Präsident auf Staatsbesuch Macron befürwortet Einsatz westlicher Waffen gegen Russland
Der Staatsbesuch Macrons stand bisher ganz im Zeichen der deutsch-französischen Freundschaft. Am letzten Tag rückt der Ukraine-Kriege in den Vordergrund. Und Macron macht klare Ansagen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will der Ukraine erlauben, militärische Stellungen auf russischem Territorium mit westlichen Waffen anzugreifen. "Wir denken, dass wir ihnen erlauben sollten, die Militärstandorte, von denen aus die Raketen abgefeuert werden, und im Grunde genommen die militärischen Standorte, von denen aus die Ukraine angegriffen wird, zu neutralisieren", sagte Macron nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Schloss Meseberg bei Berlin.
Er stellte jedoch klar: "Wir sollten nicht erlauben, andere Ziele in Russland zu treffen, zivile Kapazitäten natürlich oder andere militärische Ziele."
Damit hat erstmals ein Staatschef eines führenden Nato-Staats den Einsatz westlicher Waffen gegen Stellungen in Russland so deutlich befürwortet. Zuletzt hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg den Druck erhöht, bestehende Beschränkungen aufzuheben.
Scholz weniger klar als Macron: Betonung des Völkerrechts
Scholz äußerte sich weniger klar als Macron zu der Frage, ließ aber durchblicken, dass er keine rechtlichen Einwände gegen ein solches Vorgehen hätte. Die Ukraine habe völkerrechtlich alle Möglichkeiten für das, was sie gegen die russischen Angreifer tue. "Das muss man ausdrücklich sagen: Sie ist angegriffen und darf sich verteidigen", sagte der Kanzler. Für die Nutzung der von den USA, Frankreich oder Deutschland gelieferten Waffen hätten "alle Regelungen entwickelt, die besagen, dass das sich immer im Rahmen des Völkerrechts bewegen muss. Das ist das, was wir vereinbart haben, das hat bisher praktisch gut funktioniert und wird es auch sicher".
Das Völkerrecht erlaubt es angegriffenen Staaten nach Ansicht von Experten, Aggressoren auch auf ihrem eigenen Territorium zu attackieren, um sich zu verteidigen. Woher die Waffen stammen, ist dabei rein rechtlich gesehen nicht relevant.
Scholz hat allerdings immer betont, dass Deutschland sich nicht direkt an dem Krieg gegen Russland beteiligen wird. Das spielt auch bei seiner Ablehnung der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine die zentrale Rolle. Die Frage, ob der Einsatz westlicher Waffen gegen russisches Territorium für ihn generell eine Kriegsbeteiligung bedeuten würde, beantwortete Scholz nicht.
Macron: Ukraine wird von Russland aus angegriffen
Macron argumentierte mit der neuen Kriegssituation und zeigte dafür in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz vor dem Schloss eine Karte von den Frontverläufen in der Ostukraine. "Ukrainischer Boden wird de facto von Stützpunkten aus angegriffen, die sich in Russland befinden. Wie erklärt man den Ukrainern, dass sie ihre Städte schützen müssen?", sagte Macron. "Wenn man ihnen sagt: "Ihr dürft den Punkt, von dem aus die Raketen abgefeuert werden, nicht erreichen", dann sagt man ihnen im Grunde: "Wir liefern euch Waffen, aber ihr dürft euch nicht verteidigen"." Macron betonte dabei, dass Frankreich keine weitere Eskalation wolle.
Die Ukraine setzt Drohnen aus eigener Produktion gegen Stellungen auf russischem Territorium ein, um sich gegen die russischen Angreifer zu verteidigen. Der Einsatz westlicher Waffen ist den ukrainischen Streitkräften nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aber bislang untersagt. Selenskyj hatte erst vor wenigen Tagen in einem Interview der "New York Times" eindringlich um Erlaubnis für den Einsatz dieser Waffen gebeten, um beispielsweise Artilleriestellungen auf russischem Gebiet an der Grenze zur Ukraine zu zerstören.
Russland hat bereits mit Vergeltung gedroht
Deutschland hat der Ukraine weitreichende Artilleriegeschütze geliefert, mit denen das möglich wäre. Der Raketenwerfer Mars II kann Ziele in mehr als 80 Kilometern Entfernung treffen. Die von Russland angegriffene ukrainische Stadt Charkiw liegt nur gut 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt.
Der britische Außenminister David Cameron hatte vor wenigen Wochen bei einem Besuch in Kiew gesagt, es sei der Ukraine überlassen, ob sie die Waffen gegen Stellungen in Russland richte. Moskau hatte daraufhin den britischen Botschafter einbestellt und für den Fall eines Angriffs mit britischen Waffen mit Vergeltung gedroht.
Plan zur französischen Militärausbildung in der Ukraine in Arbeit
Macron wurde aber auch noch in einer anderen Frage recht deutlich, was die Unterstützung der Ukraine angeht. Zur Frage einer möglichen Entsendung französischer Militärausbilder in die Ukraine will er in der kommenden Wochen einen Plan vorlegen. Dies wolle er beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der Normandie zum Gedenken an die alliierte Landungsoperation tun. Er werde sich zu diesem Zeitpunkt "sehr genau äußern, um anzukündigen, was wir tun werden".
Bereits im Februar hatte Frankreichs Präsident Emmanuel das Entsenden von Bodentruppen in die Ukraine ins Spiel gebracht, das er nicht ausschließen wollte, und damit eine lebhafte Debatte unter den westlichen Verbündeten des von Russland angegriffenen Landes ausgelöst. Scholz hatte einem solchen Schritt eine klare Absage erteilt.
Agenda für mehr Investitionen und europäische Souveränität
Scholz und Macron kamen in Meseberg mit mehreren ihrer Ministerinnen und Minister zu Beratungen über europäische Wettbewerbsfähigkeit und Rüstungskooperation zusammen. Schon vor dem Treffen schlugen die beiden in einem Gastbeitrag in der "Financial Times" dazu eine Agenda für mehr Innovation, Investitionen und europäische Souveränität für die nächsten fünf Jahre nach der Europawahl vor. "Wir können die Grundlagen, auf denen wir unseren europäischen Lebensstil und unsere Rolle in der Welt aufgebaut haben, nicht mehr als selbstverständlich erachten", heißt es in dem Artikel. "Unser Europa ist sterblich, und wir müssen uns der Herausforderung stellen."
In einem in Meseberg beschlossenen Papier forderten die beiden Staaten unter anderem, dass europäische Unternehmen in strategischen Industriezweigen wie Künstlicher Intelligenz, Quantentechnologie, Luft- und Raumfahrt, Biotechnologie, Robotik und Chemikalien gezielt unterstützt werden.
In seiner Rede vor der Dresdner Frauenkirche war Macron am Montag deutlicher geworden und hatte einen "massiven Investitionsschock" in Europa gefordert. "Verdoppeln wir unseren europäischen Haushalt, entweder über die Größe des Haushalts, oder durch Strategien der gemeinsamen Anleihen, oder durch bereits existierende Instrumente", sagte er. Davon findet sich in dem gemeinsamen Artikel mit Scholz nichts. Die Schuldenfinanzierung kommt für die Bundesregierung auch nicht in Frage. Vor allem Finanzminister Christian Lindner und seine FDP lehnen neue gemeinsame EU-Schulden klar ab.
"Wir werden uns immer einig"
Frankreich und Deutschland beschlossen in Meseberg auch, die europäischen Verteidigungsfähigkeiten auszubauen. "Die Europäische Union muss zu einem wahren geopolitischen Akteur und Garanten für Sicherheit werden, der auf die heutigen sicherheitspolitischen Herausforderungen reagieren und die internationale Ordnung stärken kann", heißt es in den Schlussfolgerungen des deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates, der unter Leitung von Scholz und Macron tagte.
Die beiden gaben sich Mühe, ihre Differenzen nicht zu hoch zu hängen. "Wir werden uns immer einig und wir schreiten voran", sagte Frankreichs Staatschef. Scholz verwies auf den Zusammenhalt während der Corona-Pandemie und die gemeinsame Unterstützung der Ukraine. "Deshalb bin ich ganz sicher, dass die deutsch-französische Freundschaft auch in Zukunft tragen wird und gerade dann, wenn es um ökonomische Zukunftsentscheidungen geht", betonte der SPD-Politiker.
Vor dem deutsch-französischen Ministerrat in Meseberg schloss Macron seinen offiziellen Staatsbesuch in Münster ab. Dort wurde er mit dem Internationalen Preis des Westfälischen Friedens gewürdigt und rief in seiner Dankesrede zu mehr Optimismus und Tatendrang in Europa auf. "Als Europäer optimistisch sein heißt, sicher zu sein, dass Europa die richtige Antwort ist", sagte er.
- Nachrichtenagentur dpa