Arbeitsgruppe tagt Durchbruch bei Grundrente nicht in Sicht
Berlin (dpa) - Trotz wachsenden Erfolgsdrucks ist eine schnelle Einigung im Koalitionsstreit um eine Grundrente nicht in Sicht. Das teilten Teilnehmer nach dem ersten Treffen einer hochrangig besetzten Arbeitsgruppe am Freitag in Berlin übereinstimmend mit.
Insbesondere in der SPD ist eine breit bemessene Grundrente für viele ein soziales Prestigeprojekt und zentral für den Fortbestand der Koalition. Die Union will andere Prioritäten setzen.
"Eine schnelle Lösung erwarte ich gerade nicht", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nach dem Treffen. Was Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bisher vorgestellt habe, habe wenig mit dem von Union und SPD im Koalitionsvertrag Vereinbarten zu tun. Weitere Treffen in den kommenden Wochen seien nötig.
Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagte dem "Spiegel": "Eine Grundrente einzuführen, die uns in den nächsten Jahren Milliarden mehr als geplant kosten würde, ist einfach nicht zeitgemäß." Priorität hätten das Klima, Technologie und Innovation sowie die Wettbewerbsfähigkeit.
Am Morgen hatte sich die Arbeitsgruppe erstmals im Kanzleramt getroffen - unter anderem mit Heil, Dobrindt, Kanzleramtschef Helge Braun (CDU), Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Thüringens CDU-Chef Mike Mohring, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) und Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). Heil zeigte sich im "Mittagsmagazin" der ARD zuversichtlich, dass Union und SPD einen Kompromiss finden. "Ich glaube, dass eine Lösung möglich ist", sagte er. Es müsse aber noch weiter verhandelt werden.
KOALITIONSVERTRAG UND HEIL-KONZEPT:
Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD vereinbart, dass alle, die 35 Jahre an Beitragszeiten oder Zeiten der Kindererziehung oder Pflege aufweisen, eine Rente zehn Prozent oberhalb der Grundsicherung bekommen sollen. "Voraussetzung für den Bezug der Grundrente ist eine Bedürftigkeitsprüfung entsprechend der Grundsicherung", heißt es dort. Denn nicht alle Menschen mit kleiner Rente sind arm dran - etwa wenn sie in einem gutsituierten Haushalt leben. Bereits die früheren Arbeitsministerinnen Ursula von der Leyen (CDU) und Andrea Nahles (SPD) waren mit ähnlichen Projekten gescheitert.
Heil und die SPD pochen bisher jedoch darauf, dass es keine Prüfung der Bedürftigkeit geben soll. Bereits im Mai, kurz vor der Europawahl, hatte der Minister einen Entwurf vorgelegt, wonach rund drei Millionen Menschen die Grundrente beziehen sollten. Er veranschlagte Kosten von 3,8 Milliarden Euro pro Jahr, die in vier Jahren auf 4,8 Milliarden Euro steigen sollten. Von der Union kam ein Aufschrei: So sei das Konzept keinesfalls zu akzeptieren.
STAND DER VERHANDLUNGEN:
Nach Gesprächen zwischen Heil und Braun verlautete vergangene Woche aus Koalitionskreisen, es gebe einen Einigungskorridor. Geprüft werden solle noch das Einkommen der Betroffenen - nicht aber das Vermögen oder bewohntes Wohneigentum. Über zwei Millionen Menschen sollen von dem geplanten Aufschlag für Minirenten profitieren.
Heil betonte am Freitag: "Über Zielgenauigkeit können wir reden, aber nicht über unnötige Bürokratie, die die Menschen traktiert." Dobrindt stellte allerdings klar: "Es gibt einen Kompromiss, und er steht im Koalitionsvertrag." Er stehe zur Grundrente - aber: "Wenn man etwas ganz anderes will, dann muss man wissen, dann dauern Beratungen erstens länger, zweitens sind sie mit der Unsicherheit ausgestattet, dass man nicht weiß, ob es so auflösbar ist."
SPD-Mann Tiefensee machte den Anspruch deutlich, mit der Grundrente "tatsächlich vielen Menschen" zu helfen: "Das ist die Friseurin, die tagtäglich gearbeitet hat, das ist der Handwerksgeselle, das ist der Facharbeiter in der Industrie, der insbesondere im Osten, aber nicht nur im Osten lange gearbeitet hat, aber trotzdem in die Grundsicherung fällt."
PROBLEME:
Bereits ohne Grundrente steigt der Steuerzuschuss an die Rentenversicherung 2020 erstmals auf mehr als 100 Milliarden Euro. Und das Armutsrisiko dürfte in den kommenden Jahren deutlich wachsen - unter anderem wegen prekärer Beschäftigung, verbreiteter Teilzeitarbeit und Unterbrechungen des Berufslebens. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Instituts DIW könnte der Anteil von Armut bedrohter Ruheständler bis 2039 von 16,8 auf 21,6 Prozent steigen. Die Grundrente aber sei dagegen "nicht hinreichend zielgenau". Zwar ließe sich damit die Armutsrisikoquote auf 18,4 Prozent begrenzen. Aber viele Bezieher eines Aufschlags lebten in Haushalten mit Einkünften oberhalb des Existenzminimums.
NEUE FORDERUNG:
Mohring teilte mit: "Wir haben noch ein paar Fragen formuliert, die wir jetzt klären müssen." So forderten Mohring, Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Chef Vincent Kokert Verbesserungen für viele künftige ostdeutsche Rentner. Für sie seien die geplanten Hürden oft zu hoch, "da die Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht berücksichtigt werden", schrieben sie in einem Brief an Braun, der der dpa vorliegt und über den der "Spiegel" zuerst berichtete. Bis 2008 aber sei in Ostdeutschland eine strukturell hohe Arbeitslosigkeit zu verzeichnen gewesen. "Diese Benachteiligung ostdeutscher Rentnerinnen und Rentner können wir nicht akzeptieren."
Ob der Streit um die Grundrente bis zu Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober gelöst wird, ist laut Mohring und Tiefensee offen. "Wir haben noch einen langen Weg vor uns - offenbar länger, als ich mir das gewünscht hätte", sagte Tiefensee.