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Neuer Historikerstreit? Achille Mbembe spielt Antisemiten in die Hände


Meinung
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Neuer Historikerstreit?
Mbembe spielt Antisemiten in die Hände

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 28.05.2020Lesedauer: 7 Min.
Achille Mbembe: Um den berühmten afrikanischen Denker Mbembe ist eine hitzige Debatte entbrannt.Vergrößern des Bildes
Achille Mbembe: Um den berühmten afrikanischen Denker Mbembe ist eine hitzige Debatte entbrannt. (Quelle: Daniel Bockwoldt/dpa)

Seit Wochen wird über einen der berühmtesten afrikanischen Denker der Gegenwart diskutiert. Unter der Oberfläche stecken dabei wichtige Lehren zum Umgang mit dem Holocaust, der Apartheid und Israel.

Kennen Sie die Mbembe-Debatte? Viele dürften die Frage mit Nein beantworten, obwohl sie bereits seit Wochen anhält und sich fast jede und jeder Intellektuelle hierzulande mit Bezug zu den brisanten Themen Antisemitismus, Rassismus, Holocaust, Kolonialismus und Nahostkonflikt schon dazu geäußert hat; manche mehrfach. Einige sprechen sogar von einem neuen Historikerstreit.

Einer der wichtigsten afrikanischen Denker der Gegenwart

Dass die Debatte unter der Wahrnehmungsoberfläche der meisten wabert, liegt vermutlich am Charakter der Beiträge. Es sind überwiegend kämpferische Feuilleton-Streitschriften, die primär auf Beschönigung oder Verteufelung abzielen. Um das Wirken von Achille Mbembe, dem berühmten, manche sagen, berühmtesten afrikanischen Denker der Gegenwart, geht es den wenigsten. Wenn man die Texte von Anklage und Verteidigung liest, stellt man schnell fest: Im Mittelpunkt stehen die Feuilletonistinnen und Feuilletonisten selbst, die sich jeweils argumentativ diskreditieren wollen. Es ließe sich somit eine bitterböse Geschichte über Egos und Eitelkeiten darüber schreiben – das will ich aber nicht.

Der in Kamerun geborene und an der Witwatersrand-Uni in Südafrika lehrende Achille Mbembe ist bekannt für seine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kolonialismus und Sklaverei in Afrika. Er hat die Postkolonialen Studien, ein interdisziplinäres Forschungsfeld, vorgedacht und mitgeprägt. Seine Bücher genießen weltweit Beachtung. Auf der Basis dieser wichtigen Arbeiten bezeichnete er 2015 den israelischen Umgang mit den Palästinensern als "größten moralischen Skandal unserer Zeit", als "eine der entmenschlichendsten Torturen des Jahrhunderts" und "größten Akt der Feigheit des letzten halben Jahrhunderts" und forderte eine "globale Isolierung" des einzigen jüdischen Staats.

Mbembe äußerte sich häufig zu Israel und Palästina

So formulierte er es im Vorwort zu einem Buch von 2015 mit dem unmissverständlichen Titel "Apartheid Israel", dessen Einnahmen laut des Impressums an die "Palästinensische Kampagne für den akademischen und kulturellen Boykott Israels" (PACBI) gehen. Achille Mbembe unterstützte 2010 einen Aufruf zur Beendigung der Beziehung zwischen der Universität Johannesburg und der Ben-Gurion-Universität des Negev. 2018 stellte er sich gegen die Einladung von Shifra Sagy, Professorin der "Ben Gurion", zu einer Fachkonferenz. Er ordnet die Lage der Palästinenser irgendwo zwischen der Apartheid in Südafrika und dem Holocaust ein.

2016 schrieb er mit Blick auf Israel über eine "fanatische Zerstörungspolitik", die darauf abziele, das Leben der Palästinenser in einen "Trümmerhaufen" oder einen zum "Entsorgen bestimmten Müllhaufen" zu verwandeln. In Südafrika hätten die Ruinenhügel ein solches Ausmaß nie erreicht, dabei sind das südafrikanische Apartheidsystem und die Vernichtung des europäischen Judentums ("letzteres allerdings auf extreme Weise und in ganz anderem Rahmen") zwei "emblematische Manifestationen" der "Trennungsfantasie". 2003 erklärte er: "Die vollendetste Form der Nekromacht", also der Herrschaft über Leben und Tod, "ist die zeitgenössische koloniale Besetzung Palästinas."

Ist Mbembe bereits deshalb ein Antisemit?

Sind all das unproblematische Äußerungen und Verhaltensweisen? Nein. Vermitteln sie antisemitische Klischees? Ja. Ist Achille Mbembe bereits deshalb ein Antisemit? Nein. Kann man in wissenschaftlichen Diskursen Apartheid in Südafrika mit der Situation der Palästinenser oder dem Holocaust vergleichen? Ja. Kann man sie gleichsetzen oder gegeneinander aufrechnen? Nein. Sollte Achille Mbembe seine Haltungen öffentlich in Deutschland vertreten dürfen? Ja. Sollte er, wie vor der Corona-bedingten Absage geplant, aufs Schild gehoben werden und die Eröffnungsrede der renommierten und mit Millionensummen vom Land finanzierten Kultur-Großveranstaltung Ruhrtriennale halten? Nein.

Muss sich Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp wegen der Auswahl Achille Mbembes Kritik gefallen lassen? Ja. Muss man wegen der Kritik an Achille Mbembe gleich an Rassismus denken, weil seine Hautfarbe schwarz ist? Nein. Ist es in Ordnung, wenn der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, die Einladung Achille Mbembes kritisch anspricht? Ja. Ist es berechtigt, deshalb Rücktrittsforderungen gegen Felix Klein auszusprechen? Nein. Sind Rücktrittsforderungen gegen Stefanie Carb angemessen, weil sie schon 2018 mit einem "israelkritischen" Programmpunkt für Diskussionen gesorgt hat? Ja.

Personifiziert Achille Mbembe etwaige Defizite der Postkolonialen Studien? Nein. Darf man die Verfolgung der Juden als besonderes Verbrechen herausstellen? Ja. Darf man das Leid der Palästinenser über das Leid anderer stellen? Nein. Darf man Israels Regierungspolitik und Militäreinsätze kritisieren? Ja.

Eine aufgeregt geführte Debatte

Manchmal können die Antworten auf Fragen klar und eindeutig sein und dennoch entspinnt sich um sie eine aufgeregte Debatte. Das ist oft ein untrügliches Zeichen dafür, dass es gar nicht mehr um die Sache geht. Einige derer, die Beiträge zur Mbembe-Debatte beigesteuert haben, scheinen schlicht Rechnungen mit alten Gegnerinnen und Gegnern begleichen zu wollen. Andere nehmen nur Bruchstücke der Thematik wahr und exponieren sich mit strammen Thesen. Wieder andere sind getrieben von der Opferkonkurrenz, die sich schon vor zehn Jahren in der Debatte über die Vergleichbarkeit von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit gezeigt hat: Entweder sie sind derart auf das Leid von Israelis fixiert, dass sie das Leid von Palästinensern nicht mehr wahrnehmen. Oder umgekehrt. Merke: Debatten über brisante Themen kann man nur konstruktiv führen nach etwas intensiverer Beschäftigung, ohne ideologische Ziele und Schaum vor dem Mund.

Wenn man die Mbembe-Debatte allerdings wie eine Zwiebel häutet und zum Inneren vorstößt, ergeben sich durchaus interessante Erkenntnisgewinne, um einen Weg zu finden, die schlimme Lage vieler Palästinenser zu thematisieren und dabei den größtmöglichen Abstand zum Antisemitismus und zur Dämonisierung Israels einzuhalten. Dazu ist eine paritätische Betrachtung erforderlich, die sowohl eine eingehende Auseinandersetzung mit der Judenfeindschaft und dem Zionismus als auch mit der Situation der Palästinenser und ihrer Geschichte umfasst. Genau das wird Achille Mbembe gerade zum Verhängnis, der der "Zeit" gesagt hat: "Im Übrigen befasst sich meine Arbeit weder mit Israel und der Soziologie seines Staates noch mit seinem Recht auf Existenz und Sicherheit… Palästina hingegen nimmt einen wichtigen Platz in meinem Nachdenken über die ‚andere Seite der Welt‘ ein“.

Mbembe muss sich entscheiden

Achille Mbembe muss sich entscheiden, ob er lieber als pro-palästinensischer Aktivist wahrgenommen werden will oder als Wissenschaftler und fundierter Kritiker des aktuellen Weltgeschehens. Wer als Postkolonialismusforscher versucht, seine aus der Vergangenheit gewonnenen Erkenntnisse auf die Gegenwart zu übertragen, bietet eine Angriffsfläche, wenn er sich demonstrativ nur auf eine Seite stellt – in dem Fall Israel und dabei lauter Superlative benutzt; so wie es in der Geschichte des Antisemitismus und Antijudaismus üblich war: Juden als größte Störenfriede der Welt.

Es gibt zahlreiche Ereignisse, die sich postkolonialistisch betrachten und erwähnen ließen wie Russlands Annexion der Krim; die Interventionen in Abchasien und Südossetien; der Krieg in der Ostukraine; in Tschetschenien; Transnistrien; Chinas Umgang mit den Uiguren und Tibetern; das Vorgehen in Myanmar gegen die Rohingya; der Bürgerkrieg auf Sri Lanka; Indonesiens Besetzung von Westpapua oder die Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung – alles verbunden mit Hunderttausenden Vertriebenen und Toten. Als Achille Mbembe vom "größten moralischen Skandal unserer Zeit" schrieb, wütete gleichzeitig die Terrormiliz IS im Irak und beging einen Völkermord an den Jesiden. In Syrien tobte der Bürgerkrieg mit damals schon mindestens 200.000 Toten.

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Mbembe muss sich klar positionieren

Wer sich mit der Politik israelischer Regierungen auseinandersetzen will, muss eine Haltung etwa zu den arabischen Angriffskriegen von 1948 und 1973 oder den terroristischen Aktivitäten von PLO bis zur Hamas beziehen. Achille Mbembe macht das allenfalls sporadisch und wenn, sorgt er für zusätzliche Irritationen, weil er palästinensische Selbstmordattentäter im Kampf gegen die Besatzung relativiert und beinah verklärt: "Der angehende Märtyrer ist mit der Suche nach einem glücklichen Leben beschäftigt, von dem er glaubt, dass es nur auf Gott basiert, und das aus dem Willen zur Wahrheit geboren wird, der sich seinerseits in einen Willen zur Reinheit verwandelt."

Gleichsam ist Achille Mbembe nicht bereit, Israels militärische Aktivitäten umgekehrt auch als einen Akt der Verteidigung zu sehen. Die existenzielle Bedrohung Israels blendet er weitgehend aus, während er den Staat als alleinigen Aggressor zeichnet – ohne Differenzierung zwischen Zivilbevölkerung und Soldaten, bestimmten Regierungen und Politikern.

Staunend steht man schließlich davor, wenn zur Einordnung der Apartheid die Vernichtung der europäischen Juden bemüht wird. An der Unvergleichbarkeit des Holocausts kann es spätestens seit dem Historikerstreit 1986 ebenso wenig Zweifel geben, wie an Richard von Weizsäckers Bewertung des 8. Mai 1945 als Tag der Befreiung. Der Holocaust war zwar ein Völkermord, aber er war mehr. Er wurde penibel geplant, industriell durchgeführt und basierte auf dem Rassenwahn und dem ältesten Vorurteil der Menschheitsgeschichte.

Kritik schießt teilweise übers Ziel hinaus

Diese Erkenntnis schmälert weder die Völkermorde in Ruanda und Srebenica noch anderswo. Über das schreckliche Leid der Betroffenen sagt sie gar nichts aus. Es leuchtet daher nicht ein, dass außerhalb Europas andere Bewertungen der Shoah und der Erinnerungskultur existieren sollen, die einen erhellenden Beitrag zum besseren Verständnis leisten könnten, wie unter anderem mehrere afrikanische Intellektuelle in einem offenen Brief insinuieren. Der Holocaust lässt sich nur redlich zum wissenschaftlichen Vergleich heranziehen, wenn man dessen Singularität unzweifelhaft klarstellt.

Achille Mbembe will die schlimme Lage vieler Palästinenser thematisieren, aber er schafft es nicht, sich eine ganzheitliche Sicht anzueignen. Dadurch bietet er Anknüpfungspunkte für Kritik. Diese Kritik schießt zwar teilweise weit übers Ziel hinaus, indem man ihn einen Antisemiten nennt, ihm die Verharmlosung des Holocausts vorwirft, die Delegitimierung Israels und eine Anhängerschaft beim BDS andichtet.

Achille Mbembe bedient jedoch antisemitische Stereotype und spielt eingefleischten Antisemiten in die Hände, ob er das will oder nicht. Das muss angesprochen werden, erst recht von Antisemitismusbeauftragten. Diese Sachlage disqualifiziert einen Mann von seinem Format als Redner in einer exponierten Situation wie dem Auftakt zur Ruhrtriennale. Achille Mbembes Äußerungen bringen alte Vorurteile gegen Menschen jüdischen Glaubens zum Erklingen, was in Zeiten zunehmend virulenter Judenfeindschaft ein handfestes Problem ist. Bisher scheitert er daran, diesen Vorwurf zu entkräften.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e.V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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