Erweiterung der Green Zone, indem Nachbargebiete unterstützt und sichere Reisekorridore und -netzwerke mit anderen virenfreien Zonen erstellt werden. Je fokussierter man hier zusammenarbeitet, desto schneller kann sich auch ein Tourismussektor wieder erholen. Sicherheit hat dabei immer höchste Priorität. Ist die Präzedenz für sicheren Tourismus zwischen Green Zones geschaffen, wird der Anreiz für jede noch verbliebene Red Zone größer, ebenso Zero Covid anzustreben.

Je niedriger die Fallzahlen innerhalb eines Gebietes sind, desto leichter ist es, das Virus lokal in Schach zu halten. Je mehr Länder dabei sind, desto leichter ist es auch, Grenzen zu schützen oder gar zu öffnen.

Unsicherheit darf nicht zum Abwarten führen

Ein weiteres Argument für eine massive und umgehende Unterdrückung des Infektionsgeschehens: die Evolution. Virologen haben es uns seit Beginn der Pandemie immer wieder gesagt: Wenn viel Virus zirkuliert, dann geben wir dem Virus auch viele Möglichkeiten, fitter zu werden. Von der Variante B117 haben spätestens seit dem Ausrufen des Notstands in London viele Menschen gehört. Parallel dazu wird in Wissenschaftskreisen von anderen Virusvarianten berichtet, die sich unabhängig von B117 in Südafrika und den USA entwickelt haben.

Natürlich gibt es viele Fragen: zur Schädlichkeit neuer Varianten, der Impfung und ihrer Wirkdauer, ob Geimpfte noch infektiös sein können, welche individuellen und sozialen Kosten Long-Covid verursachen wird. Aber das heißt eben nicht, dass auf dem Weg zu ihrer Klärung unsere Unsicherheit ein triftiger Grund ist, erst einmal abzuwarten. Dieser Fehler wurde immer wieder begangen. Im Notfall wartet man nicht auf empirische Ergebnisse, sondern man handelt zügig, um eine Katastrophe zu vermeiden.

Nach der Welle darf nicht vor der Welle sein

Mit vier Botschaften möchten wir schließen:

Für den Einzelnen: Es geht. Die Wissenschaft zeigt es und andere Länder beweisen es uns. Jedes Bundesland oder jeder Landkreis kann es schaffen. Wir müssen konsequent sein, dann können wir danach feiern. Halbherzige Kompromisse verschieben und verschlimmern das Problem und resultieren in wiederkehrenden Lockdowns, die keiner will, nicht einmal die Corona-Leugner.

Für die Wirtschaft: Was gut ist für die Gesundheit, ist auch gut für die Wirtschaft. Nicht nur kranke und tote, sondern auch verunsicherte Menschen geben kein Geld aus. Wir sehen, dass tendenziell die Länder, die von höheren Zahlen Verstorbener berichten, auch größere Verluste im Bruttoinlandsprodukt verzeichnen.

Es ist verständlich, wenn Geschäftsleute den Ruin befürchten und den Termin herbeisehnen, endlich wieder Geld in die Kasse zu bekommen. Es nutzt aber nichts, wenn sich durch frühe Öffnung zunächst einige Geschäfte mehr retten, dies aber einen weiteren Lockdown verursacht, bei dem dann umso mehr aufgeben müssen. Wir haben die Erfahrung aus dem Sommer: Niedrige Fallzahlen nutzen den Gewerbetreibenden. Australien und Neuseeland machen uns zudem vor, wie man bei diesen kleinen Zahlen auch langfristig bleiben kann – mit kurzem, hartem und vor allem lokalem Eingreifen. Dies ist wirtschaftlich besser verkraftbar als monatelange Schließungen. Westaustralien erzielte 2020 sogar ein positives Wirtschaftswachstum.

Der Staat muss während eines scharfen Lockdowns wirksame Hilfen leisten. Dabei lässt sich zum Beispiel daraus lernen, was in Neuseeland wie gewirkt hat. Dies ist jedoch nur einmalig flächendeckend nötig, nicht wie jetzt immer und immer wieder.

Für die Politik: Die Bürger werden vielleicht stöhnen, aber hinterher dankbar sein. Nachdem die Bürger Australiens bemerkten, dass es der Regierung tatsächlich um deren Wohl ging, stieg die Popularität der Regierung um fast 50 Prozent und die der Gegner klarer Zero-Covid-Strategien sank entsprechend. Ebenso belohnte die vor Corona beschützte Bevölkerung Neuseelands ihre Premierministerin mit einem erdrutschartigen Wahlsieg.

Der Kolumnist Sascha Lobo gibt ein Stimmungsbild der "vernünftigen Mehrheit" wieder, das allen aktuellen politischen Akteuren auch angesichts der kommenden Wahlen zu denken geben sollte. Es ist geprägt von tiefer Unzufriedenheit mit dem als zu zögerlich und zu inkongruent empfundenen Handeln.

Für die Schulen: Eine angemessene Unterrichtsatmosphäre für Kinder und Lehrer ist nur möglich, wenn wir die Zahlen unten haben. Allen Eltern, die bis dahin Unterstützung brauchen, muss diese auch garantiert werden.

Ohne Anstrengung geht es nicht. Auch wenn wir das gerne hätten und die Popularität einiger "Experten" darauf beruht, uns das seit Monaten weismachen zu wollen. Aber, wenn wir es richtig machen, ist das jetzt der letzte Lockdown und wir feiern den Sommer des Jahrhunderts 2021, mit Zero-Covid-Konzerten und Zero-Covid-Fußball – genau, wie es gerade bei unseren Freunden in Australien der Fall ist.

Die Autoren danken Angela, Julia, Carmen, Sabrina und Vincent.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website