Antiziganismus Meldestelle: Vorfälle gegen Sinti und Roma verdoppelt
Bis zu 150.000 Deutsche gehören zu den Minderheiten der Sinti und Roma. Im Alltag erleben sie Zurücksetzung, Feindseligkeit und Gewalt. Ihr Zentralrat verweist auf eine dramatische Entwicklung.
Diskriminierung bei Behörden, Beschimpfungen, gewalttätige Übergriffe: 1233 Vorfälle und Straftaten gegen Sinti und Roma hat die Antiziganismusmeldestelle MIA im vergangenen Jahr erfasst – fast doppelt so viele wie ein Jahr zuvor. Die Meldestelle erklärt den starken Anstieg in ihrem Jahresbericht 2023 zwar auch damit, dass Vorfälle häufiger angezeigt werden. Der Zentralrat der Sinti und Roma sieht dennoch eine dramatische Entwicklung.
"Das bereitet uns große Sorge vor dem Hintergrund der Geschichte", sagte der Zentralratsvorsitzende Romani Rose mit Blick auf die Ermordung von 500.000 Sinti und Roma während der NS-Zeit. Die Politik müsse alle Handlungsmöglichkeiten ausschöpfen. Vor allem gebe es eine "dramatische, bedrohliche, beängstigende Zunahme von Antiziganismus mit Gewalt". Antiziganismus bezeichnet eine Form des Rassismus, die sich gegen die Minderheit der Sinti und Roma richtet.
Hakenkreuze an Grabstelle
MIA erfasste zehn Fälle "extremer Gewalt". Hinzu kamen 40 Angriffe, 46 Bedrohungen und 27 Sachbeschädigungen. MIA-Vorstandschef Silas Kropf berichtete etwa, dass eine Grabstätte von Sinti und Roma mit Hakenkreuzen beschmiert worden sei. In Solingen habe es einen Fall von Brandstiftung gegeben. Antiziganistische Parolen etwa in Fußballstadien und Propaganda rechter Parteien stachelten Gewalt gegen Sinti und Roma an, sagte Kropf.
Bei der Mehrzahl der gemeldeten Fälle handelt es sich jedoch um Verunglimpfung, Ausgrenzung und Diskriminierung. So seien 600 Fälle "verbaler Stereotypisierung" erfasst worden, also herabwürdigende Äußerungen im Alltag. Kropf nannte als Beispiel den Satz einer Lehrerin zur Anmeldung einer Romni zum Abitur: "Warum gibst du dir so viel Mühe, obwohl du sowieso nicht lange bleiben und wahrscheinlich in einem Monat heiraten wirst?"
Polizeihund beißt gefesselten Rom
Bei weiteren 502 gemeldeten Vorfällen ging es um Diskriminierung, und davon wiederum ein Viertel bei Behörden wie Sozial- oder Jugendämtern oder auch bei der Polizei. "In 83 der gemeldeten Vorfälle waren Polizeikräfte in unterschiedlicher Weise beteiligt", sagte Kropf. Der MIA-Bericht nennt das Beispiel eines Vaters, der rechtsradikale Parolen auf dem Schulhof seines Sohnes anzeigen wollte. Auf der Polizeidienststelle sei er mit den Worten abgewiesen worden: "Soll ich mal bei dir schauen, was du gegebenenfalls alles auf dem Kerbholz hast?"
In drei Fällen hätten Polizistinnen oder Polizisten extreme Gewalt ausgeübt, sagte Kropf. So hätten Beamte in einem Wohnheim für Geflüchtete ihren Polizeihund auf einen am Boden liegenden, bereits mit Handschellen gefesselten Mann losgelassen. Das Tier habe den Rom schwer verletzt.
In Deutschland leben Schätzungen zufolge bis zu 150.000 deutsche Sinti und Roma sowie etwa hunderttausend zugewanderte Roma. Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus Bund (MIA) wurde 2022 gegründet und unterhält mehrere regionale Meldestellen. Sie wurde anfangs vom Bundesinnenministerium unterstützt und wird nun vom Bundesfamilienministerium gefördert.
- Nachrichtenagentur dpa