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Chemnitz: In eigener Sache – Korrektur zu unserer Berichterstattung


In eigener Sache
Korrektur zu unserer Chemnitz-Berichterstattung

Von t-online
Aktualisiert am 07.09.2018Lesedauer: 4 Min.
Ein Demonstrationsteilnehmer in Chemnitz: Auf seiner Hand ist ein RAF-Tattoo zu erkennen.Vergrößern des Bildes
Ein Demonstrationsteilnehmer in Chemnitz: Auf seiner Hand ist ein RAF-Tattoo zu erkennen. (Quelle: watson.de)

Bei der Berichterstattung über die Proteste in Chemnitz ist uns ein Fehler unterlaufen. Hier stellen wir ihn richtig und erklären, wie es dazu kommen konnte.

Auf der rechtsextremen Demonstration in Chemnitz am Montag vergangener Woche wurde mehrfach der Hitlergruß gezeigt. Die Fälle wurden vielfach auf Fotos und in Videos dokumentiert. In den sozialen Medien verbreiten manche Nutzer seitdem die Behauptung, die Hitlergruß-Zeiger seien nicht Rechtsextreme, sondern "Provokateure", die von linken Gegendemonstranten oder "den Medien" eingeschleust worden seien.

Wir haben keinerlei Hinweise darauf, dass an diesen Behauptungen etwas dran ist. Aber in der Berichterstattung über die Fälle ist unseren Kollegen von watson.de ein schwerer Fehler unterlaufen – und damit auch t-online.de, da der betreffende Artikel hier ebenfalls erschien: Wir bezeichneten ein Foto von einem der Hitlergruß-Zeiger als Fotomontage. Das ist falsch. Nachdem wir das vorliegende Material sowie weitere Aufnahmen noch einmal genauer geprüft haben, sind wir zu dem Schluss gekommen: Auf der Hand des abgebildeten Demonstranten sind tatsächlich die Schriftzeichen "RAF" zu erkennen.

Das Kürzel "RAF" steht unter anderem für "Rote Armee Fraktion", eine linksterroristische Gruppe, die von den 1970ern bis in die 1990er Jahre in Deutschland aktiv war und insgesamt 33 Menschen tötete. In den Augen von Rechten ist die Handbemalung des Mannes ein Hinweis darauf, dass es sich bei ihm um einen eingeschleusten Provokateur handele. Die Argumentation: Linke Aktivisten und Journalisten hätten die Hitlergrüße inszeniert, um die Proteste als rechtsextrem zu diskreditieren.

So berichteten wir: Am vergangenen Samstag veröffentlichte unter anderem ein anonymer Twitter-Account einen Fotoausschnitt, auf dem der Mann zu sehen ist. Ebenfalls sichtbar: der "RAF"-Schriftzug auf dem rechten Handrücken. Dazu veröffentlichte der Account folgenden Text: "Neuerdings sind RAF Tattoos der letzte Schrei bei Nazis" und in einem weiteren Tweet: "immer diese Bösen Nazis mit den R.A.F Tattoos XD". Ein anderer Account benutzte das Bild mit den Worten: "Was sagt Herr #Maas zu einem #Linken der den #Hitlergruss zeigt obwohl er eine #RAF #Tätowierung besitzt?"

Der watson.de-Reporter verglich das Bild daraufhin mit seinen eigenen Videoaufnahmen aus Chemnitz. Er hatte den Mann dabei gefilmt, wie er vor den Augen von Polizisten den Hitlergruß zeigte. Auf diesen Videoaufnahmen ist auf den ersten Blick der Schriftzug "RAF" zunächst nicht zu erkennen.

Daraufhin kam unser Reporter zu dem Schluss, es handele sich bei dem Fotoausschnitt um eine Montage. watson.de und t-online.de nahmen den Fall in die Berichterstattung auf und bezeichneten ihn als "Fake".

Mittlerweile wurde watson.de auf ein Foto hingewiesen, aus dem der Ausschnitt stammen könnte. Dieses Foto wurde auf Flickr hochgeladen – von einem offenbar linken Account namens "RechercheNetzwerkBerlin", der unter anderem regelmäßig Fotos von rechtsextremen Veranstaltungen postet. Auch in einem Video von VICE sind die Buchstaben A und F nach dem Heranzoomen zu erkennen.

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Das ist unser Fehler:

Auf den watson.de-Aufnahmen ist in bestimmten Einstellungen auch ein Schatten erkennbar. Spätestens bei unserer Recherche zum Thema Falschmeldungen hätte das auffallen müssen. Zumindest konnten wir mit den vorhandenen Aufnahmen nicht ausschließen, dass die Schriftzeichen "RAF" existieren. Wir hätten weitere Quellen durchsuchen und kontaktieren müssen. So ein Fehler darf nicht passieren. Dafür entschuldigen wir uns. Wir betrachten diesen Fehler als besonders schwerwiegend in einer Situation, in der große Mengen bewusster Falschmeldungen in den sozialen Medien verbreitet werden.

Es entspricht unserem redaktionellen Selbstverständnis, dass wir alle Behauptungen überprüfen und nur dann veröffentlichen, wenn sie uns glaubhaft erscheinen und uns dazu zwei voneinander unabhängige Quellen vorliegen. Genauso gehört es jetzt aber auch zu unserem journalistischen Selbstverständnis, dass wir diesen Fehler transparent korrigieren und kommunizieren. Sie als unsere Leserinnen und Leser sollen sich darauf verlassen können, bei uns valide Informationen zu erhalten. Und darauf, dass wir aus unseren Fehlern lernen. In den kommenden Tagen werden wir unsere Arbeitsprozesse überprüfen, um einen solchen Fehler in Zukunft auszuschließen.

Auch bei anderen Medien, die sich auf die watson.de-Recherche bezogen haben, entschuldigen wir uns. Wir wissen um den Effekt, den unser Versäumnis auf den aktuellen Diskurs sowie die Vorbehalte in Teilen der Gesellschaft gegenüber Journalisten haben kann.

Daran anschließend möchten wir diese neuen Informationen nun einordnen:

Ist der Mann nun ein "linker Provokateur"?

Für die Theorie der „eingeschleusten Provokateure“ liegen watson.de keinerlei Beweise vor. Fest steht: Auf mehreren Aufnahmen ist zu sehen, dass der Mann die Buchstaben „RAF“ auf dem rechten Handrücken stehen hat. Ob sie aufgemalt oder tätowiert sind, ist unklar. Ausschließen können wir jedoch nicht, dass es sich bei dem Mann um einen Provokateur handelt. Das kann auch die Staatsanwaltschaft bislang nicht. „Eine zuverlässige Zuordnung zur PMK (Anmerkung der Redaktion: Politisch motivierte Kriminalität) rechts oder PMK links können wir nicht vornehmen, dies ist aber auch für die Erfüllung des Straftatbestandes des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB) irrelevant“, sagt Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein.

Das Sat1-Magazin „Akte“ hat die mutmaßliche Identität des Mannes recherchiert und mit ihm in der Nacht nach der Demonstration gesprochen. Dabei verstrickte sich der Mann in Widersprüche. Die Reporter besuchten auch das Haus, in dem der Mann wohnen soll: Im Hausflur sahen sie zahlreiche neonazistische Aufkleber. Mehrere Nachbarn, mit denen die Reporter sprachen, trugen Kleidungsstücke mit eindeutig neonazistischer Symbolik. Einer von ihnen sagte: „Wenn die Leute durch Chemnitz dann latschen, und irgendwie hier Ausländer jagen, ist dann irgendwie, geb‘ ich mein Ja dazu.“ Die Reporter kamen zu dem Schluss: „An der Mär vom eingeschleusten Provokateur scheint nicht viel dran zu sein.“

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Der Ermittlungsstand der Polizei:

Die Polizei konnte insgesamt fünf Personen identifizieren, die bei den Demos am Montag und auch schon am Sonntag zuvor den Hitlergruß gezeigt haben sollen. In zwei Fällen hat die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft beschleunigte Strafverfahren beim Amtsgericht Chemnitz beantragt. Die beiden Männer sind 32 und 34 Jahre alt und sollen am Montag den Hitlergruß gezeigt haben. Einem der beiden wird außerdem vorgeworfen, einen Polizisten beleidigt zu haben. Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein erklärte auf watson.de-Anfrage: „Wir haben keine Erkenntnisse, dass einer davon ein eingeschleuster Provokateur oder derartiges wäre.“

Wir werden diesen Artikel laufend aktualisieren, sobald es neue Erkenntnisse zur Identität des Mannes mit der "RAF"-Aufschrift gibt.

Die Chefredaktionen von watson.de und t-online.de

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