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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Konstituierende Sitzung des Bundestags Gysi ironisch: "Auf diesen Applaus freute ich mich"
Am letztmöglichen Datum kam der neue Bundestag erstmals zusammen, um sich zu konstituieren. Eröffnet hat die Sitzung Gregor Gysi. Verfolgen Sie die Chronologie seiner Rede.
Zweimal hat nach der Bundestagswahl am 23. Februar noch das alte Parlament getagt und weitreichende Beschlüsse gefasst – doch damit ist jetzt Schluss. Der neue Bundestag ist zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengekommen. Damit beginnt die 21. Legislaturperiode. Zugleich erhalten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und sein Kabinett von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ihre Entlassungspapiere und sind ab sofort nur noch geschäftsführend im Amt.
Das Grundgesetz schreibt vor, dass das neue Parlament spätestens 30 Tage nach der Wahl erstmals zusammentreten muss. Der heutige Termin war der letztmögliche. Eröffnet hat die Sitzung Gregor Gysi als Alterspräsident.
Dabei handelt es sich um das Mitglied des Bundestages, das die meisten Abgeordnetenjahre vorweisen kann, nicht das höchste Alter. Seine Aufgabe ist es, die erste Sitzung bis zur Wahl eines neuen Bundestagspräsidenten oder einer neuen Bundestagspräsidentin zu leiten. Dazu gehört es, in Abstimmung mit den Fraktionen die Schriftführer zu ernennen. Üblicherweise hält der Alterspräsident auch eine Rede. Gysi hatte bereits im Wahlkampf erklärt, er freue sich auf seine erste und einzige Rede ohne Zeitbegrenzung.
Eröffnungsrede von Gregor Gysi in der Chronologie
11.02 Uhr: Zunächst spricht der AfD-Mann Bernd Baumann. Er wettert gegen die Bundesregierung. Gysi ermahnt ihn, zur Geschäftsordnung zu sprechen. Er kritisiert, dass nicht der an Lebensalter Älteste die Sitzung eröffnen darf. "Das ist perfide." Die Regelung war geändert worden, als die AfD in den Bundestag einzog. Er preist Alexander Gauland an, dem diese Rolle sonst zugekommen wäre. Gysi ermahnt ihn, die Redezeit einzuhalten.
11.05 Uhr: Gysi erteilt nun Thorsten Frei das Wort.
11.06 Uhr: Frei verteidigt, es sei kein parlamentsrechtliches Novum. "Es ist etwas, das wir in der Vergangenheit schon erlebt haben." Das Lebensalter sei ebenso wenig ein Verdienst wie die Jugend. Er verweist auf die Eröffnungssitzung der thüringischen Landtags. "Wie konnten erleben, wie ein AfD-Alterspräsident zur Chaotisierung beiträgt."
Das Dienstalter führe nicht automatisch zum besten Alterspräsidenten. "Das ist auch heute nicht der Fall." Frei betont, den AfD-Antrag abzulehnen und ergänzt: Heute entsteht etwas Neues."
11.10 Uhr: Nun redet Katja Mast von der SPD. Sie empfinde es als Ehre, dem Haus anzugehören. Die Geschäftsordnung sei eindeutig. Auch sie bezieht sich auf Thüringen. "Wir haben gesehen, wie wichtig es ist, dass nicht nur das Alter im Mittelpunkt steht." Sie sei froh, dass Gysi die Rolle innehabe. Es gehe darum, das Amt mit Würde zu repräsentieren. Sie gehe davon aus, dass Gysi seine Worte "weise, klar und mit seiner ganz persönlichen Note" ausfüllen werde.
11.13 Uhr: Irene Mihalic von den Grünen spricht nun. Es sei mittlerweile ein etabliertes Verfahren, dass der dienstälteste Abgeordnete spreche. Die AfD versuche erneut, "Chaos" zu stiften. Man sei gut beraten, bei der ersten Sitzung auf langjährige parlamentarische Erfahrung zu setzen.
11.15 Uhr: Es spricht Christian Görke von den Linken. Er hält der AfD vor, sich öffentlich für Vertreter Ostdeutschlands einzusetzen, nun aber den Ostdeutschen Gregor Gysi anzufeinden. Er werde über die Parteigrenzen hinaus geschätzt. Er empfiehlt: "Hören Sie gut zu, Sie werden viel lernen."
11.19 Uhr: Alle Fraktionen bis auf die AfD lehnen den Antrag ab.
11.19 Uhr: Gysi begrüßt nun Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie den ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert und den ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff.
11.21 Uhr: Gysi ernennt nun noch die Schriftführer.
11.23 Uhr: Nun beginnt Gysi Rede. Er verweist auf seinen ersten Einzug in den Bundestag. Damals hielten Parteigenossen von ihm ein Plakat in die Höhe, auf dem gestanden habe, er werde eines Tages Alterspräsident. Daran habe er nicht geglaubt.
11.25 Uhr: Er betont, sein Rederecht nicht zu missbrauchen. Gysi bedankt sich im Anschluss bei der bisherigen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas.
11.26 Uhr: Nun kommt Gysi auf die schwierige Weltlage zu sprechen. Er verurteilt den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Russland gegen die Ukraine. Er mahnt, dass diejenigen, die sich für eine stärkere Bundeswehr einsetzen, niemals diffamiert werden dürften. "Wir dürfen sie niemals als Kriegstreiber bezeichnen", sagt er.
11.28 Uhr: Andersherum dürften andere nicht als "Putinknechte" bezeichnet werden.
11.29 Uhr: Gysi wünscht sich, dass niemand mehr an Kriegen verdienen soll. Aber man solle Menschen mit anderer Auffassung nicht das Übelste unterstellen. Man solle zudem ehrlicher werden. "Man sollte mit Wahrheiten gewählt werden."
11.31 Uhr: Gysi fordert einen breiteren Konsens in der Politik. So sollten Straßen sowohl nach Otto von Bismarck, Klara Zetkin und Karl Marx benannt werden.
11.32 Uhr: Gysi kommt auf den Krieg im Nahen Osten zu sprechen. Zunächst betont er das Recht der Juden auf einen sicheren Staat. Man müsse jedoch auch an die Palästinenser denken. Auch sie hätten das Recht auf einen eigenen Staat. Nur dann sei es möglich, Terrororganisationen wie die Hamas zu verhindern. Man müsse für eine Zwei-Staaten-Lösung werben.
11.36 Uhr: Nun kommt Gysi auf die Jugend zu sprechen. Man habe zu viele Schulabbrecher. "Wir als Staat sind verpflichtet, allen Kindern einen gleichen Zugang zu Bildung und Ausbildung zu schaffen. Davon sind wir weit entfernt." Gysi fordert eine Trennung von Schülern erst ab der achten Klasse.
11.38 Uhr: "Auf bestimmten Gebieten darf man niemals sparen", betont Gysi. Dabei geht es etwa um Gesundheit, Wissenschaft und Bildung. Er schlägt die Einführung überparteilicher Gremien vor. Dabei soll es etwa um Steuergerechtigkeit und Löhne gehen.
11.42 Uhr: "Der Steuerbauch der Mitte muss überwunden werden", betont Gysi. Man müsse die Reicheren stärker besteuern, die Mitte entlasten.
11.45 Uhr: Auch das Krankenkassensystem nimmt sich Gysi vor. Es gebe zu viele gesetzliche Krankenkassen. Auch das solle in einem überparteilichen Gremium bestimmt werden. Zur aktuellen Bürokratie stellt Gysi fest: "So kommen wir nicht weiter."
11.47 Uhr: Er schließt dazu: "Mit weiteren Vorschlägen zu überparteilichen Gremien möchte ich Sie nicht belästigen. Es gibt Applaus. "Auf diesen Applaus freute ich mich", reagiert Gysi.
11.49 Uhr: "Ich muss darauf eingehen, dass noch immer keine vollständige Einheit in Deutschland hergestellt wurde", erklärt Gysi.
11.51 Uhr: Man habe abgesehen vom Sandmännchen und Ampelmännchen zu wenig aus der DDR übernommen. So habe sich das Gefühl der Demütigung verstärkt. Der neue Kanzler sollte sich dafür entschuldigen. Es benötige gleiche Tarifverträge für Ost und West.
11.52 Uhr: Gysi spricht, Sepp Müller von der CDU liest. Der Abgeordnete aus dem Wahlkreis Dessau-Wittenberg hat ein Buch mitgebracht.
11.54 Uhr: Gysi will sich noch die internationale Weltlage vornehmen. Es gibt Rufe aus dem Plenum. "Da müssen Sie jetzt durch", reagiert Gysi trocken.
11.55 Uhr: Gysi geht auf die USA ein. Trump versuche, die Demokratie in den USA abzubauen, weil er glaube, dass China als Autokratie effizienter sei. Man müsse beweisen, dass Effizienz auch in einer Demokratie funktioniere.
11.57 Uhr: Man stehe von außen und von innen unter Druck. Man müsse Anstrengungen unternehmen, um die Demokratie zu verteidigen. Man sollte Volksentscheide auf Bundesebene einzuführen. Er fordert ein breites Gremium zur Sicherung des Grundgesetzes mit Vertretern aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen.
12.00 Uhr: "Ich weiß, wir Berliner sind oft brummelig, aber auch herzlich", erklärt Gysi. Er schließt seine Ausführungen: "Ich wünsche mir einen Bundestag, der noch näher an die Menschen herantritt, die wir hier vertreten."
12.02 Uhr: Nach rund 36 Minuten ist Gysis Rede vorbei. Nun wird die Geschäftsordnung des Bundestages festgelegt.
- Konstituierende Sitzung des Bundestags
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa