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Erika Steinbach fachte Hass auf Walter Lübcke neu an


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Neue Morddrohungen
Erika Steinbach heizte Hass auf Walter Lübcke neu an


Aktualisiert am 17.06.2019Lesedauer: 5 Min.
Walter Lübcke ist in der Nacht zum Sonntag getötet worden. Motiv und Täter sind unklar. Er war jedoch Morddrohungen ausgesetzt. Im Februar 2019 waren alte Berichte recyclet worden.Vergrößern des Bildes
Walter Lübcke ist in der Nacht zum Sonntag getötet worden. Motiv und Täter sind unklar. Er war jedoch Morddrohungen ausgesetzt. Im Februar 2019 waren alte Berichte recyclet worden. (Quelle: Benjamin Springstrow)

Ermittler vermuten, dass Walter Lübcke Opfer eines rechtsextremistischen Anschlags wurde. Sicher ist, dass Hass gegen ihn immer wieder neu entfacht wurde.

Rechte Blogs haben im Jahr 2019 eine neue Welle von Hass gegen den getöteten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke losgetreten und neue Morddrohungen ausgelöst. Der Fall zeigt, wie ohne jeden aktuellen Anlass in sozialen Medien erfolgreiche Texte zur Stimmungsmache recycelt werden.

Die frühere CDU-Politikerin Erika Steinbach hatte sich daran mit mindestens vier Postings beteiligt. Sie reagierte auch nicht, als unter ihrem Posting im Februar 2019 in den Kommentaren Menschen Morddrohungen äußerten. Beiträge wie "An die Wand stellen!" und Fotos mit Pistolen oder Galgen standen dort auch am Mittwoch noch unkommentiert.

Motiv für Tat ist noch unklar

Der getötete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war bei einer Bürgerversammlung am 14. Oktober 2015 zu einer Hassfigur in der rechten Szene geworden. Die Reaktionen damals hatten auch zu Spekulationen über ein mögliches politisches Motiv geführt.

Die Bundesanwaltschaft geht nach der Festnahme eines 45-Jährigen davon aus, dass die Tat zumindest einen rechtsextremistischen Hintergrund hat. Die Polizei prüfte nach der Tat auch die jüngeren Mordaufrufe und bedankte sich für entsprechende Hinweise auf Twitter. Es gibt aber keine Anhaltspunkte, dass Beiträge im Netz für den in Kassel lebenden Tatverdächtigen eine Rolle gespielt haben könnten.

Drei Sätze hatten Lübcke 2015 den Hass eingebracht. Nach hitzigen Zwischenrufen wie "Scheiß Staat" unter anderem aus dem örtlichen Pegida-Umfeld hatte Lübcke damals bei der Bürgerversammlung gesagt: "… es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen."

Er verteidigte die Aussage später: Er habe die Menschen angesprochen, die ihre Verachtung unseres Staates artikuliert hätten. Bei dem noch am Abend hochgeladenen Video der Szene wird diese Vorgeschichte jedoch nicht ersichtlich. Verbreitet wurde es mit der überspitzten Botschaft, dass der CDU-Politiker allen die Ausreise empfiehlt, die kritisch zur Flüchtlingspolitik eingestellt seien.

Blogs griffen Fall plötzlich wieder auf

Was bisher wenig bekannt war: Die Szene, die damals hohe Wellen geschlagen und zu zeitweiligem Polizeischutz für Lübcke geführt hatte, ist in diesem Jahr neu verbreitet worden. t-online.de hat zwei Blogs finden können, die den Vorfall im Februar 2019 völlig zusammenhanglos und ohne direkten Hinweis auf das Datum neu aufgegriffen haben. Sie lösten jeweils neue Empörung und Wut unter Nutzern aus.

Einer der beiden Blogs ist nun nach dem Tod von Walter Lübcke komplett vom Netz verschwunden. Es finden sich nur noch gesicherte Beiträge in Internetarchiven. Der anonyme Betreiber, angeblich langjähriger Personalleiter mittelständischer Unternehmen, hatte in einem Facebookbeitrag angegeben, mehrere Hunderttausend Besucher zu haben. Er bezeichnete sich als "Nazi", als "Nicht-an-Zuwanderung-Interessierter".

Sein Beitrag über Lübcke wurde am 6. Februar veröffentlicht und mehr als 3.500 Mal geteilt. Ein seit Jahren bekannter Blog aus dem Reichsbürgerspektrum griff den Beitrag umgehend bei sich auf, ebenfalls ohne Hinweis darauf, dass die vermeintliche Nachricht alt ist. Walter Lübcke wurde wieder zur Zielscheibe von Hass. Michael Conrad, sein früherer Sprecher, konnte nicht sagen, ob Lübcke das registriert und wie sehr es ihn belastet hat.

Erika Steinbach verhalf zur Reichweite

Reichweite bekam die neue alte Meldung durch Erika Steinbach. Sie postete den Beitrag am 18. Februar mit der Überschrift im Bild "CDU-Politiker: 'Asylkritiker' können dieses Land jederzeit verlassen". Steinbach schrieb dazu an ihre 80.000 Twitter-Follower: "Zunächst sollten die Asylkritiker die CDU verlassen, bevor sie ihre Heimat aufgeben!"

Auch an ihre mehr als 40.000 Facebook-Abonnenten schickte sie das Posting. Aus dem Posting lässt sich ein Hinweis herauslesen, dass es sich nicht um eine neue Nachricht handelte: "Nichts hat sich nämlich wirklich gebessert (...)", schrieb sie dazu.

Steinbach dürfte gewusst haben, dass sie eine alte Information verbreitet. Die Ex-Abgeordnete der CDU Hessen hatte im Mai 2017 schon einmal einen Link zum Vorfall um ihren früheren hessischen Parteifreund auf Twitter und Facebook gepostet. Ihre Kommentierung: "Irgendwann verschlägt es einem die Sprache!"

Die gleiche Formulierung hat sie am 4. Juni zwei Tage nach Bekanntwerden des Todes wieder genutzt: Es verschlage einem die Sprache, wenn über den Tod eines Menschen gejubelt werde. "Der Hass von Extremisten jeglicher Art ist unerträglich", so die Politikerin. Diesen Tweet jedoch löschte sie wieder.

Steinbach nannte Berichterstattung "Unverschämtheit"

t-online.de hat von ihr wissen wollen, warum sie durch ihre Beiträge zum Hass auf Lübcke beigetragen hat. Auf zwei Anfragen auf Twitter und über die von ihr geleitete AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung kam bis 5. Juni jedoch keine Reaktion, t-online.de veröffentlichte diesen Text.

Tags darauf, am 6. Juni bezeichnete sie in einem Tweet die Berichterstattung als "Unverschämtheit" und behauptete, keine Anfrage erhalten zu haben. Was sie zunächst gelöscht hatte, schrieb sie nun noch einmal: Jubel und Häme über den Tod eines Menschen verabscheue sie.

Den gelöschten Tweet habe sie aus dem Netz genommen, weil sie "keine Zeit mehr hatte, die üblen, gegen Lübcke gerichteten Kommentare zu löschen". Das Löschen von Kommentaren auf Twitter ist allerdings gar nicht möglich. Sie erklärte auf Twitter auch, sie verwende ein Zitat nicht, wenn sie wisse, dass es falsch sei.

Auf Facebook, wo ein Löschen und Verbergen von Beiträgen möglich ist, blieben weiterhin Droh- und Mordaufrufe stehen. Facebook selbst löschte am 16. Juni Kommentare, weil diese gegen die Gemeinschaftsstandards vertießen.

Faktencheckerin von Steinbach nicht überrascht

Für Tania Röttger, Faktencheckerin bei "Correctiv.org", ist Steinbachs Vorgehen keine Überraschung: "Sie ist dafür bekannt, dass sie selbst widerlegte erfundene Politikerzitate noch einmal teilt", sagte sie t-online.de. "Es ist ein beliebtes Mittel, erfolgreiche Beiträge noch einmal zu teilen, egal, ob sie aktuell sind."

Alexander Sängerlaub, Projektleiter "Desinformation in der digitalen Öffentlichkeit" bei der Stiftung Neue Verantwortung und Autor einer Studie zu Quelle und Verbreitung von Fake-News, kennt das Phänomen ebenfalls: "Vor der Bundestagswahl 2017 haben wir drei Wellen festgestellt, in denen ein frei erfundener Artikel jeweils verbreitet wurde." Da ging es um die Falschmeldung "Flüchtlinge bekommen den Führerschein zum Nulltarif". Sie landete unter den Top 3-Falschmeldungen des Jahres.

Faktencheckerin Röttger beobachtet das Phänomen aber auch auf anderen Gebieten: Bei Medizinthemen unter Verfechtern von Alternativmedizin gebe es das häufiger. "Ein extrem erfolgreicher Text zu Krebs wird von der gleichen Seite immer wieder mal neu geteilt. Die Information stimmt nicht, dass mit Chemotherapie behandelte Patienten schneller sterben, aber es bringt immer viel Betrieb."

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Und auch das Zentrum für politische Schönheit verbreitete im März einen Tweet mit Häme über die AfD sehr erfolgreich, obwohl der Fall zwei Jahre zurücklag und das nicht kenntlich gemacht wurde. Zudem verbreiten auch manche große Medien zum Teil alte Texte erneut. Manche Portale posten alte klickstarke Medien aus dem Boulevardbereich neu, ohne das deutlich zu machen. t-online.de veröffentlicht manche Beiträge aus dem Ratgeberbereich erneut. Dabei handelt es sich jedoch um langlebige Inhalte, die Informationen werden zuvor auf Richtigkeit und Aktualität geprüft.

Und solche Fälle dienen auch nur der Information. Das Recycling der Empörungstexte zum CDU-Regierungspräsidenten dagegen "ist etwas ganz anderes", so Faktencheckerin Röttger. "Das sieht danach aus, Teil einer Kampagne gegen eine Person zu sein."

Update, 17. Juni: Der Text ist nach der Festnahme eines dringend Tatverdächtigen und Aussagen der Bundesanwaltschaft zum möglichen rechtsextremistischen Hintergrund aktualisiert worden.

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