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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Erster Fall in NRW Behörden wollen Anhängern des AfD-Flügel Waffen abnehmen
Die Einstufung des AfD-Flügels als extremistisch hat Folgen für Waffenbesitzer unter den Anhängern dieser Gruppierung: Behörden zweifeln an der nötigen Zuverlässigkeit.
Die zuständigen Behörden haben damit begonnen, Waffenscheine und Waffenbesitzkarten von Anhängern des AfD-Flügels zu überprüfen. Das nordrhein-westfälische Innenministerium hat ein entsprechendes Verfahren bestätigt. Diese Notwendigkeit sehen auch andere Bundesländer.
So erklärte eine Sprecherin des bayerischen Innenministeriums gegenüber t-online.de: Wie bei anderen Extremisten informiere der Verfassungsschutz in Bayern grundsätzlich die örtliche Waffenbehörde, wenn ein vom Verfassungsschutz beobachteter Flügel-Angehöriger Waffen besitzt. "Die Waffenbehörde muss dann aufgrund der Rechtslage zwingend eine Anhörung zum Widerruf der Waffenerlaubnis vornehmen."
"Regelmäßig waffenrechtlich unzuverlässig"
Denn: Im Februar war ein entsprechender Paragraf im Waffengesetz geändert worden, wonach Mitglieder verfassungsfeindlicher Vereinigungen "regelmäßig waffenrechtlich unzuverlässig" sind. Wenn aber jemand waffenrechtlich unzuverlässig ist, führt das gesetzlich zwingend zum Widerruf waffenrechtlicher Erlaubnisse. Waffenschein und Waffenbesitzkarten werden entzogen. Und das hat nun auch Folgen für Flügel-Anhänger.
Der Flügel ist nämlich im März vom Bundesamt für Verfassungsschutz offiziell zur rechtsextremistischen Bestrebung erklärt worden. Verfassungsfeindliche Anhaltspunkte hätten sich verdichtet.
Regelung bei NPD bestätigt
Aktiven Anhängern des völkisch-nationalistischen Netzwerks kann es nun ergehen wie in der Vergangenheit Mitgliedern der NPD. Das Bundesverwaltungsgericht hatte schon vor der Verschärfung des Waffenrechts entschieden, dass Behörden Personen entwaffnen können, wenn sie aktiv Parteien unterstützen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Ein sächsischer NPD-Politiker musste sein Repetiergewehr und seine Armeepistole abgeben.*
Am 2. Juni flatterte nun einer Flügel-Anhängerin in Nordrhein-Westfalen Post von der Kreispolizeibehörde ins Haus, wie die rechte Zeitung "Junge Freiheit" berichtet: Es war die Anhörung zum geplanten Entzug und ist der erste bekannt gewordene Fall, in dem Flügel-Unterstützung zum Widerruf der Waffenerlaubnisse führen soll.
Flügel hat keine Mitgliederliste
Flügel-Unterstützer
2015 veröffentlichten einige AfD-Landesverbände Listen mit Namen von Unterstützern der "Erfurter Resolution", die als Flügel-Gründung gilt. Diese Listen sind inzwischen vom Flügel gelöscht, kursieren aber noch im Netz. Darauf standen:
Baden-Württemberg: 74 Personen
Bayern: 46
Berlin:14
Brandenburg: 39
Bremen: Liste nicht bekannt
Hessen: 24
Mecklenburg-Vorpommern: 25
Niedersachsen: 30
Nordrhein-Westfalen: 59
Rheinland-Pfalz: 15
Saarland: 7
Sachsen: 43
Sachsen-Anhalt: Liste nicht bekannt
Schleswig-Holstein: Liste nicht bekannt
Thüringen: 30
Mehrere von t-online.de angefragte Bundesländer konnten am Freitag nicht sagen, ob bereits weitere Verfahren laufen oder Flügel-Anhängern deshalb Waffenerlaubnisse nicht erteilt worden sind. Das Innenministerium von Rheinland-Pfalz erklärte, dass es dort noch keinen Fall gibt, es aber angesichts der Speicherung von Flügel-Anhängern im nachrichtendienstlichen Informationssystem zu Treffern kommen könne.
In Nordrhein-Westfalen hält die örtliche Kreispolizeibehörde dem Bericht zufolge der Frau vor, dass sie als Unterzeichnerin der "Erfurter Resolution" im März 2015 gilt, die Björn Höcke initiiert hatte. Die Personen auf dieser Liste sind so etwas wie die Flügel-Anhänger der ersten Stunde – für die Behörden offenbar ein starkes Indiz.
Sie können auch nicht auf Mitgliederlisten des Flügels zurückgreifen, weil er nie eine offizielle Organisation war und es solche Listen nicht gibt. Deshalb setzt der Verfassungsschutz auch seine Beobachtung fort, obwohl der Flügel sich für aufgelöst erklärt hat. Der Verfassungsschutz schätzte die Zahl der Unterstützer auf 7.000.
Der größte Teil von ihnen dürfte nicht in den Fokus geraten. Bei einzelnen AfD-Mitgliedern ist durch Äußerungen oder die Organisation entsprechender Treffen aber offensichtlich, dass sie sich dem Flügel zugehörig fühlen. Und als der Flügel mit der "Erfurter Resolution" quasi geboren wurde, unterzeichneten diese Gründungserklärung damals nach Angaben des Flügels mehr als 1.600 AfD-Mitglieder.
*Wir hatten an dieser Stelle geschrieben, dass auch der frühere DVU-Vorsitzende Gerhard Frey seinen Revolver abgeben musste. Das war falsch. Das Bundesverwaltungsgericht hatte nach einer Revision von Frey zwar entschieden, dass "verfassungsfeindliche Bestrebungen" eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit begründeten. In Freys Fall sah das Gericht jedoch keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen dafür. Der Bayerische Verwaltunsgerichtshof entschied dann 2010, dass die Behörde ihm den Waffenschein verlängern muss, weil er im waffenrechtlichen Sinne zuverlässig und mehr als die Allgemeinheit gefährdet sei. Unter anderem nach Sprengstoffanschlägen auf sein Verlagsgebäude galt er als gefährdet. Ein weiterer Rechtsstreit erledigte sich durch Freys Tod 2013.
- Eigene Recherchen
- Verfassungsschutz.de: Bundesamt für Verfassungsschutz stuft AfD-Teilorganisation „Der Flügel“ als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein
- jungefreiheit.de: AfD im Visier
- netzpolitiik.org: Wir veröffentlichen das Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD
- derfluegel.de: Die „Erfurter Resolution“ und der Gründungsimpuls der AfD
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