Aktion "Deutschland spricht" Tausende reden miteinander statt übereinander
Es klaffen tiefe Gräben in Deutschlands Gesellschaft. Mancher sieht gar die Demokratie in Gefahr. 8.470 Menschen redeten im Rahmen der Aktion "Deutschland spricht" dagegen an.
Erst war es nur eine Idee. Dann wurde die Aktion "Deutschland spricht" zu einer Mission. Nachdem die Kollegen von der Wochenzeitung "Die Zeit" im vergangenen Jahr bereits erfolgreich eine Pilotaktion initiiert haben, holten sie sich in diesem Jahr die Unterstützung von elf weiteren Medien. Das Ziel: "Eine Art politisches Tinder", formuliert es Jochen Wegner, Chefredakteur bei "Zeit Online". Menschen mit unterschiedlichen politischen Ansichten zu einem persönlichen Treffen zu animieren. Miteinander statt übereinander reden.
Leser verschiedener Medien hatten im Vorfeld die Möglichkeit, sieben polarisierende Fragen online zu beantworten. Dabei ging es unter anderem um das Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland, um die Besteuerung von Fleisch oder Autos in deutschen Innenstädten. Über einen Algorithmus wurden Teilnehmer zusammengebracht, die nah beieinander wohnen und konträre politische Meinungen vertreten.
Es geht darum, Mauern zu überwinden
28.000 Leser – unter anderem von t-online.de – haben teilgenommen. Am Ende haben 8.470 Personen einem Treffen zugestimmt. Am Sonntag um 15 Uhr wurde dann deutschlandweit diskutiert.
"Es geht um die für unsere Demokratie grundlegende Frage, wie wir die Mauern, die zwischen unseren Lebenswelten entstanden sind, die Mauern, die dem gesellschaftlichen Zusammenhalt mittlerweile für alle spürbar im Wege stehen, überwinden können", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier während der zentralen Veranstaltung zur Aktion in Berlin. Er engagiert sich als Schirmherr für "Deutschland spricht".
Konträre Meinungen: Lobo und Martenstein
50 der insgesamt 4.235 Diskussionspaare trafen in Berlin aufeinander, lauschten vor ihren Gesprächen den Ansprachen des Bundespräsidenten und weiterer Redner. Sie hörten, wie Sascha Lobo, bekannter Blogger mit markanter Irokesenfrisur, eine "rote Linie" zog, sich in knapp bemessenen fünf Minuten Redezeit dagegen aussprach, mit Nazis zu debattieren. Die Diskussionspaare erlebten daraufhin, wie Harald Martenstein, seines Zeichens Kolumnist, seinen vorbereiteten Text links liegen ließ und auf Lobos flammende Rede einging. Man müsse immer den Menschen hinter der Meinung sehen, jeden Dialog eingehen und dürfe gerade nicht einzelne ausschließen. Der Austausch konträrer Ansichten fand schon auf der Bühne statt.
Mit Marteinsteins Ansicht hielten es auch Youtuberin Eva Schulz und Kolumnistin Mely Kiyak. Letztere gab zu, dass sie selber gerne Diskussionen auf dem Weg geht, betonte deshalb, wie mutig sie die Entscheidung der Teilnehmer zu diesem Gespräch findet. Man war sich einig, es sei nicht einfach, die Meinungen anderer auszuhalten. Aber mit der Bereitschaft zum Austausch und vielleicht sogar dazu, seine Meinung zu ändern, lässt sich viel bewegen.
Das Format "Deutschland spricht" erregt auch international Interesse. Vierzehn Länder planen ähnliche Aktionen, stehen mit den Initiatoren aus Deutschland im Austausch.
- eigene Recherche