t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikDeutschlandGesellschaft

Senioren-Betreuung: Deutsche Familien landen in Polen auf schwarzen Listen


Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Senioren-Betreuung
Deutsche Horrorfamilien landen in Polen auf schwarzen Listen


Aktualisiert am 05.05.2022Lesedauer: 5 Min.
Betreuerin für Senioren in deren Zuhause: Manche Osteuropäerinnen finden schlimme Verhältnisse vor und warnen andere mit schwarzen Listen.Vergrößern des Bildes
Betreuerin für Senioren in deren Zuhause: Manche Osteuropäerinnen finden schlimme Verhältnisse vor und warnen andere mit schwarzen Listen. (Quelle: imago/photothek GettyImages Montage: U.Frey/t-online)

Sie sollen alten Menschen ein Leben daheim ermöglichen: Osteuropäische Frauen landen dabei manchmal bei modernen Sklavenhaltern. Es gibt schwarze Listen.

Franz Peter N. ist 79 und wohnt in einem 2.000-Einwohner-Örtchen in Niedersachsen. Sein Sohn ist Ausländerfeind, seine Schwiegertochter rücksichtslos und geizig. Franz Peter N.s polnische Betreuerin musste in einem stinkenden Raum auf einer Matratze auf dem Boden schlafen und durfte das Haus tagsüber nicht verlassen.

So ist es ganz offen im Internet zu lesen, inklusive genauem Wohnort und Namen. Verbunden mit der eindringlichen Warnung, einen großen Bogen um Franz Peter N. zu machen. Er ist dabei nur einer der zweifelhaften Arbeitgeber, die auf schwarzen Listen stehen.

Solche und andere Berichte werden von berufserfahrenen Polinnen als Warnungen an ihre Kolleginnen weitergereicht. Nur erreichen sie natürlich längst nicht jede. Nicht jede Polin, und schon gar nicht die Ukrainerinnen, die nun vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Deutschland fliehen.

Einträge mit Namen und Adresse

In öffentlich zugänglichen Foren und Facebook-Gruppen tragen polnische Betreuungskräfte ihre schlechten Erfahrungen zusammen – mit so detaillierten Informationen, dass nachvollziehbar wird, hinter welchen deutschen Haustüren es menschenverachtend und rücksichtslos zugeht.

Solche Zustände sind die Ausnahme. Geschätzt 300.000 Familien in Deutschland setzen auf die Hilfe einer Osteuropäerin im Haushalt. Bei vielen entsteht ein herzliches Verhältnis.

Doch Dutzende Geschichten von Fällen, in denen es anders ist, lassen sich auf den polnischsprachigen Seiten lesen. Nachnamen der Personen sind in den öffentlichen Foren überwiegend abgekürzt, manchmal gibt es Verweise zu geschlossenen Facebook-Gruppen. Dort sind dann auch volle Namen oder Straße und Hausnummer zu lesen. In einem dieser Foren werden Beiträge nach einem Jahr wieder gelöscht. Gerade war einer darunter, in dem ständige sexuelle Belästigung geschildert wurde.

Nach Recherche ist Zugriff aus Deutschland gesperrt

Wer in den geschlossenen Gruppen Mitglied werden will, muss Fragen beantworten. Der t-online-Reporter hat Anonymität zugesichert und zum Teil Zutritt bekommen. Die Beitrittsanfrage in einer anderen Gruppe wurde abgelehnt und kurz danach schien die dazugehörige öffentliche Website nicht mehr erreichbar. Die Auflösung: Sie ist für Besucher mit einer IP-Adresse in Polen noch abrufbar.

Betreibern und Nutzern ist bewusst, dass die Online-Pranger problematisch sind. Es schreckt aber mehr, Schikanen erleben zu müssen, Quälerei und sklavenartige Unterbringung – deshalb gibt es die gegenseitigen Warnungen. Eine Polin, die gerade erst eine Warnung veröffentlicht hat, sagte t-online, dass sie es gut finde, "wenn Deutsche wissen, dass es solche Listen gibt und sie darauf landen können".

So wie die Schwiegertochter von Franz Peter N. aus dem niedersächsischen Dorf. Für diese Frau sei es "kriminell, dass eine Betreuerin Pause machen will", schildert die frühere Pflegerin: "'Gnädig' hat sie erlaubt, dass ich abends aus dem Haus kann, ich konnte aber nicht zum Arzt gehen." Das Zimmer für die Betreuerin sei "in skandalösem Zustand, es gibt kein Bett, nur eine Matratze auf einem schmutzigen Boden, der im ganzen Haus mit unbekannten Dingen befleckt ist".

Polnisch sprechen verboten

Der Sohn von Franz Peter N. stimme den Schilderungen zufolge regelmäßig in T-Shirts mit eindeutigem Aufdruck ausländerfeindliche Töne vor der Polin an. Das ist besonders absurd, weil sich fast nur Osteuropäerinnen für die 24-Stunden-Pflege in Haushalten finden. Geschätzt 700.000 sind es im Verlauf eines Jahres.

Eine Frau berichtet, bei einer Familie im Schwäbischen geohrfeigt worden zu sein. Sie war bei einem Anruf aus der Heimat ans Handy gegangen und hatte in ihrer Muttersprache geredet. "Sie hatten mir verboten, im Haus Polnisch zu sprechen, sie hatten gesagt, sie wollten das nicht hören."

Weitere Berichte handeln von Türen, die hinter der Pflegeperson immer weit offen stehen mussten – auch zum Badezimmer. Es gibt Schilderungen, dass das Essen für die Pflegekräfte rationiert sei und Türen nachts abgeschlossen seien und die Schlüssel versteckt. "Im Falle eines Feuers kann man nicht entkommen."

Keine Rücksicht auf Alte

Geschilderte Missstände betreffen auch den Umgang von Familien mit den hilfsbedürftigen Angehörigen: "Die Familie ignoriert, dass er Medikamente braucht und will auch eine steile Treppe nicht sichern, auf der er bereits zweimal nachts gestürzt ist", schreibt eine Frau. Vor dieser Stelle bei Ravensburg wird deshalb ebenfalls gewarnt.

Bei CariFair, einem Angebot für faire Vermittlung von Haushaltskräften, weiß man von den Listen. Die Verantwortliche Claudia Menebröcker sagt: "Man denkt nicht, dass es heute noch möglich ist, Menschen in Keller zu stecken und nicht vor die Tür zu lassen."

Menebröcker ist Referentin beim Caritasverband des Erzbistums Paderborn, das gemeinsam mit der Caritas Polen das Angebot geschaffen hat: legal zu fairen Bedingungen als Pflegekräfte arbeiten, kranken- und rentenversichert in Deutschland. Das bedeutet höhere Kosten als bei denen, die von polnischen Firmen kommen – und deutlich höhere Kosten als bei Schwarzarbeit.

Gute Betreuungspersonen sind gesucht

Menebröcker erlebt, dass sich viele polnische Betreuerinnen inzwischen emanzipiert haben und sich längst nicht mehr auf alles einlassen. Die schwarzen Listen sind ein Ausdruck davon. "Für uns spielen sie keine Rolle", sagt Menebröcker. "Aber Familien, die überzogene Ansprüche haben, sagen wir: Ihnen können wir niemanden schicken."

Die Verhältnisse haben sich verschoben zugunsten der gut vernetzten Kräfte mit Erfahrung in Deutschland, heißt es vom Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege e.V. (VHBP). Geschäftsführer Frederic Seebohm sagt t-online: "Kunden gibt es viele, aber gute Betreuungspersonen zu finden, ist mittlerweile eine Herausforderung."

Seriöse Vermittlungsagenturen hätten deshalb ein großes Interesse daran, die kostbare Ressource guter Betreuungspersonen nicht an problematische Familien zu verschwenden und sich Schwierigkeiten einzuhandeln. Bedeutet: Die Agenturen beenden im Zweifel die Zusammenarbeit mit Familien. "Kunden, die Betreuungspersonen schlecht behandeln, wandern dann in die Schwarzarbeit."

Ukrainerinnen sind ausgeliefert

Und in der Schwarzarbeit könnte vielen Ukrainerinnen das blühen, wovor Polinnen sich in den Foren gegenseitig warnen. Seebohm sagt: "Mit dem Zuzug vieler geflüchteter Frauen ist es für Familien einfacher geworden: Diese Frauen sind viel ausgelieferter und müssen Arbeitsbedingungen akzeptieren, die eine polnische oder rumänische Betreuungsperson ablehnen würde. Zugleich kann man beim Kaffeekränzchen mit vermeintlich gutem Gewissen erzählen, einen Flüchtling aufgenommen zu haben."

Vereinzelt berichteten auch Unternehmen aus dem VHBP, dass Familien sich dort abmelden, weil sie jetzt eine Ukrainerin im Haushalt haben. "Aber die meisten Familien, die bisher Wert auf legale Verhältnisse gelegt haben, tun das weiterhin."

Bei den Ukrainerinnen gebe es einen großen Willen zu arbeiten. Es ist jedoch fast ausgeschlossen, ukrainische Flüchtlinge legal in der 24-Stunden-Betreuung zu beschäftigen. Infrage kämen theoretisch zwei Modelle. Das ist einerseits eine Selbstständigkeit der Betreuungskraft – bei neu eingereisten Flüchtlingen aber kaum realistisch.

Loading...
Loading...

Die andere Variante ist die Entsendung von Betreuungspersonen aus Osteuropa mit dortigem Sozialversicherungsschutz. Das scheidet aus, da die ukrainischen Flüchtlinge nach der EU-Massenzustrom-Richtlinie in Deutschland als Flüchtlinge registriert sein müssen, wenn sie hier arbeiten wollen.

Gesetzgeber schafft keine saubere Lösung

Bliebe eine Anstellung nach deutschem Arbeitsrecht wie bei CariFair, wo Familie und Helferin zweisprachig betreut werden. Hier gibt es die Unsicherheit, wie sehr die bloße Anwesenheit über Nacht als mindestlohnpflichtige Bereitschaftszeit zu werten ist.

Dass dem so ist, hat das Bundesarbeitsgericht im vergangenen Jahr entschieden. Eine wöchentliche Arbeitszeit von 38,5 Stunden, die auch von CariFair angenommen wird, hat dann damit in der Lebenswirklichkeit wenig zu tun. Würden Bereitschaftsstunden voll angerechnet, würden die Kosten monatlich bei mehr als 10.000 Euro liegen. Auch das ist in der Praxis völlig unrealistisch.

Es ist ein Problem, das der Gesetzgeber seit Jahren nicht angeht und damit Rechtsunsicherheit zulässt. VHBP-Geschäftsführer Seebohm: "Anders als die Nachbarländer Frankreich, Schweiz und Österreich will das Bundesarbeitsministerium anscheinend keine Lösung finden. Die Menschen werden im Regen stehen gelassen."

Es ist ein grundsätzliches Dilemma – aber für die Familie von Franz Peter N. und anderen auf schwarzen Listen wohl nicht das vordringliche.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • "Schwarzen Listen" auf Webseiten und Gruppen (nicht verlinkt)
  • Telefonat mit VHBP-Geschäftsführer Patrick Seebohm
  • Telefonat mit Caritas-Referentin Claudia Menebröcker
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



TelekomCo2 Neutrale Website