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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Corona-Maßnahmen Staatsrechtler: "Man könnte im Notfall ganze Gebiete absperren"
Italiens Regierung geht drastisch gegen das sich ausbreitende Coronavirus vor. Das Land steht still. Ob es so weit auch in Deutschland kommen könnte, erklärt der Staatsrechtler Joachim Wieland.
In Italien sind Bars, Restaurants und Geschäfte für die kommenden Wochen geschlossen. Nur Supermärkte und Apotheken haben noch geöffnet. Ministerpräsident Giuseppe Conte hat die Maßnahmen gegen das Coronavirus damit ein weiteres Mal verschärft. In dem Land gibt es laut WHO derzeit über 12.400 Fälle von Infektionen mit Covid-19.
Auch in Deutschland haben sich bereits über 2.000 Menschen mit dem Virus infiziert. Prognosen sagen voraus, dass die Zahl hierzulande weiter steigen werde. Joachim Wieland, Staatsrechtslehrer an der Universität Speyer, erklärt im t-online.de-Interview, welche Maßnahmen nun auf die deutsche Bevölkerung zukommen könnten, was für Einschränkungen Bund und Länder im Notfall verfügen können und welche Grenzen das Grundgesetz setzt.
t-online.de: Herr Wieland, welche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie sind in Deutschland denkbar?
Joachim Wieland: In Deutschland sind praktisch alle Maßnahmen denkbar, die wir aktuell im Ausland sehen. Insbesondere können einzelne Personen abgesondert, also in Quarantäne gehalten werden. Man könnte im Notfall ganze Gebiete absperren. Wenn alle Länder mitziehen, dann könnte es irgendwann tatsächlich so kommen wie in Italien.
Könnte es irgendwann sogar so weit kommen, dass sich der Bund über die Länder stellt in dieser Angelegenheit?
Nein, Verwaltungsaufgaben und Krisenvorsorgen sind Sache der Länder. Der Bund könnte höchstens ein Gesetz erlassen, in dem er den Ländern Vorgaben macht. Es gibt ja beispielsweise das Infektionsschutzgesetz, das erlaubt es, jemanden in Quarantäne zu setzen. Umsetzen müssen das die Länder. Wenn man Städte oder Gemeinden oder ein größeres Gebiet absperren will, fällt das in die Zuständigkeit der Länder. Das nennt man Polizeirecht.
Was würde es bedeuten, wenn ganze Gebiete oder Städte in Deutschland abgeriegelt werden würden?
Das ist ein sehr weit gehender Eingriff. Das ist zulässig, aber die dafür Zuständigen müssen abwägen, welche Schäden dadurch entstehen würden. Es würde die Freiheit von uns allen beeinflussen und natürlich auch die Wirtschaft. Man muss sich fragen: Was ist der Nutzen? Aber wenn man zu dem Entschluss kommt, dass es zu bedrohlich ist, dann könnte auch eine solche Maßnahme ergriffen werden. Ich glaube allerdings, dass dies der letzte Schritt ist, wenn wirklich nichts anderes mehr möglich ist.
Wenn es tatsächlich zur Absperrung von Gebieten oder Städten kommen sollte, wie lange könnte man so etwas aufrechterhalten?
Da gibt es keine formelle Grenze, das kann man so lange machen, bis die Infektionsgefahr zurückgegangen ist. Aber je länger es dauert, desto mehr Ausnahmen wird man zulassen müssen. Wenn jemand dringende Dinge zu erledigen hat, wenn jemand schwer krank ist. Das ist ja in Italien offensichtlich auch so. Ganz strikt ist das nicht durchzuhalten. Dafür ist unsere Welt zu sehr miteinander verwoben. Aber die einschneidenden Maßnahmen sind einfach wichtig, weil die Kapazitäten der Ärzte und Pflegekräfte endlich sind.
Könnten diese Maßnahmen gefährlich werden für das demokratische System?
Ein demokratisches System gewinnt eher, wenn es zeigt, dass es auch mit solchen Krisen fertig werden kann. Dass die Menschen dann nicht nach einem starken Führer rufen, sondern dass unser System damit umgehen kann. Die Antwort lautet also: Es wird nicht gefährlich werden für die Demokratie.
- Gespräch mit Prof. Dr. Joachim Wieland
- WHO: Novel Coronavirus (COVID-19) Situation (engl.)
- mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- eigene Recherchen