Deutsche in den Kurdenmilizen "Ich hasse es, Menschen zu töten"
Im Kampf gegen den "Islamischen Staat" haben sich mehrere Deutsche den kurdischen Milizen angeschlossen. Mit dem Einmarsch der Türkei in Nordsyrien stellt sich die Frage: Was wird aus den Deutschen?
Als Robin noch nicht Robin war, sondern ein junger Mann mit blondem Seitenscheitel und schlechtem Abschlusszeugnis, der gerade eine eigene Therapie-Praxis in Tübingen eröffnete, stieg im 3.000 Kilometer entfernten Mossul IS-Anführer Abu Bakr al-Bagdadi auf die Kanzel einer Moschee und rief den sogenannten "Islamischen Staat" aus.
Fünf Jahre später hat der IS sein Herrschaftsgebiet verloren. Al-Bagdadi wurde von US-Soldaten getötet. Und der junge Mann aus Tübingen, der sich in der Zwischenzeit mit einem Dragunow-Scharfschützengewehr auf die Jagd nach IS-Kämpfern in Syrien gemacht hatte, sitzt in einer Favela in Brasilien und versteckt sich vor den Behörden.
Unter dem Pseudonym "Robin" präsentiert er sich als furchtloser Kämpfer
Zwischen seinen Instagram-Einträgen von heute und seinen Online-Aktivitäten von früher liegen Welten. In Online-Foren ist zu lesen, dass Robin, der eigentlich anders heißt, "schüchtern" gewesen sei, mit "geringem Selbstwert". In der Schule habe er Probleme gehabt. Unter seinem Pseudonym Robin hingegen präsentiert er sich als Kämpfer in einem Krieg, der eigentlich nicht seiner ist: Der Kampf der Kurden gegen den IS in Syrien.
Robin, wie er auf einem Dach liegt, das Scharfschützengewehr im Anschlag. Robin, wie er im Licht einer Taschenlampe einen Tunnel stürmt. Robin, der einsam in den Ruinen des Fußballstadions von Al-Rakka hockt, das die Islamisten in ihrer De-facto-Hauptstadt zu einem Foltergefängnis umgewandelt hatten. Robin in den Ruinen zerbombter Straßenzüge. Ein Influencer des Krieges, der stolz ist, für eine gute Sache zu kämpfen.
"Gerade geht es mir nicht so gut"
Zwei Jahre später sitzt er in einer Favela in Rio de Janeiro, von draußen dringt der Lärm einer Party in die Wohnung und durchs Telefon. "Gerade geht es mir nicht so gut", sagt er. Ob er es bereut, in den Krieg gezogen zu sein?
Wie Robin haben sich in den vergangenen Jahren mehrere Deutsche dem bewaffneten Kampf gegen die Terrormiliz IS angeschlossen. Die genaue Zahl bezifferte die Bundesregierung vor einem Jahr auf etwa 250 aus Deutschland ausgereisten Unterstützern. Etwa 20 von ihnen seien getötet worden.
Unterstützung für den Traum der Kurden
Mitte Oktober traf es Konstantin G. aus Kiel. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten, die YPG, teilten mit, er habe in Syrien gekämpft und sei bei einem Angriff der Türkei getötet worden. Der Kampf gegen den IS ist vorbei, aber noch immer kämpfen Deutsche an der Seite der Kurdenmilizen – jetzt gegen die Türkei.
"Es warten noch ein paar Leute auf ihre Abholung", sagt ein junger Mann, der sich am Telefon Martin Klamper nennt. Er sitzt nach eigener Aussage in Schingal, einer kleinen Stadt im kurdischen Teil des Nordiraks, etwa 50 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Er leite dort eine kleine Einheit internationaler Kämpfer. Vor einiger Zeit schickte er zwei Kämpfer zur Unterstützung nach Nordsyrien. Unter ihnen Konstantin G. aus Kiel.
Wie geht es für die deutschen Kämpfer weiter?
Er selbst bleibe erst einmal im Irak, sagt Klamper. Sie bereiteten gerade alles für einen Angriff der Türkei vor, bauten Tunnel und unterirdische Netzwerke. "Die Türkei wird ja nicht Halt machen, wenn sie in Nordsyrien fertig ist."
Nach dem Kampf gegen den IS und dem Abzug der USA, die enge Verbündete der Kurdenmiliz YPG in Syrien waren, stellt sich auch für die deutschen Kämpfer die Frage, wie es weitergeht. Da ist auf der einen Seite der Traum von einer sozialistisch geprägten Selbstverwaltung der Kurden. Auf der anderen Seite stehen die drohenden Ermittlungen in Deutschland.
"In Deutschland konnte ich nicht mehr bleiben"
Zwar gelten die YPG-Milizen selbst nicht als Terrorgruppe, andererseits pflegt ihr politischer Arm, die PYD, enge Beziehungen zur kurdischen Arbeiterpartei PKK, die in Deutschland auf der Terrorliste steht.
Als Martin Klamper zwischenzeitlich nach Bielefeld zurückgekehrt war, wurde er verhört. Die Behörden ermittelten gegen ihn wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrororganisation.
Robin aus Tübingen zog im April 2017 in den Krieg
Ende Dezember 2018 wurde das Verfahren vom Generalbundesanwalt eingestellt, Klamper sollte seinen Pass zurückbekommen. Aber zu dieser Zeit war er schon wieder im Irak. "Ich bin mir der Konsequenzen bewusst, aber in Deutschland konnte ich nicht mehr bleiben", erzählt Klamper. "Das hat sich falsch angefühlt."
Robin aus Tübingen packte im April 2017 die Koffer. Alte Arbeitskollegen und Bekannte erinnern sich, dass er plötzlich einfach verschwunden war. Patienten der Therapie-Praxis hätten noch auf ihn gewartet. Kurz darauf tauchten die ersten Fotos auf Instagram auf. Auf einem zielt er bei Nacht von einem Hausdach mit einer Waffe in die Dunkelheit.
"Ich hasse es, Menschen zu töten"
In einem Video mit dem russischen Fernsehsender Russia Today erzählte er 2017, dass sich nach jedem Terroranschlag zwar alle über den IS aufgeregt hätten, aber keiner etwas gegen das Böse unternommen habe. Bei der Kurdenmiliz habe er seine Bestimmung gefunden. In einem Interview sagte er: "Ich hasse es, Menschen zu töten." Aber wenn er sehe, welches Verderben der IS bringe, sage er sich jedes Mal, dass er mit jedem getöteten IS-Kämpfer vielen anderen Menschen das Leben rette.
Die Behörden in Deutschland haben in den vergangenen Jahren registriert, dass sich nicht nur Laien sondern auch Deutsche mit militärischer Ausbildung dem Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat angeschlossen haben. Bekannt seien fünf Fälle ehemaliger Soldaten, sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums der Deutschen Presse-Agentur.
Es ist ein Dilemma auch für die deutschen Behörden. Das Innenministerium antwortet auf eine Anfrage, dass nach der Rückkehr auch für die YPG-Kämpfer "das gesamte sicherheitsbehördliche Instrumentarium" greife. Aber nur in etwa 30 Fällen habe es Ermittlungen gegeben, rund zehn Ermittlungsverfahren seien eingestellt worden.
Nach dem Kampf gegen den IS ging er nach Südamerika
Robin sagt, dass gegen ihn in Deutschland ein Haftbefehl vorliege. Überprüfen lässt sich das nicht. Aber als der Kampf gegen den IS vorbei war, hat er Syrien verlassen. Er tauchte zunächst in Kolumbien auf, bot in Medellín – früher unter Drogenboss Escobar eine der gefährlichsten Städte der Welt – unter anderem Waffentrainings für 2.000 Euro am Tag an. Dann verschwand er auch von dort.
- Nach Festnahme: Al-Bagdadis Ehefrau gibt IS-Geheimnisse preis
- "Keinerlei Koordination": Macron bescheinigt der Nato den "Hirntod"
- Kriegsverbrechen: 30 Jahre Haft für kongolesischen "Terminator"
Inzwischen verwendet Robin wieder seinen richtigen Namen und postet Fotos im Sommer am Strand von Rio de Janeiro. Syrien und den Krieg will er hinter sich lassen. Aber geht das auf der Flucht?
- Nachrichtenagentur dpa