Von der Leyen in Washington Die letzte deutsch-amerikanische Freundschaft
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.In Washington herrscht Groll gegenüber Deutschland. Die Verteidigungsministerin muss beim Besuch ein Reizthema entschärfen, sonst droht schon der nächste Eklat mit Trump.
Das Leben ist manchmal ungerecht: Während sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unter der Westküstensonne von einer hollywoodtauglichen Motorradstaffel über abgesperrte Highways eskortieren lässt, steckt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im Stau. In Washington regnet es und zwischen Weißem Haus und Pentagon geht nichts mehr.
Steinmeier lässt sich im Silicon Valley ein bisschen die Zukunft zeigen, von der Leyen muss sich in der Gegenwart mit schlechten deutsch-amerikanischen Beziehungen rumschlagen: Das Verhältnis ist auf dem Tiefpunkt. Donald Trump lässt seinem Groll gegen Deutschland regelmäßig freien Lauf, beim Handelsstreit, bei Drohungen mit Zöllen auf Autoimporte, mit Falschbehauptungen über die Flüchtlingskriminalität, und immer wieder vor allem mit seiner Klage, dass Deutschland zu wenig für Verteidigung ausgebe.
Letzteres ist keine Einzelmeinung Trumps, sondern Konsens in Washington und damit auch das beherrschende Thema beim Besuch der Verteidigungsministerin. Trump fordert unmissverständlich, dass Länder wie Deutschland zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgeben sollen – er sieht die USA ausgenutzt. Die Bundesregierung wird die Ausgaben jetzt anheben und peilt als neues Ziel 1,5 Prozent im Jahr 2024 an. Eine deutliche Steigerung um 80 Prozent binnen zehn Jahren.
Dass das schon eine ganze Menge ist, und dass man nicht vergessen dürfe, was die Bundeswehr sonst noch so tut etwa in Afghanistan oder in Litauen: Diese zwei Botschaften muss die CDU-Politikerin in Washington an den Mann bringen.
Floskeln? Streicheleinheiten!
Am Mittwoch sagt sie das im Weißen Haus John Bolton, Trumps neuem Sicherheitsberater. Sie sagt das auch Mike Pompeo, Trumps neuem Außenminister. Die beiden sind bekannt für ihren engen Draht zum Präsidenten, aber auch dafür, dass sie Trumps Sicht der Dinge transportieren.
Besseren Austausch erlebt von der Leyen mit ihrem Amtskollegen James Mattis. Der lobt Berlins Anstrengungen tatsächlich. "Wir begrüßen die Ankündigung, dass Deutschland seine Verteidigungsausgaben bis 2024 um 80 Prozent steigern will", sagt der Pentagon-Chef. Er lobt auch das Engagement in Afghanistan und betont: "Die Vereinigten Staaten betrachten das Verhältnis nicht als selbstverständlich."
Was zu anderen Zeiten übliche Floskeln unter Verbündeten wären, sind in diesen Wochen höchstwillkommene verbale Streicheleinheiten: Da glaubt in Washington doch noch jemand an das transatlantische Verhältnis! Von der Leyen entgegnet: "Es ist gut, Freunde an unserer Seite zu haben wie Sie, Jim."
Mattis und von der Leyen können gut miteinander. Die Verteidigungsministerin lässt gern durchblicken, wie sehr sie den Austausch mit Mattis, Spitzname aus Kriegstagen: Mad Dog, schätzt. Der Vier-Sterne-General ist eine der wenigen Konstanten in der Trump-Regierung. Und er versteht die deutschen Schwierigkeiten besser als sein Präsident – etwa dass in der Regierung mit der SPD eine Partei sitzt, die sich gegen sehr viel höhere Militärausgaben sträubt.
Bei den anderen Ministern hakt es
Was für ein Kontrast zu anderen Paaren: An der Spitze können Angela Merkel und Trump nicht miteinander. Als Außenminister Heiko Maas auf seinen Amtskollegen Mike Pompeo traf, sagte er ihm nach eigener Aussage zu neuen Zolldrohungen zur Begrüßung: "Das kann doch nicht euer Ernst sein, Mike." Wirtschaftsminister Peter Altmaier konnte bislang beim Amtskollegen Willbur Ross, der Trumps Handelsattacken weiterleitet, auch nicht viel ausrichten.
So wirkt das Verhältnis von der Leyens mit Mattis trotz aller Streitpunkte im Augenblick wie die letzte deutsch-amerikanische Freundschaft.
Was das alles wert ist, könnte sich beim Nato-Gipfel Mitte Juli in Brüssel zeigen. Trump will dort Fortschritte präsentieren können, zeigen, dass seine Forderungen erhört werden. Von der Leyen bearbeitet in Washington also jene, die Trump sagen sollen, dass Deutschlands geplante Ausgabensteigerung genau solch ein Fortschritt ist. Sie ahnt, dass Trump das Nato-Treffen für eine neue Breitseite gegen die Verbündeten nutzen könnte.
Ein kleiner Giftpfeil gegen Trump
Von der Leyen lässt in Washington durchblicken, dass sie dessen Tiraden als störend empfindet. Sie wisse, dass Deutschland mehr tun müsse, aber es gelte auch, "dass Kommentare vom Spielfeldrand nicht hilfreich sind für diejenigen, die auf dem Spielfeld stehen". Es sei entscheidend, dass man nicht zu kurzatmig reagiere "von einem Tweet zum nächsten", sondern dass man die langen Linien der transatlantischen Partnerschaft nicht vergesse.
Der Ton aus Berlin wird zunehmend kritischer, denn in diese Partnerschaft ist tiefe Ernüchterung eingetreten in den vergangenen Wochen, in denen Trump mit seiner einseitigen Aufkündigung des Iranabkommens oder seinem nachträglichen Rückzug von der G7-Gipfelerklärung auch die letzten Illusionen in Berlin zerstört hat, was den Zusammenhalt im Westen angeht.
Die beste Hoffnung ist, dass der kommende Nato-Gipfel nicht ein neuer Tiefpunkt wird.
- eigene Recherchen
- dpa