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Organspende-Diskussion: Gesetze werden an unserer Angst nichts ändern


Meinung
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Organspende-Diskussion
Sind wir nicht verpflichtet, anderen zu helfen?

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

16.01.2020Lesedauer: 5 Min.
Spenden oder nicht? Das Thema Organspende spaltet die Deutschen.Vergrößern des Bildes
Spenden oder nicht? Das Thema Organspende spaltet die Deutschen. (Quelle: imago-images-bilder)

Freude und Grusel. Gewissheit und Zweifel. Heldentum und Zauderei. Weniges ist so widersprüchlich wie Organspende. Und die Politik kann nichts dagegen tun – wir Menschen dafür schon.

Gut, da ist die Liebe. Es gibt Menschen, die liebe ich über alles und für sie wünsche ich mir, dass alles Menschenmögliche getan wird, damit es ihnen gut geht. Wer möchte seine Liebsten nicht gesund um sich haben, bis ans Ende aller Tage? Doch dabei an den eigenen Tod denken? Daran, seine Lunge oder Bauchspeicheldrüse jemand anderem zu überlassen? Diese Vorstellung ist trotz allem sehr unangenehm.

Es gibt die Freude des Schenkens. Wie glücklich Kinder sein können, die beschenkt werden, durften viele gerade erleben – an Weihnachten. Wie glücklich werden Kinder erst sein, wenn sie weiterleben dürfen oder wenn sie ihre Mama oder ihren Papa nicht verlieren müssen, dank der ultimativen Gabe eines Herzens? Und dennoch steigt bei dem Gedanken wieder Unbehagen auf: Organe sind etwas Persönliches und Lebendiges. Das soll künftig in einem anderen Körper pulsieren? Gruselig ist das. Es erinnert irgendwie an Frankenstein.

Man denke an die Solidarität. Wer möchte nicht hilfsbereit sein und anderen Menschen, denen es schlecht geht, beistehen? Wir werden doch alle mehr oder weniger so erzogen. Und warum sollten Leber und Niere einfach in modriger Erde verrotten, wenn sie anderen helfen könnten? Aber wer garantiert, dass Ärzte Leber und Niere nicht vorschnell entnehmen, weil sie einen versehentlich für hirntot halten? Was bedeutet überhaupt hirntot? Ist man wirklich tot? Hirntote Menschen, die an medizinische Geräte angeschlossen werden, wirken mit ihrer warmen, rosigen Haut, den kleinen Reaktionen, dem gleichmäßigen Heben und Senken des Brustkorbs, als würden sie bloß schlafen.

Gehören Körper und Seele nicht zusammen?

Dann ist da noch die Heldenhaftigkeit einer Spenderin oder eines Spenders. Wer ein Organ gibt, wird in gewisser Weise geradezu verehrt. Aber kann man einen geliebten Menschen, über dessen Schicksal man bitterlich weinen muss, zum Ersatzteillager machen? Gehören Körper und Seele nicht zusammen? Bilden sie nicht eine Einheit? Wie kann man sie auseinanderreißen?


Organspende ist Dialektik. Es gibt viele Gründe dafür, zahlreiche Hemmschwellen stehen dagegen. Ich selbst dachte lange Zeit, dass ich nicht bereit wäre, meine Organe nach meinem Ableben spenden zu können. Zu groß war die Sorge davor, meine Organe würden mir noch in einem Zustand der Wahrnehmung entnommen.

Wirklich verändert hat meine ablehnende Haltung ein nahes Familienmitglied. Er hätte eine Organspende gebraucht, um weiterleben zu können. Seine Krankheit zog sich über viele Jahre hin. Zunächst sträubte er sich, ein fremdes Organ anzunehmen. Die Vorstellung war ihm zu fremd. Als er später so weit gewesen ist, eine Spende zu akzeptieren, war es für ihn zu spät. Er ist gestorben.

Eine Demutshaltung dem Leben gegenüber

Heute weiß ich, wenn ich schwer erkranken und ein Organ benötigen sollte, um weiterzuleben, würde ich es annehmen. Was selbstverständlich im Gegenzug bedeutet, ich würde meine Organe für den Fall der Fälle zur Verfügung stellen. Zentral für die Entscheidung, das, was von meinem Körper noch bleibt, in eure Hände zu geben, ist eine Demutshaltung dem Leben gegenüber und keine Angst vor dem eigenen Tod. "Organspender sind Glücksbringer unter unglücklichen Umständen", sagte mal jemand ganz treffend.


Machen wir es kurz: Organspenden scheitern zumeist an tiefsitzenden Ängsten und Unsicherheiten. Gesetze, wie sie der Bundestag nun beschlossen hat, werden daran nichts ändern – egal, ob die Abgeordneten für Widerspruchs-, Zustimmungs-, Entscheidungslösung oder Abwandlungen gestimmt hätten. Denn: Ein bürokratisches Abfragen der Spendenbereitschaft von Amts wegen ist so effektiv wie nasses, morsches Holz.

Kein Arzt und kein Priester erreicht dabei die Menschen

Nüchterne Aufklärung hilft ebenso wenig. Ärzte können so oft sie wollen versichern, dass hirntot tot bedeutet. Nur wenige Klicks im Internet ziehen diese Aussagen in Zweifel – ganz gleich, wie unbegründet die Zweifel sein mögen, sie nagen an den Menschen. Auch Religionsvertreter können täglich erklären, dass sie keine Einwände gegen Organspenden sehen, zum Kern des Problems dringen sie damit bei den Menschen nicht vor. Erfahrungsberichte von Todkranken, die ein Organ benötigen, mögen noch so berührend sein, vom Leid der Welt wendet man sich allzu leicht ab – und darauf warten, bis jeder selbst mit Organspenden konfrontiert wird, können wir nicht.

Das Thema Organspende braucht ein hohes Maß an Sensibilität, Einfühlungsvermögen und Geduld. Eine kalte Broschüre ist nichts gegen die warmen Hände, die während eines Gesprächs über Tod und Krankheit die eigene Hand ergreifen und in die man die seine gerne legt. Solch eine Vertrautheit kann Politik nicht erzeugen. So etwas können nur Menschen untereinander erzeugen.

Um die Bereitschaft zur Organspende zu erhöhen, braucht es persönliche Begegnungen. Die Gesellschaft kann daher nur eines tun: solche Begegnungen stiften und Menschen zusammenführen.

Gebt der Organspende ein Gesicht

Nachhaltig beeindruckt hat mich ein Foto, das vom Kind bis zu Oma und Opa verschiedene Personen zeigt. Sie alle halten ein Schild vor die Brust. Darauf steht eine Zahl. Die Zahl der Lebensjahre, die ihnen durch eine Organspende geschenkt wurden: 1 Jahr, 5 Jahre, 23 Jahre.

Der Organspende ein Gesicht verleihen und dabei positive Gefühle vermitteln, indem man Gerettete erlebt, ihre Entspannung und Lebendigkeit persönlich erfährt, ihren Geschichten lauscht. Darum muss es gehen…

…und anschließend darum, einen möglichst unbürokratischen Weg zum Organspendeausweis zu ebnen. Am besten über den Hausarzt, der seine Patienten bei Bedarf in regelmäßigen Abständen berät und gegebenenfalls alles Nötige in die Wege leitet. Der Ansatz der Abgeordnetengruppe um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock, den der Bundestag beschlossen hat, gibt hierzu gute Impulse. Die Entscheidung, gegebenenfalls Organspender zu sein, ist schwierig genug, als dass man sich noch mit Behördenkram herumschlagen müsste.

Genau hier liegen die Aufgaben der Politik: Abläufe sinnvoll gestalten, Kliniken vernünftig organisieren, um Organspendeskandale wie 2012 zu verhindern. Die aktuelle Gesetzgebungsinitiative wird am Ende wenig zur Erhöhung der Spendenbereitschaft beitragen, sinnvoll war sie dennoch, weil sie das Thema aufs Tapet gebracht hat. Alles und jeder, der uns darüber nachdenken lässt, ist gut und wichtig.

Denn jeder Mensch sollte sich entscheiden. Wenn schon nicht aus Eigeninteresse heraus, dann vielleicht aus Rücksicht auf seine Liebsten. Wer jemals in einer Intensivstation vor einem Krankenbett stand und entscheiden musste, ob die Geräte abgestellt werden und man einen geliebten Menschen für immer und ewig ziehen lässt, wird dankbar dafür sein, wenn dieser sich zuvor selbst geäußert und eine Entscheidung getroffen hat. Die Last, gänzlich auf Ehe- oder Lebenspartner, Eltern oder Kinder, Geschwister oder Großeltern abzuschieben, ist hart. Reicht denn nicht der Schmerz, den ihnen das eigene Ableben bereitet?

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e. V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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