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Kolumne: Keine Angst vor der Scharia!


Kolumne "Zwischentöne"
Keine Angst vor der Scharia!

Meinungt-online, Lamya Kaddor

27.10.2017Lesedauer: 3 Min.
Die Scharia gilt auch in Deutschland: Muslime wollen mit ihrem Verhalten Gott gefallen.Vergrößern des Bildes
Die Scharia gilt auch in Deutschland: Muslime wollen mit ihrem Verhalten Gott gefallen. (Quelle: Wolfgang Kumm/dpa-bilder)
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Die Scharia wird oft mit extremen Auswüchsen des Islam gleichgesetzt. Das ist Unsinn. Alle Gläubigen egal welcher Religion befolgen ihre "Scharia".

Es ist wieder da, das Schreckenswort: Scharia. Claus Kleber stellt im ZDF "heute-journal" mit ernster Mine Interviewfragen. Kein anderes Medium kommt an der Thematisierung vorbei. Wie andere Reizworte zum Islam wird „Scharia“ mit gewisser Regelmäßigkeit in die öffentlichen Debatten eingeführt. Nicht etwa, weil substanziell darüber gesprochen werden sollte. Vor allem Islamfeinde tun es, um die Religion als unmenschlich darzustellen, indem sie „die Scharia" als Chiffre für brutale Körperstrafen und andere Grausamkeiten darstellen, und islamistische Fundamentalisten, um Gläubige einzuschüchtern, damit sie Macht über sie erlangen oder selbige bewahren.

Oft sprechen auch gerade solche Menschen bevorzugt von Scharia, die keinen blassen Schimmer haben, was damit überhaupt gemeint ist, oder die es zwar wissen, aber bewusst anderes behaupten. Aktuell hat die AfD-Fraktionsvorsitzende im frisch konstituierten Bundestag, Alice Weidel, von Muslimen die Lossagung von "der Scharia" gefordert, weil diese nicht kompatibel mit unserem Grundgesetz sei. Was aber ist "die Scharia" eigentlich? Wie finde ich sie? Wo kann ich sie nachlesen? Ich wäre auf eine Antwort von Frau Weidel gespannt gewesen. Leider hat ihr kein Journalist solche Fragen gestellt.

Der Begriff Scharia stammt aus dem Arabischen. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer der heißen Wüsten Vorderasiens, wo auch die Ursprünge des Islams liegen! Was garantiert Ihnen dort das Überleben? Richtig: Wasser! In der lebensfeindlichen Wüste, müssen Sie den geraden Weg zur Tränke, zur lebensspendenden Wasserquelle kennen, um zu überleben. Genau das meinte man im Arabien vor dem Islam, wenn man von Scharia sprach. Der Fluss Jordan zum Beispiel wurde „al-Scharia al-kabira“ genannt (Große Scharia), weil er für die Region offenbar die Tränke par excellence war. Im übertragenen Sinn steht die lebensspendende Wasserquelle im Islam für Gott, die Scharia ist mithin der gerade Weg zu ihm.

Diesen Weg suchen alle gläubigen Muslime. Um auf ihm zu bleiben, müssen sie sich ihrem Glauben nach gottgefällig verhalten. Wer das tut, gelangt via Tod zu Gott und dann ins Paradies. Das Wort Scharia bezeichnet nichts anders als Gottes Vorstellung davon, wie sich ein Mensch korrekt verhalten soll. Wir sprechen hier vom Kern einer jeden Religion. Wie kann man von gläubigen Menschen erwarten, dass sie sich davon lossagen? Das wäre nichts anderes, als sie aufzufordern, ihren Glauben abzulegen.

Das Problem ist nun aber: die Scharia ist kein Bürgerliches Gesetzbuch. Sie ist nicht festgeschrieben. Es gibt kein Buch namens Scharia. Es gibt allenfalls weitgehend leere Seiten, die permanent mit Inhalt gefüllt werden müssen. Da es im Islam kein Oberhaupt gibt, das bestimmen kann, was Gottes Vorstellungen denn wohl sein mögen, füllt jeder Mensch, jede Strömung im Islam diese Seiten nach eigenen Überzeugungen. Liberale füllen sie liberal, Konservative konservativ, Mystiker mystisch, Fundamentalisten fundamentalistisch, gewaltbereite Islamisten formen daraus ein Machtinstrument, um andere zu beherrschen.

Nicht die Scharia per se ist somit problematisch, sondern ein bestimmter Teil derjenigen, die sie mit Inhalten füllen und diese Inhalte dann für andere für verbindlich erklären wollen. Das Schreckensbild, das so oft mit Scharia verknüpft wird, ergibt sich allein aus einer islamistisch-fundamentalistischen Sichtweise der Dinge: einer Sichtweise, die die 1.400 Jahre alte Moral und Ethik Arabiens ins Hier und Jetzt tragen will, losgelöst von Entwicklung und Fortschritt. Alle anderen Muslime tun das so nicht, und sie bilden die absolute Mehrheit aller Gläubigen.

Die öffentlich losgetretenen Debatten über "die Scharia" sind letztlich nur ein Ausdruck des Versuchs, den Unterschied zwischen Islam als einem Glauben und Islamismus als eine politische Ideologie, die sich des Islams bemächtigt, zu verwischen. Beziehungsweise es geht darum, die Haltung von Terroristen, Verbrechern, Barbaren, die sich für ihre Gewalt, ihre Menschenfeindlichkeit, ihre Frauenunterdrückung auf den Islam berufen, zu verallgemeinern und Muslimen allesamt eine insgeheime Radikalität zu unterstellen.

Angesichts der offenen Struktur des Islams ohne einen Papst, der verbindliche Regeln für alle festlegen könnte, wird es im Islam immer verschiedene Strömungen geben. Und solange es in der islamischen Welt überall Krisen, Konflikte und Kriege gibt, werden immer Menschen versuchen, ihre Ziele durch Instrumentalisierung des Islams zu erreichen.
Wir müssen uns also nicht mit allen Muslimen befassen, sondern mit jenen Gruppen, deren Islamverständnis Konflikte schürt.

Meine Vorstellung von Scharia jedenfalls und die der meisten anderen deutschen Muslime hält niemanden davon ab, fest auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen und die staatlichen Gesetze vollumfänglich zu befolgen. Mich persönlich treibt daher zurzeit eher die Sorge um, ob das auf all jene, die den Begriff Scharia so feindselig nutzen, auch zutrifft.

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