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Coronavirus: Hamburg will nur "echte" Covid-19-Tote zählen


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Streit über Statistik
Hamburg will nur "echte" Coronavirus-Tote zählen


02.04.2020Lesedauer: 4 Min.
Ein Sarg wird abtransportiert (Symbolfoto): Die Erfassung der Todesfälle mit Coronavirus ohne Unterscheidung stößt auf Widerspruch.Vergrößern des Bildes
Ein Sarg wird abtransportiert (Symbolfoto): Die Erfassung der Todesfälle mit Coronavirus ohne Unterscheidung stößt auf Widerspruch. (Quelle: reuters)
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Streit über die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus? Hamburg verzeichnet weniger Tote, weil es anders zählt als das RKI. Es geht darum, ob jemand mit oder an dem Virus stirbt.

Im Robert Koch-Institut in Berlin könnte ein Aufstöhnen zu hören gewesen sein: schon wieder Hamburg. Denn von dort kommen in der Corona-Krise unbequeme Hinweise. Zunächst hatte die Gesundheitsbehörde Mitte März öffentlich den Bund gedrängt, weil Hamburg entdeckt hatte, dass Ischgl Drehscheibe des Coronavirus ist: Das RKI soll endlich Ischgl zum Risikogebiet erklären. Nun kommt aus Hamburg ein brisanter Vorstoß: Todesfälle sollen anders gezählt werden.

Nach der Hamburger Zählung gibt es dort weniger Corona-Tote als nach der Zählung des RKI: Acht führte der Stadtstaat am Mittwoch auf. In der offiziellen Statistik des RKI waren es dagegen 14. Das erklärt sich so: In der RKI-Statistik landen alle Todesfälle, bei denen das Virus SARS-CoV-2 festgestellt wurde. Hamburg zählt dagegen nur Fälle, bei denen die Menschen auch an Covid-19 gestorben sind. Bei Sterbefällen mit positivem Test auf das Coronavirus kommen die Leichen in die Rechtsmedizin, um der Todesursache nachzugehen: War es Covid-19?

Das Gesundheitsministerium Schleswig-Holstein etwa räumte in dieser Woche offen ein: Es weiß bei keinem der bis zu dem Zeitpunkt neun Verstorbenen, ob sie auch an Covid-19 erkrankt waren oder Symptome gezeigt hatten. An Vorerkrankungen hatten alle gelitten.

"Im Austausch, wie Datenlage verbessert werden kann"

Hamburg drängt darauf, dass bundesweit die Zählweise überprüft wird. "Hamburg befindet sich mit dem RKI und den Bundesländern derzeit im Austausch, wie die Datenlage dazu verbessert werden kann", heißt es in einer Mitteilung der Gesundheitsbehörde. Der Stadtstaat meldet an das RKI den einheitlichen Standards folgend alle Toten mit dem Virus. Für sich zählt das Land aber nur die, die tatsächlich an den Folgen der Covid-19-Erkrankung gestorben sind.

Bei den Todesfällen in seiner Statistik unterstellt das RKI nicht, dass sie am Coronavirus gestorben sind. Die Verstorbenen werden geführt als Todesfälle "in Zusammenhang mit Covid-19-Erkrankungen". RKI-Chef Lothar Wieler wurde in einem Lagebericht vor der Presse noch deutlicher: "Bei uns gilt als Corona-Todesfall jemand, bei dem eine Coronavirus-Infektion nachgewiesen wurde."

Das kann auch eine erst nach dem Tod festgestellte Infektion sein. Verdachtsfälle "können" post mortem auf das Virus untersucht werden, heißt es vom RKI. Es ist keine Pflicht. Das wiederum kann dazu führen, dass Todesfälle unentdeckt bleiben, die auf das Virus zurückgehen. Nach Recherchen von Martin Heidingsfelder, bekannt als Plagiatsjäger und Betreiber des kommerziellen Dienstes PolitPlag, stehen für die Testung Verstorbener vielfach keine Tests zur Verfügung.

Heidingsfelder führt sogar den im Vergleich sehr niedrigen Anteil der tödlichen Verläufe unter Erkrankten in Deutschland auf unzureichende Tests Toter zurück. Experten erklären den Wert allerdings vor allem damit, dass durch intensives Testen in Deutschland sehr viel mehr leichte Fälle mit hohem Anteil jüngerer Menschen gefunden wurden.

Deutlich mehr Tote – ohne eine Erklärung

Trotz sehr viel höherer Sterberate in Italien gibt es dort dennoch Anzeichen dafür, dass viele Corona-Tote nicht erfasst sind. Das Gesundheitsministerium hat seit der Woche ab dem 8. März eine signifikant höhere Sterblichkeit bei den über 65-Jährigen in 19 Städten nachgewiesen. Lokale Auswertungen zeigen, dass diese erhöhten Sterbezahlen noch weit über der Zahl der offiziellen Coronavirus-Toten liegen. Beispiel Bergamo: Im März 2019 waren 125 Menschen gestorben, in diesem Jahr im März wurden 553 gezählt. Ein Anstieg um 428 Todesfälle, doch als offizielle Corona-Tote werden nur 201 Fälle geführt.

Die Zeitung "L’Eco di Bergamo" hat die Diskrepanz bei einer Auswertung an allen besonders betroffenen Orten nachgewiesen. Die Vermutung: Bei vielen im eigenen Heim verstorbenen Menschen ist die Krankheit unentdeckt geblieben. An den Auswertungen beteiligte Experten sprechen davon, ein verlässliches Bild werde nach der Pandemie nur die Übersterblichkeit liefern, die sogenannte Exzessmortalität.

Bestätigte Influenza oft nicht auf Totenschein

Mit der Methode wird die Zahl der Grippetoten in Deutschland bestimmt. In der Saison 2017/2018 wurde die Zahl der Toten durch Influenza auf 25.100 geschätzt. Gemeldet worden waren dem RKI nur 1.674 bestätigte Todesfälle mit Influenza. Influenza steht oft nicht auf dem Totenschein, selbst wenn sie labordiagnostisch bestätigt war, erklärt das RKI.

Wenn aber im Verlauf einer Grippewelle deutlich mehr Menschen an anderen Todesursachen, wie Diabetes mellitus, Pneumonie oder Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems, sterben als in anderen Zeiträumen, werden die Todesfälle über der erwarteten Sterblichkeit der Influenza zugeschrieben. Das ist international üblich. Für die Saison 2018/2019 in Deutschland liegt diese Schätzung noch nicht vor.

Bei der Corona-Pandemie geht es darum, schnell ein Bild zu haben. Die Abgrenzung, was todesursächlich war, ist allerdings nicht immer einfach. Als der Kreis Heinsberg am 9. März den ersten Todesfall melden musste, war ein 78-Jähriger an Herzversagen gestorben. Zu dem Herzversagen gekommen war es "durch seine ernsthaften Vorerkrankungen sowie die Anstrengungen beziehungsweise Folgen der Corona-Infektion", wie es vom Kreis hieß. Er ist demzufolge nicht an der Corona-Infektion selbst gestorben. Er würde ohne sie aber wohl noch leben.

"Die exakte Zuordnung einer Todesursache ist umso schwieriger, je mehr und je schwerere Erkrankungen insgesamt vorliegen", sagt Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie der Uniklinik Köln. Er hat für das Science Media Center eine im Fachmagazin "The Lancet" veröffentlichte Studie aus Wuhan zu 191 Covid-19-Patienten ausgewertet. 54 davon starben in Krankenhäusern. Dort war es aber "hoch wahrscheinlich", dass in den meisten Fällen die Lungenentzündung, verursacht durch SARS-CoV-2, tatsächlich die Todesursache war. Die Begleiterkrankungen der meisten Verstorbenen waren Bluthochdruck und Diabetes – in den meisten Fällen nicht unmittelbar tödlich.

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