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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Grünen-Spitzenkandidatin Nonnemacher "Wir dürfen die AfD nicht größer machen, als sie ist"
Es wird knapp bei der Wahl in Brandenburg, ohne die Grünen gibt es wohl keine Regierung. Ursula Nonnemacher erklärt, warum die Partei auf einmal so stark ist – und mit wem sie regieren würde.
Ursula Nonnemacher könnte die Königsmacherin in Brandenburg werden. Nach der Landtagswahl am Sonntag werden wohl mindestens drei Parteien eine Regierung bilden müssen, und die Grünen werden für alle realistischen Optionen gebraucht. Dabei hatte es die Partei in Brandenburg lange Zeit sehr schwer.
Im Interview mit t-online.de spricht die Grünen-Spitzenkandidatin darüber, welche Fehler die Grünen mit Blick auf den Osten früher gemacht haben, woher der plötzliche Aufschwung kommt – und mit welchen Parteien sie in Brandenburg am besten zusammenarbeiten könnten.
Frau Nonnemacher, Ihre Grünen in Brandenburg lagen in Umfragen über Wochen gleichauf mit SPD, CDU und Linken. Inzwischen haben Sie zwar wieder etwas eingebüßt, ohne die Grünen kommt aber wohl keine Regierung zustande. Woher kommt der plötzliche Erfolg?
Der hat viele Mütter und Väter. Wir haben bundespolitisch einen sehr guten Lauf. Mit den Vorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock sind wir super aufgestellt. Sie sprechen ein breites Publikum an. Hier in Brandenburg haben wir uns zehn Jahre im Landtag gut präsentiert als eine zwar kleine, aber inhaltlich starke Partei, die aus der Opposition heraus einiges bewegt hat. Was aber am allerwichtigsten ist: Unsere Themen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Früher war Klimawandel ein sehr abstraktes Thema, heute spürt man ihn. Wir haben große Probleme mit der Dürre, im Süden Brandenburgs haben vor Kurzem noch Hunderte Hektar Wald gebrannt.
Ein weiteres oft bemühtes Argument für den Aufstieg der Grünen lautet: Sie seien eine der wenigen Parteien, die sich klar gegen die AfD und für Flüchtlinge ausspreche und somit weltoffene Wähler an sich binde. In Brandenburg liegt die AfD aber schon seit Jahren in Umfragen bei rund 20 Prozent. Der Aufstieg der Grünen kam erst in diesem Jahr. Gibt es diesen Zusammenhang gar nicht?
Ich bin keine Freundin von einfachen Erklärungen. Die Beobachtung ist aber richtig. Die AfD ist schon seit längerer Zeit so stark, wie sie bedauerlicherweise ist. Dennoch ist der Hype um eine AfD, die angeblich immer stärker wird, nicht gerechtfertigt. Wir dürfen die AfD nicht größer machen, als sie ist.
Die Grünen haben es in Ostdeutschland besonders schwer, hieß es immer. Im Moment sind sie aber nicht nur in Brandenburg, sondern auch in Sachsen stark. War die Diagnose falsch?
Wir hatten es als Grüne im Osten lange Zeit nicht leicht. Unsere Wurzeln liegen zwar in der Bürgerbewegung der DDR, wir tragen Bündnis 90 im Namen. Doch die Bürgerbewegung hat zwar eine entscheidende Rolle bei der friedlichen Revolution vor 30 Jahren gespielt, sie konnte das später aber nicht in politischen Einfluss umsetzen. Bündnis 90 hat bei der freien Volkskammerwahl 1990 nur knapp drei Prozent bekommen. Von 1994 bis 2009 waren Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg gar nicht im Parlament vertreten. Für die Menschen, die in der DDR sozialisiert wurden, waren wir bislang eher eine Westpartei. Das ändert sich jetzt.
Wurde Ostdeutschland von der Bundespartei zu lange vernachlässigt?
Im Jahr 1990 sind die Westgrünen vor dem Zusammenschluss mit Bündnis 90 einmal aus dem Bundestag geflogen. Sie hatten damals der Wiedervereinigung nicht die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet mit ihrem Slogan "Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter". Das war kein Highlight unserer Geschichte. Gemachte Fehler wurden aber schnell korrigiert. Bündnisgrüne Stimmen aus dem Osten haben in der Bundespartei seitdem deutlich an Gewicht gewonnen. Im Moment erfahren wir eine Welle der Unterstützung und Hilfsbereitschaft, von der Bundesebene und auch aus anderen Landesverbänden.
Sie kommen derzeit viel rum. Was sind das für Menschen, die jetzt auf einmal die Grünen wählen?
Wir sprechen inzwischen das volle gesellschaftliche Spektrum an. Waren wir bislang vor allem bei den Jüngeren stark, bei Frauen und Akademikern, erfahren wir nun auch vermehrt Zustimmung von Menschen, die zum Beispiel als Altenpfleger oder Erzieherin arbeiten. Wir kommen für Leute in Betracht, die uns früher seltener gewählt haben.
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Warum können Sie diese Wähler derzeit von sich überzeugen?
Weil wir glaubwürdig sind. Wir haben auch bei heiklen Themen wie dem Kohleausstieg immer Kurs gehalten. Früher sind wir dafür beschimpft worden. Aber es hat sich gezeigt, dass der Ausstieg richtig und unvermeidlich ist.
Sie plakatieren "Hallo Klima. Tschüss Braunkohle". Was haben Kohlearbeiter in der Lausitz von Ihnen zu erwarten?
Wir wollen, dass der Strukturwandel dort gelingt. Wir haben immer kritisiert, dass es verschleppt worden ist, ihn nachhaltig zu gestalten. Es hat sich ja schon viel verändert. Nach der Wiedervereinigung hatten wir 80.000 Arbeitsplätze in der Kohle, heute sind es noch 8.000. Aber es sind natürlich gut bezahlte Industriearbeitsplätze. Wir verstehen die Sorgen der Menschen. Wir möchten, dass ihnen neue Angebote gemacht werden.
Zum Beispiel?
Indem die Milliarden, die nun in die Lausitz fließen, sinnvoll investiert werden. Beispielsweise in die Infrastruktur, in Forschung zu Erneuerbaren Energien und Speichertechnologien oder in den Gesundheitsbereich. Aber auch durch konkrete Unternehmensansiedlungen. Wir sind optimistisch, dass viele der gut qualifizierten Menschen in der Lausitz schnell wieder Arbeit finden. Wir haben ja eher das Problem, dass wir auf einen großen Fachkräftemangel zusteuern. Wir müssen aber auch ein Klima schaffen, in dem sich Unternehmen ansiedeln wollen.
Was meinen Sie damit?
Die Stärke der AfD und die rassistischen Demonstrationen von "Zukunft Heimat" hemmen die Entwicklung der Lausitz. Multinationale Konzerne werden sich nicht in einer Region ansiedeln, in der ihre Mitarbeiter mit rassistischen Übergriffen rechnen müssen. Wir wollen deshalb einen Teil der Milliarden dafür verwenden, zivilgesellschaftliche Projekte zu stärken.
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Die Regierungsbildung dürfte nach der Wahl schwierig werden. Den Grünen fällt wohl die Rolle der Königsmacher zu. Mit wem würden Sie am liebsten regieren?
Wir steuern auf eine schwierige Regierungsbildung zu. Es wäre falsch, sie durch viele rote Linien, durch "Ausschließeritis" noch schwieriger zu machen. Wir grenzen uns in aller Entschiedenheit von der AfD ab. Die AfD ist in Brandenburg ganz weit rechtsaußen, die Grenzen zum Rechtsextremismus sind zum Teil überschritten. Mit ihr wird es keine Zusammenarbeit, keine Gespräche geben. Abseits davon wäre es in dieser schwierigen Lage aber falsch, Koalitionen von vornherein auszuschließen.
Sie haben die SPD für ihre Gutsherrenart in Brandenburg kritisiert und würden eher mit CDU-Chef Ingo Senftleben als mit SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke ein Bier trinken. Das klingt nach einer Tendenz zur CDU.
So würde ich das nicht interpretieren. Als Opposition haben wir unsere Kritik natürlich vor allem an die rot-rote Landesregierung adressiert und an die SPD, die hier seit 1990 regiert. Sie verantwortet die Dinge, die wir am stärksten kritisieren. Etwa die Braunkohlepolitik und die Agrarpolitik. Mit der Linkspartei hatten wir da weniger Probleme.
Und die CDU?
Wir haben in der Opposition mit der CDU gut zusammengearbeitet. Das zeigte sich beispielsweise im Bildungs- und im Verkehrsbereich. Wir freuen uns, dass CDU-Chef Ingo Senftleben seine Partei auf einem liberalen Merkel-Kurs gehalten und sich immer klar von der AfD abgegrenzt hat. Aber es gibt auch klare Differenzen, etwa in der Innenpolitik.
Eine Koalition mit der CDU ist nichts, was in der DNA der Grünen liegt. Mit einem möglichen Bündnis aus CDU, Grünen und Linkspartei könnte sie aber möglich werden. Würde das Ihre Basis in Brandenburg mitmachen?
Das ist eine Koalition, die hier vor anderthalb Jahren mal vorsichtig von Ingo Senftleben ins Gespräch gebracht worden ist …
… vorsichtig ist gut: In der CDU hat das erwartbar hohe Wellen geschlagen.
Ich habe das für einen vernünftigen Schritt von Senftleben gehalten. Wir sind hier in Ostdeutschland, es gibt solche Bündnisse zwischen CDU und Linken in mehreren Kommunen. Da arbeiten sie unaufgeregt zusammen. Zwei strukturkonservative Parteien kommen pragmatisch miteinander klar. Senftleben verkündet seit zwei Jahren, dass er Ministerpräsident werden und die SPD ablösen will. Zudem zeichnet sich ab, dass es bei der nächsten Landesregierung auf eine Dreierkonstellation hinauslaufen wird. Da ist es nicht falsch, mal zu sagen, wie eine Konstellation aussehen könnte, in der die SPD nicht vorkommt.
Wären Sie denn dabei?
Wir wären zumindest gesprächsbereit. Aber Senftleben ist von der Bundes-CDU dafür stark kritisiert worden. Auf dem Parteitag der CDU in Brandenburg hat er auch viel Gegenwind bekommen. In der Linkspartei gibt es ebenfalls sehr große Vorbehalte gegenüber der CDU. Beide schließen das Bündnis nicht kategorisch aus, aber es ist trotzdem eher unwahrscheinlich.
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So viele andere mögliche Dreierkonstellationen gibt es aber nicht. Würden Sie auch als dritter Partner von SPD und Linken zur Verfügung stehen und den beiden Parteien somit ermöglichen, weiterzuregieren?
Zentral ist für uns, dass wir in einer Regierungskoalition möglichst viele grüne Inhalte umsetzen können. Rot-Rot-Grün ist für uns eine Option wie andere Bündnisse auch. Es wäre ein fatales Signal, wenn keine stabile Regierung zustande käme. Es müsste aber klar sein, dass SPD und Linke dann nicht weitermachen können, wie gehabt. Wir werden nicht Mehrheitsbeschaffer für eine abgewählte Regierung sein. Es müsste ein Bündnis auf Augenhöhe sein, und eines mit völlig neuer Ausrichtung.
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