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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Russland unter Mordverdacht "Das wäre Staatsterrorismus auf deutschem Boden"
Steckt Russland hinter dem Mord an einem Georgier in Berlin? Die Indizien sprechen für ein Attentat in staatlichem Auftrag. Russland-Experte Julius Freytag warnt im Interview vor einem großen Konflikt.
Der mutmaßliche Auftragsmord an einem Georgier in Berlin sorgt für eine schwere diplomatische Krise zwischen Deutschland und Russland. Die Bundesregierung weist im Zusammenhang mit dem Mordfall zwei russische Diplomaten aus. Moskau kündigt daraufhin Vergeltungsmaßnahmen an. Der Russland-Experte Julius Freytag ordnet die Situation im Interview mit t-online.de ein – und hält Sanktionen nicht für ausgeschlossen.
t-online.de: Was passiert gerade zwischen Moskau und Berlin?
Julius Freytag: Es scheint sich ein großer Konflikt zu entwickeln, vergleichbar mit dem nach dem Mord an dem ehemaligen Agenten Skripal in Großbritannien. Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ist in Europa ein erklärter Staatsfeind Russlands ermordet worden. Und zum zweiten Mal scheinen Indizien darauf hinzudeuten, dass der russische Staat darin verwickelt sein könnte. Das bedeutet eine Eskalation in den Beziehungen.
Die deutsche Antwort zeigt, dass man das ernst nimmt, aber noch Ermittlungsergebnisse abwartet. Dass die Generalbundesanwaltschaft, die höchste Ermittlungsbehörde in Deutschland, den Fall jetzt übernommen hat, zeigt seine politische Dimension. Auch dass die deutschen Behörden schon so weit gegangen sind, Ergebnisse zu veröffentlichen, die einen russischen Zusammenhang vermuten lassen, deutet darauf hin, dass die Eskalation bereits stattgefunden hat.
Was macht die Situation so brisant?
Es sind ganz schwerwiegende Anschuldigungen. Wenn der russische Staat in Deutschland tatsächlich Morde begeht, dann wäre das eine Form von Staatsterrorismus auf deutschem Boden. Die deutschen Behörden haben soweit darauf geantwortet, dass sie anscheinend zwei Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes, die offiziell in Deutschland als Diplomaten angemeldet waren, zur Persona non grata erklärt haben. Das ist eine ganz spezifische und gezielte Maßnahme milderen Umfangs.
Welche härteren Maßnahmen sind denkbar?
Härtere Maßnahmen wären Sanktionen – oder eine andere Antwort, die die Drastik der Geschehnisse im bilateralen Verhältnis ausdrückt. Wenn nur zwei Geheimdienstmitarbeiter ausgewiesen werden, ist das, wenn sich die Anschuldigungen erhärten, eine sehr milde Antwort. In Großbritannien antwortete im Fall Skripal die russische Seite auf die Ausweisungen eigener Diplomaten so, dass auch sie Diplomaten und Geheimdienstmitarbeiter ausgewiesen haben. Erfahrungsgemäß ist eine solche russische Antwort auch in dem deutschen Fall wahrscheinlich.
Wie geht es jetzt weiter?
Man kann nur hoffen, dass die russischen Behörden jetzt anfangen, in der Ermittlung des Mordes zu kooperieren. Bisher streitet die russische Seite jeglichen Zusammenhang ab, war aber auch nicht bereit, auf die Vorwürfe einzugehen, dass der mutmaßliche Mörder nach einem Mord an einem Geschäftsmann vor noch wenigen Jahren zur Internationalen Fahndung ausgeschrieben wurde – er aber kurz danach wieder von der Fahndungsliste genommen und wenig später mit einem russischen Pass ausgestattet wurde.
Julius von Freytag-Loringhoven, geboren 1981, leitet seit 2012 das Moskauer Büro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und ist der stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Boris Nemtsov Stiftung. Von Freytag-Loringhoven studierte Politik, Philosophie und Volkswirtschaftslehre in München und Brüssel.
Der mutmaßliche Mörder stand nach Berichten des Spiegels und einer Gruppe investigativer Journalisten unter dem Schutz russischer Behörden: Durch einen Sperrvermerk der russischen Einreisebehörde in seinem Pass, kann dieser nicht eingesehen werden. Das, sowie konkrete Hinweise zum russischen Verteidigungsministerium, werten die Ermittlungsbehörden als starkes Indiz. Auch seien keine Ausreisedaten über ihn vorhanden, heißt es, obwohl es offensichtlich ist, dass er vor kurzem von Russland in die Europäische Union geflogen ist.
Sollte Russland nicht kooperieren – wie wahrscheinlich sind Maßnahmen wie Sanktionen?
Ich halte Sanktionen nicht für ausgeschlossen. Das hängt aber auch vom öffentlichen Druck ab. In Großbritannien sahen sich die Behörden unter öffentlichem Druck gezwungen im Fall Skripal zu reagieren. In Deutschland ist so eine starke öffentliche Reaktion bisher noch nicht zu verzeichnen. Die Medien berichten über den Fall, aber es hat noch niemand umfangreiche Antworten von deutscher Seite gefordert.
Was bedeutet die Situation für die deutsch-russischen Beziehungen?
Sie bedeutet einen Tiefpunkt für die deutsch-russischen Beziehungen. Die Bundesregierung und der Großteil der deutschen Parteien, auch in der Opposition, vertreten eine Linie, in der man sagt: Wir wollen mit Russland kooperieren, wir wollen unsere Beziehungen verbessern – und das trotz der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, der Menschenrechtsverletzungen und dem Krieg in der Ostukraine. Wir wollen auf diese Probleme hinweisen, aber trotzdem die Beziehungen verbessern.
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Wenn tatsächlich ein von Russland beauftragter Mord auf deutschem Boden stattgefunden hat, dann muss man sich rechtfertigen: Wie kann man kooperieren, wenn im eigenen Land gemordet wird?
- Das Interview wurde am 4.12.2019 telefonisch geführt.