Ende der Eiszeit? Von Trump vergrätzt sucht Merkel Putins Nähe
Die transatlantischen Beziehungen haben seit dem Amtsantritt Donald Trumps gelitten. Da wirkt Merkels Besuch in Moskau ungewohnt harmonisch – wird der Kreml zum neuen Partner Deutschlands?
Nach der russischen Annexion der Krim 2014 herrschte Eiszeit in den deutsch-russischen Beziehungen. Zwar hielt Kanzlerin Angela Merkel Kontakt zu Russlands Präsident Wladimir Putin. Aber gemeinsame Pressekonferenzen gerieten meist zu einem spannungsgeladenen Schlagabtausch. Doch als Kanzlerin und Präsident am Samstag im Kreml vor die Presse traten, wirkte das Duo plötzlich so harmonisch wie seit Jahren nicht mehr.
Sowohl in der Frage des Atomabkommens mit Iran als auch beim Bau der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 stellten sich beide gemeinsam gegen US-Präsident Donald Trump. "Es ist erfreulich, dass Deutschland und Russland trotz fortbestehender Differenzen zur Krim-Annektierung international wieder mehr kooperieren", sagte der CDU/CSU-Fraktionsvize Johann Wadephul deshalb zu Reuters.
"Mehr Meinungsverschiedenheiten als Gemeinsamkeiten"
Das klingt wie eine diplomatische Zeitenwende, die sich schon 2019 andeutete. Merkel hatte Putin nicht nur Anfang Dezember in Paris gesehen, sondern auch mehrfach mit ihm telefoniert. Dafür gibt es nach Ansicht von EU-Diplomaten mehrere Gründe. Einer davon liege in Washington: Denn Trumps Rückzug aus internationalen Abkommen, das sinkende Engagement der Supermacht im Nahen Osten sowie die Sanktionen, mit denen die USA Regierungen weltweit zur Gefolgschaft zwingen wollen, bringen Deutschland und Russland trotz aller Differenzen zusammen.
SPD-Außenpolitiker Nils Schmid sieht dabei allerdings ein Wahrnehmungsproblem: Es gebe eigentlich keine größere Nähe zu Russland, weil der Dialog eine wichtige Konstante der deutschen Außenpolitik sei. "Neu ist eher, dass sich mit den USA derzeit mehr Meinungsverschiedenheiten als Gemeinsamkeiten zeigen", sagte Schmid zu Reuters.
Merkel: Deutsche Interessen verfolgen
Merkel verwies in Moskau darauf, dass in der Außenpolitik sehr kühl der Eigennutz definiert werde. "Wir tun gut daran, zu schauen, wo wir Gemeinsamkeiten bei diesen Interessen haben." Und die sieht die Bundesregierung an etlichen Stellen wie etwa der Ukraine. Zwar gibt es keinerlei Anzeichen Russlands, die Annexion der Krim rückgängig zu machen. Aber seit dem Amtsantritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gibt sich Putin im Konflikt in der Ostukraine kompromissbereiter. Mit der Vereinbarung eines Waffenstillstands, dem Austausch von Gefangenen und der Vorbereitung von Kommunalwahlen scheint der Weg offen, die Lage so zu stabilisieren, dass nicht wöchentlich Menschen sterben. Also soll verhandelt werden.
USA ist scharfer Kritiker von Nord Stream 2
Dazu kommt das gemeinsame Interesse an der Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 – trotz des heftigen Widerstands der USA sowie einiger osteuropäischer und baltischer Staaten. Merkel machte in Moskau deutlich, dass sie die US-Kritik für deplatziert hält. Zumal Deutschland zusammen mit der EU ein neues Gasabkommen zwischen Russland und der Ukraine abschließen half, das Kiew auch weiter Transiteinnahmen für den Gastransport nach Westen sichert. "Nord Stream 2 zeigt, dass wir stets eine Basis für Zusammenarbeit und Kooperation gesehen haben", sagt der CDU-Außenpolitiker Wadehul deshalb.
Die intensivierten Kontakte haben noch einen anderen Grund – die Schwäche der EU und der USA. "Ohne oder gegen Russland sind die großen Krisen in der Peripherie Europas nicht zu lösen. Zumal Moskau das Vakuum besetzt hat, das die USA etwa im Nahen Osten hinterlassen." Nach Einschätzung der Bundesregierung hat sich Russland zum entscheidenden Spieler in Kriegen wie in Syrien oder Libyen entwickelt – was nach Ansicht des Grünen-Außenpolitikers Omid Nouripour auch Schuld der EU ist. "Die neue Stärke Putins kommt nicht nur durch die Unberechenbarkeit Trumps, sondern auch durch die Mutlosigkeit der Europäer", sagte er zu Reuters. SPD-Außenpolitiker Schmid fordert nun, Russland stärker in die Pflicht zu nehmen. Immerhin liefere Moskau Waffen und unterstütze in Libyen mit General Chalifa Haftar eine Kriegspartei.
Auch Frankreich ist an Dialog interessiert
Erleichtert werden die Gespräche mit Moskau nach Schmids Meinung dadurch, dass auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen Dialog wolle. Damit zögen Berlin und Paris endlich an einem Strang, meinte der SPD-Politiker. "Deshalb ist dies kein Wettrennen darum, wer nun die intensivere Russland-Politik in der EU verfolgt." Vielmehr habe Macron an keinem Punkt die EU-Positionen gegenüber Moskau aufgeweicht, betonte Schmid angesichts der Kritik aus Osteuropa am französischen Präsidenten. Tatsächlich setzten Merkel und Macron auf dem EU-Gipfel im Dezember trotz der häufigen Gespräche mit Putin die erneute Verlängerung der im Ukraine-Krieg verhängten EU-Sanktionen gegen Russland durch.
Den Verdacht, man strebe eine Gleichwertigkeit der Beziehungen zu Washington und Moskau an, wischt man in der Bundesregierung ohnehin als unsinnig beiseite. "Bei allen massiven Problemen mit Trump bleiben die USA unser Wertepartner und Alliierter, während der Kreml Teile anderer Staaten annektiert und die Opposition unterdrückt", sagte Nouripour.
- Nachrichtenagentur Reuters