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Russland verbreitet Fake-News über Annalena Baerbock zu Escort-Kontakten


Angebliche Escort-Kontakte
Wie Russland Deutschlands Außenministerin diffamiert


Aktualisiert am 03.08.2024Lesedauer: 6 Min.
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Annalena Baerbock bei einer Veranstaltung: Die Außenministerin ist wohl Opfer einer russischen Desinformationskampagne geworden. (Quelle: IMAGO/Kira Hofmann/imago)

Offenbar pro-russische Agenten fingieren eine Skandalgeschichte über Annalena Baerbock. t-online zeichnet die Verbreitung der Falschmeldung nach.

Nein, Annalena Baerbock unterhält keine Beziehung zu einem nigerianischen Prostituierten. Ein angeblicher Sexarbeiter behauptet das zwar in einem Interview und die abstruse Geschichte wird weiter verbreitet – doch sie stimmt nicht.

Aus dem Auswärtigen Amt heißt es auf Anfrage von t-online, die Meldung sei "falsch, frei erfunden und völlig abstrus". Viele Details weisen darauf hin, dass es eine bewusst platzierte Falschmeldung ist. t-online greift sie an dieser Stelle auf, um die möglichen Akteure dahinter zu beleuchten. Die Spuren führen – wie so oft bei Propaganda im Internet – nach Russland. Aber von vorn.

Das Interview mit dem Gigolo

Es scheint eine ganz normale Interview-Situation zu sein. Doch was der Befragte vor der Kamera gleich erzählen wird, ist höchst brisant. Der Mann, der sich als "Kingsley" vorstellt, trägt einen karierten Anzug, auffälligen Goldschmuck und einen orangen Durag. "Ich arbeite seit fünf Jahren als Gigolo (männlicher Prostituierter) und die meisten meiner Kundinnen sind weiße Frauen aus Europa", erklärt er dem Interviewer, der verdeckt hinter der Kamera sitzt.

Das Video geht sechs Minuten lang und wurde vor wenigen Tagen auf YouTube veröffentlicht. "Kingsley" füllt knapp die erste Hälfte des Interviews mit Plattitüden. "Die Frauen wollen nicht nur Sex, sondern eine emotionale Verbindung. Die kann ich ihnen bieten, weil ich intelligent genug dafür bin", sagt er.

Doch dann wird es interessant. Auf die Frage, an welche Kundin er sich besonders erinnert, gibt "Kingsley" eine lange und sehr detaillierte Antwort.

"Eine sehr besondere Kundin" – angeblich

Es gebe eine Kundin, die sich von allen abhebe. "Sie ist eine sehr mächtige europäische Politikerin. Eine Ministerin in Deutschland, glaube ich." Das erste Mal hätten sie sich im Dezember 2022 in Abuja getroffen, der Hauptstadt von Nigeria. "Sie trug ein wunderschönes rotes Kleid und erklärte mir, dass sie schwarze Männer attraktiv fände", so "Kingsley". Sie hätten eine "wunderbare, fantastische Nacht" zusammen verbracht und sie sei am nächsten Tag abgereist.

Es sei jedoch nicht nur bei einem Treffen geblieben. Im weiteren Verlauf des Gesprächs räumt "Kingsley" alle Zweifel aus, um wen es sich bei seiner mächtigen Kundin handeln könnte. "Sechs Monate später rief Annalena an und fragte, ob ich sie in Pretoria treffen könnte." Seitdem würden sie sich zweimal im Jahr sehen. Das letzte Mal habe er sie vor Kurzem in Abidjan getroffen, der größten Stadt der Elfenbeinküste.

Er habe ihr angesehen, unter wie viel Druck sie stehen würde. Und: "Ich konnte sehen, dass sie mich vermisst hatte." Der Interviewer betont noch einmal, dass die Kundin ja wirklich sehr bekannt sei. "Das stimmt. Und sie hat diese wunderschönen grauen Augen", sagt "Kingsley "mit ernster Miene. Tatsächlich hat Annalena Baerbock blaue Augen. Dieses Detail ist jedoch nicht das einzige, was an der Geschichte nicht stimmt. Sie kann in Gänze als Fake News bezeichnet werden.

Gekaufter Artikel in der "Daily Post"

Das kurze Videointerview wurde am 29. Juli auf einem neu erstellten YouTube-Kanal hochgeladen und ist dort der einzige Inhalt. Einen Tag später veröffentlichte die nigerianische Nachrichtenseite "Daily Post" das Interview in Textform mit der Überschrift "'I provide emotional comfort to lonely elites' – Kingsley talks about his career as gigolo" – zu Deutsch also: "Ich spende einsamen Eliten emotionalen Trost – Kingsley spricht über seine Karriere als Gigolo".

Der Text ist keinem Autoren zugeordnet und als "Sponsored" gekennzeichnet. Es handelt sich also um einen gekauften Artikel. Wer dafür bezahlt hat, ist unklar. Auch der Betrag, der für den Artikel geflossen ist, als auch die Frage, ob solche bezahlten Texte inhaltlich überprüft werden, ist offen. "Daily Post Nigeria" ließ einen Fragenkatalog von t-online dazu unbeantwortet.

Einen Hinweis dazu könnte aber die Website geben, die das Interview als Nächstes aufgriff. Am 31. Juli, einen Tag später also, erschien auf dem Portal "zeitgeschenen.de" der Artikel "Wo gehen deutsche Steuergelder hin? Baerbock macht Sextourismus mit einem afrikanischen Prostituierten auf Amtsreisen". Der Artikel breitet "Kingsleys" Geschichte genüsslich aus und bringt seine Aussagen in Zusammenhang mit Baerbocks Reisen nach Afrika.

"Sextourismus als Prinzip feministischer Außenpolitik"

So habe Baerbock im Dezember 2022 tatsächlich Nigeria bereist. "Bei einer Bildersuche stellen wir auch fest, Frau Baerbock hatte während ihrer Reise nach Nigeria ein purpurrotes Kleid an (sic!)", schreibt der ungenannte Autor. Das Kleid ist aber eigentlich pink, wie auf Bildern zu sehen ist.

Vom 15. bis 17. Juli dieses Jahres sei Baerbock zudem in Abidjan zu Besuch gewesen, wo "Kingsley" sie das letzte Mal gesehen haben will.

Damit ist der Sachverhalt für "zeitgeschenen.de" bewiesen und das Portal kommt zu seiner kritischen Bewertung: So sei im Wahlprogramm der Grünen mit keinem Wort geschrieben, dass "Sextourismus als ein neues Prinzip der feministischen Außenpolitik" gelte. Es bleibe nur zu hoffen, dass sie "ihren Spaß aus eigenen Mitteln bezahlte" und nicht auf Kosten deutscher Steuerzahler. Praktischerweise hatte "Kingsley" im Interview seine Preise offengelegt. Demnach würde er von einer prominenten Person bis zu 3.500 Euro pro Nacht nehmen, plus Reisekosten.

Prorussische Desinformationsportale im Netz

An dieser Veröffentlichung ist vieles verdächtig. An erster Stelle natürlich der Name der Website: "zeitgeschenen.de". Offenbar eine Anspielung auf das Wort "Zeitgeschehen". Auch der Artikel über den angeblichen Gigolo und Baerbock ist neben sachlichen auch voller grammatikalischer Fehler und liest sich, als ob er aus einer anderen Sprache schlecht übersetzt worden sei.

Neben Politik veröffentlicht die Website Nachrichten in den Kategorien Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Die meisten Artikel sind harmlose Agenturtexte, die auch auf vielen anderen Portalen erscheinen. Das Interessante: Der erste Text auf der Website erschien erst am 27. Juli – vier Tage vor dem Frontalangriff auf Baerbock. Und: Einige Texte sind zumindest teilweise mithilfe Künstlicher Intelligenz generiert worden – der Artikel, der sich mit Baerbock befasst, allerdings nicht.

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Kein Impressum auf der Website

Laut Recherchen von t-online wurde die Domain "zeitgeschenen.de" erst am 24. Juli registriert. Sie ähnelt in ihrem Aufbau dem Desinformationsportal "berliner-wochenzeitung.de", über das t-online bereits Anfang Juli berichtete. Obwohl der Name dies suggeriert, handelt es sich bei dem Portal nicht um eine Zeitung. Eine solche gibt es nicht.

Sowohl "zeitgeschenen.de" als auch "berliner-wochenzeitung.de" werden laut t-online-Recherchen vom selben Anbieter gehostet, wurden mithilfe von Wordpress auf einfachste Art und Weise erstellt und besitzen kein Impressum. Letzteres kann in Deutschland Strafen bis zu 50.000 Euro nach sich ziehen.

Auf "berliner-wochenzeitung.de" erschienen ab Mitte Juni ebenfalls zunächst unverdächtige Agenturtexte. Dann veröffentlichte das Portal Anfang Juli einen Artikel, der ukrainische Geflüchtete diffamieren sollte. Seitdem tut sich auf der Seite jedoch nichts mehr.

Nach Informationen von t-online handelt es sich bei beiden Seiten um Desinformationsportale, die prorussische Interessen verfolgen. Wie bereits bei der Geschichte Anfang Juli wurde der Artikel jetzt schnell von prorussischen Accounts aufgegriffen und verbreitet, etwa vom X-Account namens "Aussie Cossack". Einem Australier, dem Putin die russische Staatsbürgerschaft verliehen hat.

Baerbock-Parodie-Account teilt Fake News

Auch Chay Bowes hat das Videointerview auf seinem X-Account mit seinen knapp 135.000 Followern geteilt. Das Brisante: Bowes ist ein bekannter irischer Journalist, der seit Neustem für den russischen Staatssender RT arbeitet, berichten mehrere Quellen unabhängig voneinander. Bowes, der laut dem Ukraine Crisis Media Center früher Besitzer eines Waffengeschäfts war und in der Versicherungsbranche arbeitete, verbreitet schon seit Längerem ausdrücklich prorussische Nachrichten und Falschmeldungen über die Ukraine.

Problematisch: Auch der deutsche Satire-Account @baerbockpress auf X hatte Bowes' Beitrag zur Baerbock-Geschichte mit den Worten "No Comment" geteilt. Gegen diesen satirischen Account, der 90.000 Follower aufweist, ist das Außenministerium bereits vergangenes Jahr vorgegangen.

Seitdem muss der Account deutlicher machen, dass hinter ihm nicht die Außenministerin steckt – sondern dass er nur eine Parodie darstellt. Zuvor kam es bisweilen zu Verwechslungen.

Agenten denken sich Skandalgeschichten aus

Die Geschichte über die deutsche Außenministerin beim nigerianischen Prostituierten reiht sich damit in ein breites Tableau skandalöser Geschichten ein, die sich russische Desinformations-Agenten in der Vergangenheit ausgedacht haben. Sie sollen die deutsche Außenministerin, die – wie die deutsche Regierung – klar auf ukrainischer Seite steht, diskreditieren.

Im vergangenen Jahr fälschten Unbekannte einen Kaufvertrag, der beweisen sollte, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die frühere Villa von Propagandaminister Joseph Goebbels am Stadtrand Berlins gekauft habe. Russische Medien griffen die Fehlinformation auf und verbreiteten sie, sodass auch internationale Plattformen berichteten. Dass es sich um eine Lüge handelte, zeigten aufwendige Recherchen von t-online. Auch hier hatten nigerianische Portale gekaufte Inhalte online gestellt.

Das gezielte Verbreiten von Falschinformationen nennt sich auf Englisch "Info-Laundering", zu Deutsch: "Waschen" bzw. "Verwaschen". Der Geheimdienst KGB praktizierte solche Kampagnen schon zu Sowjetzeiten. So fütterten russische Quellen indische Regionalzeitungen mit der Information, dass die Vereinigten Staaten Aids als Biowaffe gegen Schwarze züchten würden. Dieses Narrativ setzte sich fest und hielt viele Jahre lang.

Dass Annalena Baerbock Sexarbeiter in Afrika frequentiert, wird sich wohl nicht als Narrativ festsetzen. Dennoch: Die grüne Ministerin wird von einer Minderheit im Land verabscheut und ist oft Hass im Netz ausgesetzt. In diesen Kreisen kann die Nachricht zirkulieren und zu dem ohnehin schon verzerrten Bild der 43-Jährigen beitragen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Anfrage ans Bundesaußenministerium
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